„Die Sozialdemokratie in den Niederlanden muss sich komplett neu erfinden“
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Das erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen ist bei der Wahl in den Niederlanden ausgeblieben. Ministerpräsident Rutte hat überraschend deutlich gewonnen. Woran hat es am Ende gelegen?
Vor einigen Monaten lag Wilders’ PVV sogar deutlich vor Ruttes VVD. Erst in den letzten Wochen hat sich die Situation zu einem möglichen Kopf-an-Kopf-Rennen verändert, das Rutte nun deutlich gewonnen hat. Dafür gib es drei Gründe: Erstens haben die guten Umfragewerte für Wilders Menschen motiviert zur Wahl zu gehen, die nicht wollten, dass die PVV die stärkste Partei wird. Sie wollten diese nationale Schande abwenden und den rechtspopulistischen Tsunami stoppen, den Trump und der Brexit ausgelöst haben. Zweitens haben die Beschimpfungen des türkischen Präsidenten Erdogan dazu geführt, dass Rutte seinen Amtsbonus als Ministerpräsident aktivieren und er sich als zuverlässiger und starker Staatsmann präsentieren konnte. Eine Zeitung hat es auf die Formel gebracht: „Erdogan hat Wilders besiegt.“ Da ist durchaus etwas dran. Und drittens hat Trump eine Rolle gespielt.
Inwiefern?
Sein Sieg bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl hat die rechtspopulistischen Parteien in Europa zunächst beflügelt. Sie sprachen schon von einem Dominoeffekt. Die ersten Wochen im Weißen Haus haben Trump aber bereits ein wenig entzaubern können. Er muss sich mit Gerichten herumschlagen und kann nicht tun und lassen, was er will. Trump wirkt mittlerweile negativ auf die rechtspopulistische Bewegung.
Ist der Vormarsch des Rechtspopulismus damit gestoppt oder ist das nur eine Atempause?
Sowohl Trump als auch Putin haben gehofft, Wilders würde gewinnen. Er sollte der erste Dominostein der Rechtspopulisten in Kontinentaleuropa sein. Auch deshalb ist der Wahlausgang ein wichtiger Sieg für die liberale Nachkriegsordnung in Europa, der auch Auswirkungen auf die Wahlen in Frankreich und in Deutschland haben könnte. Die Niederländer haben gezeigt, dass Rechtspopulismus keine Naturgewalt ist und aufgehalten werden kann. Um ihn wirklich zu besiegen, braucht es aber mehr. Vor allem dürfen sich die anderen Parteien nicht dazu verleiten lassen, die Positionen der Populisten zu übernehmen.
Die PvdA hat deutlich verloren. Was bedeutet das für die Sozialdemokraten?
Die Sozialdemokratie in den Niederlanden muss sich komplett neu erfinden. Das Ergebnis ist ein Desaster, das in den kommenden Wochen detailliert ausgewertet werden muss. Manche denken bereits darüber nach, eine neue progressive Bewegung gemeinsam mit anderen linken Parteien und Bewegungen zu schaffen, denn das gesamte linke Spektrum hat bei dieser Wahl verloren. Das können auch die Grünen mit ihrem Ergebnis nicht ausgleichen. Die Niederlande sind klar nach rechts gerückt.
Im Parlament wird künftig eine Vielzahl an Parteien vertreten sein. Was bedeutet das für die Regierungsbildung?
Die Gesellschaft driftet auseinander und es gibt sehr verschiedene Parteien, die ganz individuelle Bedürfnisse abbilden. Es gibt eine Partei der Rentner, eine der Migranten und sogar eine für die Tiere. Eine Konsequenz davon ist das Auseinanderbrechen der Volksparteien. Für die Regierungsbildung sehe ich da allerdings keine Probleme. Ich denke, die VVD wird mit der konservativen CDA und der sozial-liberalen D66 eine Regierung bilden. Wie es aussieht, fehlen ihnen zwar fünf Sitze zur Mehrheit im Parlament, aber sie könnten entweder eine Minderheitsregierung bilden oder die Grünen bzw. die Christen Union einladen, dazuzukommen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.