Nachdem es in der Nacht zu Mittwoch schien, als würden Sicherheitskräfte den Maidan-Platz in Kiew gewaltsam räumen, hat sich die Lage wieder etwas beruhigt. Eine Schlüsselrolle in dem Konflikt zwischen Demonstranten und Regierung könnte den mit Präsident Janukowitsch verbündeten Oligarchen zukommen. Für sie geht es um Macht und gute Geschäfte.
Die Situation in der Ukraine ist in diesen Tagen zum Zerreißen gespannt. Die Lage in der Hauptstadt Kiew ist denkbar unübersichtlich und, da es bei den politischen Auseinandersetzungen um die Verfügungsgewalt über große wirtschaftliche Ressourcen und Macht geht, voll von Spekulationen und Gerüchten. Im Zentrum der Stadt harren weiterhin die Demonstranten aus.
In der Nacht zu Mittwoch sind Sondereinheiten der Polizei auf den Unabhängigkeitsplatz („Maidan“) in Kiew vorgerückt, haben Barrikaden beseitigt und einen Teil des Platzes besetzt. Außerdem stürmten Polizisten das von Demonstranten besetzte Rathaus. Am Vormittag hat sich ein Teil der Polizeieinheiten wieder von dem Maidan zurückgezogen.
Führende Oppositionspolitiker befürchten eine Eskalation der bisher überwiegend friedlichen Auseinandersetzungen und haben sich getroffen, um über Verhandlungen mit der Regierung zu beraten.
Der Führer der oppositionellen Swoboda-Partei, Oleg Tjanybok, rief die Menschen dazu auf, nicht in Panik zu verfallen: „Wenn jemand Gewalt anwendet, werden Millionen auf die Straßen gehen.“ Vitali Klitschko rief aus: „Wir bleiben. Ich rufe alle Regierungsgegner auf, zum Maidan zu kommen.“
Eine gefährliche Situation
Die Situation ist für alle Beteiligten denkbar gefährlich: Für die demonstrierenden Menschen, wenn Polizei und Sondereinheiten mit Waffengewalt gegen sie vorgehen. Und für die Regierung, wenn die Proteste erfolgreich sind.
Für Präsident Viktor Janukowitsch und seine mit ihm verbündeten Oligarchen geht es um sehr viel Macht, vor allem aber um ihre nicht zu kontrollierenden Geschäfte. Insofern ist die fortwährende Beobachtung der Ereignisse im Zentrum von Kiew wichtig, der Blick in die politisch-ökonomischen Kulissen dieses großen Landes aber auch.
Hinter den Kulissen, sehr selten vor ihnen, agieren seit dem Amtsantritt von Viktor Janukowitsch Anfang des Jahres 2010 vor allem sein ältester Sohn Oleksander (er soll 500 Millionen Dollar sein Eigen nennen), der Chef der Präsidialverwaltung, Sergej Lowotschkin, der Vizeministerpräsident Boris Kolesnikow, mächtiger Politiker und Multimillionär, sowie einige Oligarchen. An ihrer Spitze steht Rinat Achmetow, der reichste und bekannteste Unternehmer in der Ukraine.
Achmetow ist reich und gut vernetzt
Achmetow hat seinen nicht zu beziffernden Reichtum im ukrainischen Osten in den Regionen um Dnjepropetowsk und Charkow in der Stahl- und Kohleindustrie gemacht. Er kennt nicht nur Janukowitsch und dessen Sohn Oleksander gut, sondern ist auch ein enger Vertrauter des Vizeministerpräsidenten Boris Kolesnikow. Gut 40 Parlamentarier stehen ihnen nahe, man könnte auch sagen, sie kontrollieren sie.
Ein anderer Oligarch ist der Gas-Millionär Dimitri Firtasch. Der ist ein enger Freund des Chefs der Präsidialverwaltung, Sergej Lowotschkin. Etwa 30 Abgeordnete stehen hinter diesen beiden Männern. Außerdem hat Firtasch noch einen Fernsehkanal mit dem Namen Inter. Und der Mann, der mit und durch Schokolade zu Millionen gekommen ist, Petro Poroschenko, hat auch einen Fernsehkanal, den Fünften Kanal. Bleiben Sergej Tigipko, ein politisch sehr aktiver Oligarch. Reich geworden in den vergangenen 15 Jahren durch Bankgeschäfte und den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten.
Mafiöse Strukturen
Die Wirtschaftsexpertin Elena Gnedina kennt diese Männer und die mafiösen Strukturen: „Die wichtigsten Entscheidungen fallen in einem kleinen Zirkel um Janukowitsch, in der so genannten Familie, sagt sie. Die Oligarchen haben nur wenige Ziele: Sie wollen ihren Besitz und ihre Macht nicht mit den russischen Unternehmen teilen. Sie wollen ihren Status erhalten und ungestört ihre Geschäfte machen. Eine Assoziierung mit der EU ist für sie gefährlich. Macht und Einfluss würden beschränkt.
Ohne Oligarchen wie Achmetow kann Janukowitsch nicht regieren. Das wissen die und offenbar üben sie Druck auf den Präsidenten aus, mit der Opposition zu reden. Nach allem was aus Kiew zu hören ist, spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Lösung der Krise. Die Frage ist: Würden sie Janukowitsch fallen lassen und die Seiten wechseln? Denn: Wenn ihre Abgeordneten gegen die Regierung stimmen, ist der Präsident in schweren Gewässern. Obendrein: Ihre beiden privaten TV – Sender berichten zum Missfallen der Machthaber ausführlich über die Proteste.
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ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).