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Deutschland: Aus der Sicht eines Afrikaners

von Martin Leibrock · 24. Dezember 2009
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Im Mittelpunkt des Werkes von Hans Paasche steht der Afrikaner Lukanga Mukara. Nach dem Wunsch seines Königs Ruoma soll er sein Heimatland Kitara verlassen und herausfinden, ob es irgendwo ein Land gibt, dessen Monarch noch großzügiger ist als Ruoma selbst. Um die Reise seines Schützlings zu finanzieren, stattet Ruoma ihn gönnerhaft mit einer großen Viehherde aus Rindern und Ziegen aus. Dieses Zahlungsmittel jedoch tauscht Lukanga schon bald gegen "Metallstücke", und diese wiederum gegen ein "beschriebenes Papier" ein. Er ist beeindruckt, was allein der Name seines Königs Ruoma bewirkt: Überall dort, wo er das Papier vorzeige, bekomme er wieder die Münzen, die er brauche, um sich die erforderliche Nahrung zu kaufen, schreibt er in seinen Bericht. Sein Erkundungsdrang lässt ihn schließlich immer weiter in die Ferne ziehen - bis nach Deutschland.

Briefe an den König
Lukanga, der schon zu Hause Lesen und Schreiben gelernt hat und deshalb an den Hof seines Königs kam, hat kaum Mühe die Sprache des neuen Landes zu lernen. Das öffnet ihm Tür und Tor zur deutschen Gesellschaft. In insgesamt neun Briefen beschreibt Lukanga seinem König seine Eindrücke und Erlebnisse. Einprägsam schildert er jene Beobachtungen, die er als besonders ungewohnt empfindet und die ihn beirren. Alles, was die Deutschen als wertvoll erachten, stellt er in Frage: "Die Eingeborenen des Landes empfinden diesen und noch viel größeren Unsinn als etwas Selbstverständliches, und sie sind so sehr daran gewöhnt, dass sie erschrecken würden, wenn es anders wäre."

Mit seinem Werk tut der Autor etwas "Unanständiges": Er instrumentalisiert die Figur des Afrikaners Lukanga, jedoch wegen eines achtbaren Zieles - und damit etwas "Hochanständigen" . Er lässt den Helden die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse seiner Zeit kritisieren und die wirtschaftlichen Abläufe und deren Konsequenzen transparent machen -nicht um der Kritik willen, sondern um dem Leser die Augen zu öffnen und ihn über Sinnhaftig- bzw. Sinnlosigkeit reflektieren zu lassen: "Er kann doch zu nichts Rechtem Zeit haben, er kann auch nichts Nützliches tun. Er wird immer auf seinen Sachen sitzen müssen, anstatt in die Welt hinausgehen und Lieder kennen zu lernen." Natürlich kratzt er damit am Fundament des gemeinschaftlichen Miteinanders. Ja, er provoziert bewusst!

Botschaften an die Menschen
Es zeugt von enormem Mut und Selbstbewusstsein, dass Paasche im Zeitalter des Kolonialismus, der auch von der Suche nach neuem "Lebensraum" in Afrika geprägt war, den Deutschen deutlich macht, dass sie kein Recht haben, sich als Herrenrasse aufzuführen. Damit opponiert er auch klar gegen die Weltanschauung seines eigenen Vaters. Dieser, Professor für Wirtschaft sowie Mitglied des Reichstags, war davon überzeugt, dass es notwendig ist, die Kolonialgebiete auszudehnen. Sein Sohn Hans löst sich von den Vorurteilen seiner Zeit und fordert eine Veränderung des Denkens. Schonungslos deckt er die Missstände auf.

Interessant ist die Art und Weise wie der Schriftsteller seine Unzufriedenheit etwa mit dem Hurrapatriotismus, dem Raubbau an der Natur, der sozialen Ungerechtigkeit, der Organisation der Arbeitswelt sowie des Verkehrs und Geldwesens zum Ausdruck bringt. Statt plumpe Kritik in schockierenden Bildern zu äußern, lässt er den von der europäischen Kultur unbeeinflussten Lukanga wie ein naives Kind von den Nöten im Land berichten. Dieser kennt beispielsweise keine Alkoholexzesse und schildert stattdessen den bloßen Hergang des "Hineinschüttens". Einfach trefflich!

So gelingt es dem "Urgroßvater" der grünen Bewegung die vermeintlichen Errungenschaften der europäischen Zivilisation auf erfrischende und zugleich satirische Weise bloß zu stellen. Und das, was in dem Spiegel zu sehen ist, den sein Held Lukanga den Menschen vor hält, hat kein Stück an Aktualität verloren.


Von: Martin Leibrock

Hans Paasche: "Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland", Donat-Verl., €12.80, ISBN 978-3-938275-63-4

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