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Die Fehler in der Ukraine

Der Konflikt in der Ukraine schwelt weiter, im Osten des Landes sterben weiterhin Menschen, doch in der Politik herrscht Stillstand. Nur eine ungeschminkte Analyse der Fehler aller Beteiligten, auch des Westens, kann zu Lösungsansätzen führen.
von Dmitri Stratievski · 19. Dezember 2014
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Eine russische Matrjoschka, die Holzpuppe, in der viele kleinere Holzpuppen stecken, vermittelt am besten die Vielschichtigkeit des Konflikts in der Ukraine. Ein Jahr nach den größten Massenprotesten in der ukrainischen Geschichte, den Demonstrationen auf dem Kiewer Maidan, bleibt die Entwicklung im Osten Europas für die westlichen Medien weiterhin zentral. Die Debatte wird oftmals nicht politisch geführt, sondern politisch geladen. Beim Abfeuern der rhetorischen Munition verliert man aber häufig den Blick für das Wesentliche: Während des politischen Stillstands sterben in der Ukraine Menschen! 

Bewegung in die verfahrene Situation kann eine ungeschminkte Analyse der Fehler bringen, die zu der Krise geführt haben. Außerdem bietet eine solche Fehler-Analyse wichtige Erkenntnisse für die Ausarbeitung künftiger Lösungsansätze und Friedenspläne. Daher ein Rückblick in das erste Halbjahr 2014.

Fehler der ukrainischen Führung

Vom Sieg über Janukowytsch im Februar 2014 beflügelt, hat die vormalige ukrainische Opposition mehrere Politiker der rechtsradikalen Partei „Freiheit“ in die neue Regierung geholt. Das haben viele Ukrainer, selbst zahlreiche Maidan-Anhänger, entschieden abgelehnt. Kein angesehener Vertreter der Ostukraine, zum Beispiel ein Wissenschaftler oder Kulturschaffender, wurde mit einem Ministerposten betraut, noch nicht mal einem zweitklassigen. Ein Gesetz über die Sprachen nationaler Minderheiten, darunter Russisch, wurde zeitweise aufgehoben.

Anstatt den Dialog mit den maidan-kritischen Teilen der Bevölkerung aufzunehmen und sich als Repräsentant aller Ukrainer zu positionieren, hat die Regierung auf die altbewährten Methoden gesetzt, nämlich auf den Pakt mit den Eliten. Auf die näher rückende Abspaltung der Krim beziehungsweise die deutlichen Anschlussbestrebungen Russlands reagierte Kiew zögerlich und inkonsequent.

Fehler der russischen Führung

Moskau hat die Maidan-Proteste als eine geopolitische Niederlage empfunden und darauf neurotisch reagiert. Die Kreml-Strategen haben die Bereitschaft der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine, das aggressive Vorgehen Russlands mitzutragen, falsch eingeschätzt. Denn es hatten sich bereits mehrere kollektive Identitäten entwickelt. Auch die Russisch-Muttersprachler fühlen sich dem ukrainischen Staat mehrheitlich zugehörig.

Deshalb hat die Einverleibung der Krim im Kreis der russischsprachigen Ukrainer eine für Moskau politisch ungünstige Erwiderung ausgelöst, nämlich eine Konsolidierung. Ukrainer, die russlandfreundlich sind und dem Westen sowie der neuen Kiewer Regierung kritisch gegenüber stehen, haben sich von Russland distanziert und sich mit ihrer ukrainischen Heimat als geokulturellem Raum solidarisiert. So hat letztlich der Kreml den Sieg Petro Poroschenkos im Mai vorbereitet und den der westlich orientierten Parteien im Oktober.

Darüber hinaus hätte Moskau vor seinem Muskelspiel auf der Weltbühne die Sanktionswelle bedenken und eine wirtschaftliche Grundlage für den Konflikt mit der EU und den USA vorbereiten müssen. Die aktuelle russische Wirtschaftskrise zeigt deutlich, dass der Kreml diese Weitsicht nicht besaß und zurzeit ganz offensichtlich auch keinen Plan B besitzt.

Fehler der EU

Das Nachbarschaftsprojekt Brüssels verfolgt das Ziel, entlang der Ostgrenze der EU Frieden zu schaffen und den Anrainerstaaten eine Alternative zu Russland zu bieten, auch wenn deren Vollmitgliedschaft heute nicht auf der Agenda steht. Obwohl die russische Führung das Assoziierungsabkommen zwischen Brüssel und Kiew verbal tolerierte, hat sie im ukrainischen Fall eine „Ausdehnung des westlichen Einflussbereichs“ auf Kosten Moskaus gefürchtet. Das Recht eines jeden souveränen Staats, seine Außenpolitik ohne Rücksprache mit Russland zu betreiben, bleibt unbestritten. Der Westen hätte sich jedoch mehr anstrengen können, die versöhnliche Grundidee des EU-Vorhabens den verschiedenen Gruppen im Kreml zu vermitteln und ihnen klar zu machen, dass auch Russland davon profitiert. Des Weiteren haben die EU und die OSZE die Möglichkeit einer blutigen Zuspitzung des Konflikts nicht erkannt und deshalb auch nicht präventiv gehandelt.

Jetzt muss die Lehre aus den jüngsten Entwicklungen in Osteuropa gezogen werden. Russland lenkt bereits ein, wie zwei Aussagen zeigen. Der russische Außenminister Sergei Lawrow versicherte, dass es „für den Donbass kein Krim-Szenario“ gebe. Und Präsident Putin sagte, Russland mache Druck auf die Volksrepublik Donezk wegen der Lieferung von Kohle in die restliche Ukraine. Das verspricht eine Wende der russischen Politik, wenngleich eine notgedrungene.

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Dmitri Stratievski

ist promovierter Historiker, Politologe und Osteuropa-Experte.

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