International

Egon-Bahr-Fellowship: Wandel durch Begegnung

Das Egon-Bahr-Fellowship der Friedrich-Ebert-Stiftung bietet jungen Menschen aus Deutschland und Russland seit 2012 die Möglichkeit, die Politik des jeweils anderen Landes kennenzulernen. Der diesjährige Besuch in Russland hat gezeigt, wie eine neue Ostpolitik aussehen könnte.
von Steffen Haake · 27. Dezember 2018
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Egon-Bahr-Fellowships in Kasan
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Egon-Bahr-Fellowships in Kasan

Es gab schon einfachere Zeiten in der deutschen Außenpolitik. Nationalismus, Populismus und Chauvinismus – Schlagworte wie diese hört man zurzeit häufig. Die bisherige Weltordnung gerät aus den Fugen. Was bedeutet das für die deutsche Außenpolitik im Verhältnis zu Russland und den Ländern der östlichen Partnerschaft? Um diese Frage drehte sich der Besuch des diesjährigen Egon-Bahr-Fellowship-Programms der Friedrich-Ebert-Stiftung in Moskau und Kasan.

Menschenrechtsverletzungen und Meinungsäußerungen

Das Egon-Bahr-Fellowship ermöglicht seit 2012 Begegnungen mit spannenden politischen Nachwuchskräften aus Russland und Deutschland. Am ersten Durchgang beteiligte sich Egon Bahr noch selbst. In diesem Jahr besuchten wir Organisationen, Kirchen und Moscheen, die sich Mühe gaben, ein Bild der Öffnung zu zeichnen. In der neuen Innopolis IT University sprachen wir über ethische Verantwortung der Wissenschaft beim Entwickeln künstlicher Intelligenz. Uns war wichtig, gegenüber russischen Ministern und Abgeordneten sozialdemokratische Perspektiven auf Bürgerrechte, u.A. in LGBTQI- oder Journalismus-Fragen, zu verdeutlichen. Anschaulich wurde, wie schnell doch autoritäre Mechanismen greifen und wie kostbar die Freiheit des Andersdenkenden ist, sich für ein demokratisches Amt zu bewerben.

Durch das Egon-Bahr-Fellowship konnten wir uns mit den internationalen Beziehungen von Städten und Regionen beschäftigen. Das Gespräch mit dem Minister für Jugend in Kasan machte auch im Hinblick auf die Frage, wie es ein solches System schafft, sich einen "hippen" Anstrich zu verpassen, nachdenklich. Wir hatten Gelegenheit, über Menschenrechtsverletzungen und Möglichkeiten der Meinungsäußerung für junge Kritiker der russischen Föderation zu diskutieren.  

Probleme gehören in die Küche, nicht auf die Straße

Im Gespräch sagte der Minister, was wir oft hörten. Früher habe es derartige Probleme gegeben, jetzt nicht mehr. So stellte ich einem Vertreter der Jungen Garde der Partei Einiges Russland die Frage nach der völkerrechtswidrigen Annektierung der Krim. Auch hier die Antwort: Alles korrekt abgelaufen. Die Rolle internationaler Verträge sei in diesem Zusammenhang anders zu betrachten, da die damalige Einigung zur Krim im Nebel sowjetischer Umwälzungen erfolgt sei. Viele Fragen, wenige Antworten. Dennoch lohnt es sich nachzufragen, denn manchmal prallen kulturelle Gepflogenheiten aufeinander – angeblich bespricht man Probleme in der russischen Küche und nicht auf der Straße.

Ab und an habe ich das Gefühl, ein Nachdenken beim Gegenüber auszulösen. Als ich die geringe Quote der Foreign Direct Investments in der Republik Tatastan und Indizes, nach denen FDIs in meinungsfreien Klimas steigen, erwähne, horchen Duma-Abgeordnete auf. Austausch kann letztlich eben nur förderlich sein. Wir können nur gewinnen, indem wir unsere eigenen Defizite reflektieren. Und die russische Seite indem sie rare Impulse erhält. Denn wie sagte ein Guide in der Duma? „Journalisten gibt’s bei den Sitzungen nicht. Es soll niemand gestört werden.“

Was eine neue Ostpolitik leisten muss

Nach dem Programm werde ich als Auricher Lokalpolitiker versuchen, zur Vertiefung der Demokratisierungsbestrebungen zu Russland städtische Klimapartnerschaften voranzutreiben. Umwelt- und Jugendaustausch könnten auf diese Weise vorangetrieben werden.

Klar ist, dass eine neue Ostpolitik Angebote formulieren muss an Länder der östlichen Partnerschaft wie Georgien oder Ukraine, die vielfach europäisch fühlen wie wir. Und sie muss eine Balance finden zwischen Sicherheitsinteressen, ökonomischer Kooperation und der Zusammenarbeit etwa in kulturell-wissenschaftlichen Fragen. So kann eine neue, positive Dynamik auch im innereuropäischen Verhältnis zu den östlichen EU-Mitgliedstaaten entstehen – im Sinne Egon Bahrs und Willy Brandts.

Autor*in
Steffen Haake

ist in Ostfriesland in der SPD engagiert und Mitglied im Auricher Stadtrat. Wenn er nicht gerade Tee trinkt, berät der Politologe Ministerien und Kommunen.

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