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Deutsch-türkische Beziehungen: „Konfliktgeladene Kooperation“

Die deutsch-türkischen Beziehungen haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Krisen durchlebt, die erneute Annäherung fällt schwer. Wissenschaftler der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul diskutieren die Zukunft dieser Bande – und plädieren angesichts der eingefrorenen EU-Beitrittsverhandlungen für mehr Pragmatismus.
von Kristina Karasu · 31. Mai 2018
Nicht immer ein leichtes Verhältnis: In konservativen türkischen Kreisen gilt es als Schande, wenn man sich deutsch fühlt.
Nicht immer ein leichtes Verhältnis: In konservativen türkischen Kreisen gilt es als Schande, wenn man sich deutsch fühlt.

Mit großen Zielen begann sie vor drei Jahren ihr Studium: im türkischen EU-Ministerium wollte Eda Nur Kurtçu arbeiten, das Politikstudium an der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul sollte sie darauf perfekt vorbereiten. Doch derzeit bangt sie um ihre Zukunft: „Die EU hat die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eingefroren, ich weiß nicht, ob ich jetzt noch einen Job finde. Das Studium ist auf Deutsch, wir haben uns hier auf deutsch-türkische Beziehungen spezialisiert – doch die sind in einem ständigen Auf und Ab. Meine Chancen stehen da schlecht.“

Der Ausnahmeszustand schreckt Ausländer ab

2010 wurde die Türkisch-Deutsche Universität in Beykoz im Norden Istanbuls gegründet, betrieben vom türkischen Staat, inhaltlich betreut von Fakultäten in Deutschland. Sie war ein Barometer für die damals äußerst guten bilateralen Beziehungen. In den letzten Jahren wurde es hingegen immer schwerer, Lehrpersonal aus Deutschland zu bekommen. Ausnahmezustand, autoritäre Politik und Terrorismus schreckten viele ab.

Engagierte Wissenschaftler aus beiden Ländern hingegen wollen die Bande wieder festigen, laden jährlich im Mai zu einer Konferenz in die Universität. Diesmal stehen die Zukunftsperspektiven der EU-Türkei-Beziehungen auf dem Programm.

Türkei als Retter der EU

Alle Redner sind sich einig: schlimmer kann es kaum noch kommen, seit zwei Jahren reiht sich eine Krise an die nächste. Für Politologe Atilla Eralp von der Technischen Universität Nahost in Ankara sind die Beziehungen so schwierig, weil sie so komplex sind: Müssen EU und Türkei doch in den Feldern Migration, Energie, Identität, Wirtschaft, Politik und Sicherheit zusammenarbeiten.

„In der Flüchtlingskrise war die Türkei der Retter der EU“ erklärt Mathias Jopp, Direktor des Institutes für europäische Politik. Wirtschaftlich hängt besonders die Türkei von der EU ab: Deutschland ist das wichtigste Exportland für die Türkei und 70 Prozent ihrer ausländischen Direktinvestitionen kommen aus der EU. Diese gegenseitige Abhängigkeit gestehen sich beide Seiten allerdings nur ungern ein. „Konfliktgeladene Kooperation“ bezeichnet Politologe Eralp den momentanen Zustand.

Negative Rhetorik

Ohne einander geht es nicht, das Miteinander muss neu geregelt werden. Der EU-Beitrittsprozess der Türkei ist dabei das größte Hindernis. Er ist ins Stocken geraten, eingefroren, im Koma – so umschreibt man hier den undefinierten Status Quo. Gleichzeitig scheuen sich Türkei wie EU, den Beitritts-Prozess komplett zu beenden. Das wiederum behindert die Möglichkeiten, ein neues Partnerschaftsmodell zu finden.

Nun sind alle Augen auf Deutschland gerichtet. Berlin sei schon immer entscheidend für den Türkei-Kurs der EU gewesen, sagt die Politologin Ebru Turhan von der Türkisch-Deutschen Uni. Sie hat den Koalitionsvertrag der Bundesregierung genauer unter die Lupe genommen. Darin heißt es: „Die Lage der Demokratie, von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in der Türkei hat sich seit längerem verschlechtert. Deshalb wollen wir bei den Beitrittsverhandlungen keine Kapitel schließen und keine neuen öffnen.“ So eine negative Rhetorik beim Thema Türkei ist ein Novum, betont Turha: „Zudem lässt er offen, welche Bedingungen konkret erfüllt werden müssen, um die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Für mich bedeutet das, dass der Prozess mindestens bis zu den nächsten Bundestagswahlen stillstehen wird.“

Berlin blockiert

Ebenso blockiert Berlins seit letztem Jahr die Aktualisierung der Zollunionsverträge mit der Türkei – für Ankara ein Thema von hoher Priorität. „Noch nie hat Deutschland so offen die Veto-Karte gegenüber der Türkei gespielt“ erklärt Wissenschaftlerin Turha. Ebenso will die Bundesregierung derzeit keine Visa-Freiheiten für Türken, eigentlich eines der Versprechen des Flüchtlingsdeals. Sie begründet das mit der problematischen türkischen Anit-Terror-Gesetzgebung. Allerdings reiste eine Delegation der Europäischen Union am 31. Mai zu Gesprächen zur Visa-Freiheit nach Ankara. Konkrete Ergebnisse dürfte das so schnell nicht bringen. Doch zumindest ist es ein Signal, dass man im Gespräch bleibt.

„Ich empfehle eine pragmatische Haltung für die Zukunft der EU-Türkei-Beziehungen“, plädiert IEP-Direktor Jopp. Politologe Eralp sieht das ähnlich: möglich wären zum Beispiel interessensgeprägte Beziehungen, etwa bei Sicherheit und Migration, regelbasierte Beziehungen, wie das Zollabkommen, oder flexible Kooperationen. Die Beitrittsperspektive will Eralp langfristig jedoch nicht aufgeben. Tatsächlich birgt sie für viele Türken noch immer Hoffnung auf mehr Demokratie, Wohlstand und Freiheiten. Knapp die Hälfe der Türken wollen laut einer aktueller Studie der Kadir-Has-Universität Istanbul noch immer in die EU. Zugleich glauben mittlerweile 81,3 Prozent nicht mehr daran, dass dies auch eines Tages Wirklichkeit wird. Im Jahr 2015 waren nur 47,6 Prozent der Türken dieser Meinung.

Die deutsche Studentin Friederike Hietscher, seit drei Jahren an der Türkisch-Deutschen Uni, versteht mittlerweile den Frust ihrer türkischen Freunde, so lange vor den Toren der EU warten zu müssen: „Reale politische Probleme der Türkei stehen hier dem Gefühl gegenüber, dass die EU das Land sowieso nie aufnehmen will.“ Sie selbst ist dankbar für die Erfahrungen, die sie in der Türkei macht, fühlt sich zum Erstaunen ihrer Verwandten heimisch in der Stadt am Bosporus: „Jeden Tag lerne ich mehr und mehr die Feinheiten dieser Kultur kennen“. Damit entwickelt sie sich zumindest im Kleinen zur Botschafterin deutsch-türkischer Beziehungen.

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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