Deutschland und Russland: Konfrontation oder Kooperation?
Debattiert die Sozialdemokratie zu wenig über die Frage einer angemessenen Ostpolitik für unsere Zeit?
Jan Claas Behrends: Ja, leider. Die SPD debattiert insgesamt zu wenig. Dadurch hat die Anziehungskraft der Partei gerade auf intellektuelle Milieus stark nachgelassen. So gesehen ist die fehlende Debatte über die Ostpolitik vielleicht nur ein Symptom.
Aber warum tut sich die SPD gerade heute mit dem europäischen Osten so schwer?
Behrends: Das hat sicher historische Gründe. Die Figuren, die für die Ostpolitik stehen, Willy Brandt und Egon Bahr, werden als Lichtgestalten verehrt. Hinzu kommt, dass man sich auch kritisch an die Historisierung von Rot-Grün heranmachen müsste, gerade in der zweiten Hälfte. Das wäre vielleicht eine schmerzhafte Auseinandersetzung, vor der mancher zurückscheut.
Herr Voigt, überzieht Jan Claas Behrends?
Karsten D. Voigt: Ich halte schon seine Begrifflichkeit für falsch. Es gibt nicht die eine Ostpolitik der SPD. Außenpolitische Konzepte sind immer Antworten auf jeweils sehr konkrete historische Konstellationen. Was man heute als Ost- und Entspannungspolitik betrachtet, war die Antwort auf den Bau der Mauer und die Kuba-Krise. Diese mit Begriffen wie „Wandel durch Annäherung“ und „Politik der kleinen Schritte“ verbundene Strategie wurde von Leuten begonnen, die der Sowjetunion außerordentlich kritisch gegenüberstanden. Bahr und Brandt betrieben ihre Politik ja nicht aus Sympathie oder Naivität, sondern weil sie ein Optimum an Sicherheit für Berlin und Deutschland erreichen wollten, ein Optimum an Zusammenleben der beiden deutschen Staaten und auch ein Optimum an Friedenssicherung in Europa insgesamt. Diese Politik mündete mit dem Fall der Mauer in eine völlig andere Politik, in der große Schritte in eine gesamteuropäische Ordnung des Friedens und der Freiheit möglich schienen. Es ging um die Integration von Staaten in die EU und Nato, soweit dies möglich und sinnvoll war, und um Kooperation, wo Integration nicht möglich oder sinnvoll erschien. Heute sind wir wieder in einer neuen Phase. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass Russland ein Teil des euroatlantischen Europa sein will, vielmehr begreift es sich vorwiegend als Konkurrenz und teilweise als Gegner hierzu. In dieser Phase muss das Motto lauten: „Zusammenarbeit soweit wie sinnvoll und möglich – Verteidigung und Abschreckung soweit wie nötig.“ Meiner Meinung nach ist in den nächsten Jahren wieder die Zeit für eine Politik der kleinen Schritte, und nicht der großen Entwürfe.
Aber warum passt der Begriff „Ostpolitik“ dazu nicht?
Voigt: Er ist irreführend, denn ein Teil dessen, was in den siebziger Jahren „Osten“ war – Polen, Rumänien, die Baltischen Staaten –, gehört heute zur EU und zur Nato, also politisch zum Westen. Geografisch im Osten, sind manche dieser Staaten psychologisch näher an Washington als an Moskau.
Behrends: Ich sehe das anders. Ostpolitik bedeutet für mich ganz einfach die Politik Deutschlands gegenüber seinen östlichen Nachbarn, ob nun Polen, Tschechien oder Russland. Bei dieser Ostpolitik muss es auch heute darum gehen, für Sicherheit und Frieden im östlichen Teil Europas zu sorgen. Genau das wird ja immer wieder beschworen, wenn es heißt, man müsse „zurück zu Brandt“, zurück zur Entspannungspolitik. Diese Kontinuität ist Teil des außenpolitischen Denkens in Deutschland. Das bedeutet aber, dass der Bruch der Jahre 1989 bis 1991 nicht oder nur teilweise im außenpolitischen Denken angekommen ist. Im Kalten Krieg war die Fixierung deutscher Ostpolitik auf Moskau sinnvoll, weil all die anderen Staaten der Region nun einmal dem sowjetischen Machtbereich angehörten. Nicht sinnvoll ist, dass diese Fixierung nach 1991 weiter bestehen blieb. Gerade in Polen und im Baltikum nimmt man sehr genau wahr, dass es nach 1991 weiterhin eine Sonderbeziehung zwischen Berlin und Moskau gab, die in der Tradition der Ostpolitik der siebziger Jahre steht und von ihren Akteuren über alle Brüche hinweg immer wieder zelebriert und beschworen wird.
Voigt: Aber das ist doch nicht die Realität! Die Realität ist, dass die SPD der Erweiterung der Nato und der EU zugestimmt hat. Diese Politik war aus sozialdemokratischer Sicht nicht gegen Russland gerichtet. Die SPD hat ihr trotz der Kritik aus Moskau zugestimmt. Es ist also keineswegs so, dass die SPD Anfang der neunziger Jahre Russland ein Vetorecht im Hinblick auf die Polen, Tschechen, Rumänen oder Balten zugestanden hätte. Auf einem anderen Blatt steht, dass Russland auch weiterhin das wichtigste Land östlich von EU und Nato bleibt. Trotz seiner großen Bedeutung ist Russland für uns nicht wichtiger als die Gesamtheit der Beziehungen zu unseren ostmitteleuropäischen Nachbarn innerhalb der EU und Nato. Für unsere EU- und Bündnispolitik sind sie unverzichtbar. Und auf diese Politik haben diese Länder einen weit größeren Einfluss als Russland.
Behrends: Ich bin beruflich viel in diesen Ländern unterwegs. Vorsichtig formuliert: Diese Haltung der SPD ist dort so noch nicht angekommen. Dort nimmt man eine Fortdauer der alten Sonderbeziehung zwischen Berlin und Moskau wahr, und über die macht man sich große Sorgen.
Voigt: Diese Sorge ist historisch verständlich. Wenn sich Deutsche und Russen oder Sowjets zu eng annäherten, war das oft genug ein Problem für die Region dazwischen. Und wenn sich Deutsche und Russen bekriegten, litten die Völker dazwischen ebenfalls. Genau deshalb ist es ja so wichtig zu erkennen, dass sich die politische Konstellation in Europa gegenüber früheren Jahrhunderten grundlegend verändert hat. Als Mitglieder der EU und der Nato sind die genannten Staaten nicht mehr Teil eines „Zwischen-Europa“. Deutschland kann und will gegenüber Russland keine Politik unter Missachtung der Interessen der Staaten dieser Region betreiben. Daher sind etwa im Minsker Prozess zwar Frankreich und Deutschland dabei, aber die Ukraine eben auch.
Behrends: Das ist doch eine Selbstverständlichkeit!
Voigt: Wenn die Befürchtungen in der Region zuträfen, dann wäre es eben keine Selbstverständlichkeit. Und es gibt ja in der Tat russische Politiker, die ein „neues Jalta“ wollen, diesmal nicht über uns, sondern mit uns. Dabei sollen sich die Großen – darunter auch Deutschland – zusammensetzen und bindende Absprachen treffen. Ich habe diesen Leuten immer gesagt: Das liegt nicht im deutschen Interesse. Wir Deutschen sind heute zum ersten Mal nicht nur im Westen, sondern auch im Osten von Ländern umgeben, die unsere Freunde sind oder dies werden wollen. Das ist so, weil wir die Interessen unserer Nachbarn berücksichtigen. Eine solche Definition deutscher Interessen, die für Europa offen ist, halte ich für richtig. Sie entspricht unserer geostrategischen Lage und unserer historischen Verantwortung.
Bleiben wir aber mal bei Deutschland und Russland. Warum sind deutsche Sorgen vor Russland heute berechtigter als noch vor einigen Jahren?
Behrends: Weil in Europa Krieg herrscht. Russland führt seit 2014 Krieg gegen die Ukraine. Russland hat die nach dem Kalten Krieg entstandene europäische Friedensordnung zerstört. Es versucht, Gewalt und Annexion als Mittel der Politik wieder hoffähig zu machen. Insofern ist die Sorge sehr berechtigt, dass Russland auch anderswo in Europa Krieg führen könnte.
Voigt: Es stimmt, Russland betreibt heute eine andere Politik als noch Anfang der neunziger Jahre. Damals wollte Russland Teil des Westens werden – jetzt nimmt es den Westen als Bedrohung wahr. Damals wollte Russland sich an westlichen Werten orientieren – heute beschwört es eigene Werte gegen den „dekadenten“ Westen. Damals hat Russland Separatismus bekämpft, etwa in Tschetschenien – heute unterstützt es separatistische Bewegungen in Georgien, Moldawien und in der Ostukraine. Damals war Russland ausgesprochen risikoscheu – heute ist es militärisch relativ risikofreudig. Wir haben es heute mit einem Russland zu tun, das wieder einflussreicher und auf einem Niveau mit den USA wahrgenommen werden will. Dagegen war Moskau zur Zeit der Entspannungspolitik darauf aus, den Status quo zu erhalten. Die Sowjetunion war zwar ideologisch eine revolutionäre Macht, praktisch aber wollte sie vor allem ihren Einflussbereich absichern. Heute haben wir es mit einem anderen Russland zu tun, und diese Lage reflektiert unsere Außenpolitik: Darum erhöhen wir unseren Verteidigungshaushalt, darum werden kollektive Verteidigung und kollektive Sicherheit wieder wichtiger. Wir beteiligen uns an der Stationierung von Nato-Einheiten im Baltikum und helfen dort bei der Luftraumüberwachung.
Aber damit sind in Deutschland ja nicht alle einverstanden, auch in der SPD nicht.
Voigt: Das stimmt, die Kritik an der deutschen Führung ist stärker geworden. In Deutschland gibt es besonders in der Linkspartei, aber auch in der Union oder in der SPD Leute, die die neue Lage noch nicht wahrgenommen haben. Diese Leute sagen: „Was regt ihr euch auf, das ist doch das normale Verhalten einer Großmacht.“ Klar, auch das gehört zur Debatte. Aber was die Führung der Sozialdemokratie angeht: Dort hat man die Veränderung der Lage sehr realistisch erkannt und daraus Konsequenzen gezogen. Dass dies gelungen ist, ohne in der SPD größere Kontroversen auszulösen, hat mich erfreut. Es überrascht mich aber nicht, dass es Sozialdemokraten gibt, die widersprechen. Das war auch so, als 1990 die neue Lage da war. Und es war auch nicht anders, als einige Mitglieder wegen der Ostpolitik von Brandt und Bahr aus der SPD austraten. Wenn in Debatten grundlegende politische Veränderungen verarbeitet werden müssen, knirscht es immer an der einen oder anderen Stelle. Aber insgesamt ist diese Politik in der SPD-Führung konsolidiert.
Herr Behrends, diese Einschätzung teilen sie vermutlich nicht.
Behrends: Das stimmt. Ich nehme in der SPD eher gemischte Signale wahr. In der Bundestagsfraktion gibt es Leute, die so denken, wie es Karsten Voigt schildert. Aber ich höre auch Stimmen, die vor allem den USA die Verantwortung für die gegenwärtige Krise zuschieben und die wenig Verständnis für die Staaten aufbringen, die zwischen Deutschland und Russland liegen. Gerade was die Ukraine angeht, scheint es mir mit dem beschriebenen Wahrnehmungswandel in der SPD noch nicht so weit her zu sein. Man versucht ja sogar, diese Vorbehalte zu bedienen, wie der Ausspruch von Frank-Walter Steinmeier über das angebliche „Säbelrasseln“ der Nato zeigt. Soll etwa auf diese Weise bereits Wahlkampf betrieben werden? Warum fällt es uns so schwer zu benennen, dass selbstverständlich Russland diejenige Macht in dieser Region ist, die seit langem aufrüstet und eine aggressive Außenpolitik betreibt? Warum wird immer wieder suggeriert, es bestünde zu Kiew und Moskau Äquidistanz? Wir sollten uns nicht scheuen, Partei für die Ukrainer zu ergreifen, die ihre Souveränität und ihren Weg nach Westen verteidigen.
Tun wir das denn nicht genug?
Behrends: Nein. Nehmen wir beispielsweise den Minsk-Prozess. Da wird auf deutscher Seite oft so getan, als sei Russland in der Rolle eines Vermittlers. Dabei ist Moskau der Aggressor. Russische Truppen stehen nun seit zwei Jahren im Donbass. Und wir reden weiter von „Separatisten“. Da übernehmen wir – in Politik und Medien – Moskauer Sprachregelungen, die nicht der Realität entsprechen. Offenbar hofft die deutsche Außenpolitik, mit derartigem Zurückweichen vor dem Konflikt voranzukommen. Ich teile diese Hoffnung nicht. Ich halte die Leisetreterei gegenüber Russland für einen Fehler. Natürlich braucht Diplomatie auch diplomatische Sprechweisen. Aber ich fürchte, da wird manchmal überzogen. Um wirklich wieder substanzielle Verhandlungen in Gang zu bringen, gerade mit Moskau, sollte man sich zunächst einmal über die Faktenlage in Osteuropa verständigen. Das geschieht mir noch viel zu wenig in der deutschen Politik. Wir sollten einen ehrlichen Dialog mit Russland beginnen, bei dem die Verantwortung für Krieg und Konflikt nicht ständig verschleiert wird.
Voigt: Einspruch! Steinmeier hat immer wieder betont, dass Russland die nach 1990 vereinbarten Regeln verletzt hat und auch in Bezug auf seine Werteorientierung nicht mehr auf dem gleichen Boden steht wie wir. Diese Prinzipien spricht er dauernd und wiederholt aus. Ob ein Außenminister darüber hinaus dauernd auf Werterhetorik setzen sollte, darüber kann man streiten. Außenpolitiker müssen immer eine Balance finden zwischen dem, was man rhetorisch in die Diskussion hineinwirft, und dem, was man praktisch zu tun bereit ist. Auf diesen beiden Pfeilern sollte die Politik der Sozialdemokratie beruhen: auf der einen Seite ausreichend Verteidigungsfähigkeit und Abschreckungsfähigkeit, auf der anderen Seite das intensive Bemühen um Kooperation. Das Streben nach Rüstungskontrolle ist kein Geschenk an Russland. Wenn sie erfolgreich sein will, wird sie als Element kooperativer Sicherheit allen nützen müssen. Ich bin sehr skeptisch, wie weit die Russen heute auf die Vorschläge von Steinmeier eingehen werden. Dennoch sollten Sozialdemokraten immer wieder auf kooperative Sicherheit drängen. Das ist ein Teil unserer Identität. Trotzdem könnte es Jahre oder gar Jahrzehnte dauern, die gegenwärtige Konfrontation wieder zu überwinden.
Behrends: Ich glaube, dass Russland heute wieder ein alternatives System zum Westen bietet, ein System, in dem Geld, Macht und persönliche Beziehungen den Rechtsstaat und seine Institutionen ersetzen. Und dieses System versucht Russland aggressiv zu exportieren – mit gewissen Erfolgen im postsowjetischen Raum und auch in Europa. Das sollte auch Sozialdemokraten umtreiben.
Und welche Schlüsse sollten sie daraus ziehen?
Behrends: Wir müssen erkennen, dass unser Einfluss auf das System Putin begrenzt ist. Die Russen treffen ihre Entscheidungen selbst. Und wir haben nicht rechtzeitig begriffen, dass der innere Wandel Russlands mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu einer aggressiven Außenpolitik führen würde. Die Modernisierung und Demokratisierung Russlands ist nicht gelungen – und nun sucht die russische Elite für dieses Scheitern Sündenböcke. Diese Externalisierung der Verantwortung erleben wir jetzt. Schuld sei der Westen, heißt es, was natürlich Unfug ist. Vielmehr ist es offensichtlich so, dass das innere Regime Russlands auf äußere Gegner existenziell angewiesen ist, um seinen Fortbestand zu legitimieren. Wie gehen wir damit um? Was tun wir, wenn dieses Regime ohne Konfrontation nach außen eigentlich gar nicht lebensfähig ist? Und was gewinnen wir, wenn wir diesem Russland weiter Angebote machen?
Voigt: Wenn Russland sich verändern will, dann kann man diesen Prozess durch Angebote und Kooperation unterstützen. Das ist der Sinn von Modernisierungspartnerschaft. Zurzeit sind wir aber in einer Situation, in der sich Russland unter Putin gar nicht im Sinne von Rechtsstaat und Demokratie modernisieren will. Ein konditioniertes Kooperationsangebot sollten wir dennoch aufrechterhalten: Für den Fall, dass ihr euch verändern wollt, bieten wir euch Kooperation an. Für den Fall, dass ihr durch Vereinbarungen die Sicherheit in Europa erhöhen wollt und Zwischenfälle in der Luft oder auf See verhindern möchtet, bieten wir euch Verhandlungen darüber an. Für den Fall, dass ihr erkennt, dass ihr euch ökonomisch in eine Sackgasse begebt, bieten wir euch Kooperationsgespräche an. Das ist der klassische Kern von Entspannungspolitik. Die SPD hat nie gesagt, Kooperation sei jederzeit möglich. Aber sie hat Russland immer Kooperation als Ausweg aus einer Sackgasse angeboten, falls die Russen aus der Sackgasse raus wollen. Das war unsere große Investition nach 1990 – mit begrenzten Erfolgen, weil die russische Politik eine andere Richtung eingeschlagen hat. Trotzdem muss dieses Angebot im Prinzip bestehen bleiben.
Behrends: Das reicht aber nicht. Zu dieser Politik darf nicht nur gehören, dass man dem Kreml sagt: Falls ihr euch modernisieren wollt, helfen wir euch. Berlin sollte auch den Balten deutlich sagen: Falls ihr von Russland angegriffen werdet, stehen wir an eurer Seite. Das ist genau das, was meine osteuropäischen Freundinnen und Freunde vermissen.
Voigt: Nicht nur vielen Sozialdemokraten, sondern allen Deutschen fällt es schwer, das zu sagen. Uns fällt es schwer zu akzeptieren, dass wir, die wir über Jahrzehnte hinweg Nutznießer der Verteidigungsgarantie der USA und Nato waren, jetzt umgekehrt unseren Teil zur Verteidigung oder Sicherheit unserer östlichen Nato-Partner leisten müssen. Und dass wir uns sogar außerhalb Europas im Irak, in Syrien oder in Mali engagieren müssen.
Behrends: Aber wäre es nicht die Aufgabe der deutschen Politik und eben auch der SPD, die veränderte Lage in Osteuropa und ihre Erfordernisse viel stärker einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln? Wir sollten eben nicht den Eindruck erwecken, hier gehe es um ein „Säbelrasseln“ der Nato. Wir sollten klarmachen, dass es sich um einen Prozess handelt, in dem wir versuchen, unsere eigene Sicherheit wiederherzustellen – mit der Komponente der Entspannung, aber wo nötig eben auch mit Abschreckung. Nicht nur die SPD, sondern auch die anderen Parteien sollten die unangenehme Wahrheit vermitteln, dass wir in den nächsten Jahren voraussichtlich kein partnerschaftliches Verhältnis mit Russland haben werden, sondern ein sehr angespanntes.
Voigt: Ja, genau. Trotzdem muss man sich um Kooperation bemühen. Deshalb muss man in der Politik immer sehr genau darauf achten, dass man das, was man konfrontativ artikuliert, auch durchstehen kann. Wenn man gemäß Artikel 5 des Nato-Vertrags gegenüber dem Baltikum in der Beistandspflicht steht, dann muss man wissen, dass man diese Pflicht im Zweifel auch einlösen muss. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass man nicht leichtfertig über Verpflichtungen gegenüber Staaten reden sollte, wenn man nicht bereit ist, sie einzulösen. Es gibt Politiker innerhalb der Nato und in Osteuropa – wie Jarosław Kaczynski und einige Balten –, die sich zu rhetorischen Höchstleistungen aufschwingen. Das nützt nicht, sondern schadet. Eine solche Politik ist kein Vorbild für Deutschland.
Das Gespräch erscheint mit freundlicher Genehmigung der „Berliner Republik“. Eine Langfassung ist unter www.b-republik.de verfügbar.
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