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Der Syrienkrieg – ein russisches Versuchslabor für den Ukrainekrieg?

Vor elf Jahren begann der syrische Bürgerkrieg. Auch damals gab es „humanitäre Korridore“. Doch was nach der Evakuierung der Menschen geschah, lässt Schlimmstes für das Vorgehen Russlands in der Ukraine erahnen.
von Jörg Armbruster · 14. März 2022
Bilder von den Zerstörungen im syrischen Bürgerkrieg: Das Vorgehen Russlands dort könnte letztlich ein Versuchslabor für den Ukrainekrieg gewesen sein.
Bilder von den Zerstörungen im syrischen Bürgerkrieg: Das Vorgehen Russlands dort könnte letztlich ein Versuchslabor für den Ukrainekrieg gewesen sein.

Humanitäre Korridore mitten im Krieg – so etwas ähnliches hat man doch schon früher einmal gehört. Richtig! In Syrien. Vor etlichen Jahren. Genauer gesagt im Zusammenhang mit der erbarmungslosen Belagerung der Region Ost-Ghouta nahe Damaskus und der Bombardierung Aleppos. Auch damals waren russische Soldaten und russische Kampfflugzeuge unmittelbar beteiligt. Auch damals spielten solche angeblich „menschlichen Korridore“ eine wichtige Rolle. In Wirklichkeit waren sie Teil einer Taktik, die so etwas wie Humanität mitten in einem erbarmungslosen Krieg vortäuschen sollte, tatsächlich aber die völlige Zerstörung des Gegners einleitete. Ein kurzer Hoffnungsschimmer also, ehe die russische Militärmaschine umso brutaler zuschlug.

Parallelen zwischen Syrien und Ukraine

Kurze Rückblende in den März 2018. Um die von Assad-Truppen eingeschlossene Region Ost-Ghouta tobt seit fünf Jahren ein erbitterter Krieg zwischen syrischen Armee und Djihadisten-Milizen, zu denen auch Ableger von Al-Qaida gehören. Das inzwischen ausgelaugte Heer des syrischen Diktators wird unterstützt von irantreuen Milizen. Sein wichtigster Verbündeter aber ist Russland, ohne dessen Intervention drei Jahre zuvor Assad vermutlich nicht mehr im Präsidentenpalast säße.

Im Februar 2018 greift die in Syrien stationierten Luftwaffe Putins massiv in die Kämpfe um Ost-Ghouta ein. Seine Kampfflugzeuge fliegen schwerste Angriffe gegen diese Rebell*innen, begleitet von einem schonungslosen Flächenbombardement der Artillerie Assads, obwohl bekannt ist, dass noch hunderttausende Zivilist*innen in der Region leben. Tausende sterben oder werden verletzt. Ganze Straßenzüge in Trümmern. Die Bilder der zerstörten Orte in Ost-Ghouta gleichen denen, die uns heute aus der Ukraine erreichen. Es gibt aber noch weitere Parallelen zwischen dem Krieg in Syrien und dem in der Ukraine: zum Beispiel diese „humanitären Korridore“.

Vorübergehende Waffenruhe

Nach dem Dauerbeschuss bietet Ende März 2018 das russische Militär den Rebell*innen einen vorübergehenden Waffenruhe an, um die Evakuierung von Zivilist*innen und aufgabewilliger Kämpfer*innen, einschließlich deren Angehörigen  zu ermöglichen. Von einem humanitären Korridor sprachen die russischen Kommandeure schon damals. „Wir sind doch auch Menschen“, sollte das wohl heißen. In den ersten Tagen verlassen so tatsächlich etwa 7.000 der Eingeschlossenen die Region.

Ein Konvoi von mehr als 100 Bussen bringt sie in die von Djihadist*innen besetzten nordsyrische Provinz Idlib. Solche Bilder von Buseskorten kennen wir heute aus der Ukraine. Zivilist*innen werden aus den Kampfgebieten evakuiert, zurückbleiben ukrainische Soldat*innen. In der brutalen Vorstellungswelt Putins sind sie nichts als Nazisöldner*innen, die es nun zu vernichten gilt. In Syrien erklärten Putin und Assad die Nichtevakuierten zu Terrorist*innen, die liquidiert werden müssen. Ganz offensichtlich hat sich außer bei den Begriffen nichts geändert in der Gedankenwelt des russischen Kriegstreibers.

Zerstörung einer gesamten Region

Die Vernichtung der Djihadist*innen in Ost-Ghouta besorgte die russische Luftwaffe gründlich. Unmittelbar nachdem der Exodus durch den „humanitären Korridor“ beendet war,  begann die endgültige Zerstörung der Region. Bombardierung aus der Luft, Artilleriedauerbeschuss und wieder Bomben vom Himmel. Der größte Ort der Provinz, die Stadt Duma – bald ein einziges Trümmerfeld. Krankenhäuser, Wasser- und Elektrizitätswerke gezielt zerstört, so wie russische und syrische Flugzeuge schon zwei Jahre zuvor Aleppo systematisch in Schutt und Asche gebombt hatten. So wie es die russischen heute in der Ukraine machen. Auch Marktplätze beschossen sie, besonders dann, wenn die Pilot*innen sahen, dass sich vor Bäckereien lange Schlangen gebildet hatten. Städte und Dörfer sollten unbewohnbar werden.

Für russische Waffenentwickler*innen erfüllte sich mit dieser Zerstörungsorgie noch ein ganz besonderer Wunschtraum, bot sie doch Gelegenheit, mitten im Krieg neue Waffen zu testen. Nicht simuliert oder auf einem militärischen Testgelände, sondern in richtig bewohnten Städten, am lebenden Objekt gewissermaßen. Sogenannte Vakuumbomben zum Beispiel, die durch einen riesigen Feuerball der Luft den Sauerstoff entziehen. Laut Süddeutscher Zeitung haben Augenzeug*innen gesehen, wie der Sog Menschen den Brustkorb aufriss und Gebäude bersten ließ. Ebenso experimentierte die russischen Kampfflieger*innen mit international geächteten Streubomben, die angeblich auch schon im Ukraine-Krieg eingesetzt worden sind.

Syrienkrieg lässt Schlimmstes ahnen

Besonders litt die Stadt Duma unter dem Bombenterror. Und obwohl die zurückgebliebenen Rebell*innen kurz vor dem Aufgeben standen, setzte Assad mit Wissen der russischen Kommandeur*innen in Syrien seine schlimmste Waffe ein. Im April 2018 schickte er einen Helikopter nach Duma, aus dem die Besatzung einen Kanister mit dem verbotenen Kampfstoff Chlorgas auf Wohngebiete abwarfen. Die Angaben über Tote schwanken zwischen 25 und einem Vielfachen. Insgesamt sind allein in der ersten Wochen nach der Evakuierung mindestens 1.800 Menschen gestorben.

Der Syrienkrieg – für Putin wohl nicht viel mehr als ein riesiges Versuchslabor, um neue Waffen zu testen und Vernichtungsstrategien zu erproben. Und all das lässt ahnen, was auf die Städte und Dörfer der Ukraine zukommen wird.

Autor*in
Jörg Armbruster am Stand des vorwärts-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse.
Jörg Armbruster

war langjähriger ARD-Korrespondent für den Nahen Osten.

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