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Der schwierige Gast

Heute besucht Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi erstmals Deutschland. Der Besuch ist umstritten, denn in Ägypten werden Oppositionelle verfolgt und getötet. Für die deutsche Regierung und Wirtschaft ist das offenbar kein Problem.
von Jörg Armbruster · 3. Juni 2015
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Eigentlich sollte einen Tag vor dem Besuch des ägyptischen Präsidenten al-Sisi in Berlin ein ägyptisches Gericht das Todesurteil gegen dessen gewählten Amtsvorgänger  Mohamed Moursi  bestätigen oder verwerfen. Doch hätte das alles andere als gut ausgesehen, weder für den Gast al Sisi noch für die Bundesregierung als Gastgeber. Die Richter vertagten daher diese Entscheidung über Leben oder Tod des Moslembruders auf den 16. Juni.

Begründung: erst am Vormittag des 2. Juni sei das Rechtsgutachten des Großmuftis von Ägypten eingetroffen, und es müsse erst studiert werden. Dieser höchste religiöse Würdenträger des Landes muss zu jedem Todesurteil ein religiöses Gutachten abliefern. Diese Vertagung ist also sicherlich kein Zufall. Das Urteil gegen den Moslembruder, der noch im Januar 2013 selber in Berlin der Kanzlerin die Hand geschüttelt hatte, war nicht nur von der Bundesregierung scharf kritisiert worden.

Rachefeldzug gegen die Moslembrüder?

Der Aufschub soll zweifellos dazu beitragen, den Besuch des ägyptischen Präsidenten und Ex-Generals Abdel Fattah al-Sisi, der im Juni 2013 Moursi gestürzt hatte, in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Denn seine Visite ist auch ohne diese Kapitalstrafe schon heftiger Kritik ausgesetzt, in erster Linie  wegen der massiven Menschenrechtsverletzungen in seinem Land, der Polizeifolter, der Willkür ägyptischer Justiz, die inzwischen derartig viele Todesurteile gegen Funktionäre der Moslembruderschaft verhängt hat, dass Menschenrechtsorganisationen mittlerweile von einem staatlichen Rachefeldzug gegen diese Islamistenpartei reden. Mehrere hundert hohe Funktionäre sitzen in Todeszellen. Unter ihnen Chairat al-Shatar, Mohamed Badie und Mohammed Beltagi, alle drei wichtige Führungsfiguren der vor Anderthalbjahren zur Terrororganisation erklärten Bewegung der Moslembrüder.

Aber nicht nur sie werden von den ägyptischen Sicherheitskräften verfolgt, eingesperrt und oft genug auch in Polizeigefängnissen gefoltert. Festgenommen werden genauso Menschenrechtsaktivisten, Funktionäre linker Parteien, ehemalige Tahrir-Platz-Aktivisten, Blogger oder a-Sisi-Kritiker ­– eben alle, die im Verdacht stehen, zu einer Opposition zu gehören. Selbst Minderjährige sind kürzlich wegen des Verstoßes gegen das Demonstrationsgesetzt zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.

Viele Tote in ägyptischen Gefängnissen

Dass 36 solcher Gefangenen bisher in Polizeigefängnissen gestorben sind, hat selbst das ägyptische Innenministerium inzwischen eingestanden. In Wirklichkeit sind es fast hundert, hat dieser Tage die ägyptische NGO „Nationales Komitee für Menschenrechte“ vorgerechnet. „Nach 2011 hatte es lange so gut wie keine Todesfälle in Gefängnissen mehr gegeben, inzwischen ist dieses Phänomen aber zurückgekehrt. Wir haben keine Beweise, dass Polizeifolter die Todesursache ist, aber es spricht auch nichts dagegen“, schreibt diese Organisation vorsichtig in einem am 31. Mai veröffentlichten Gutachten.

Eine andere Menschenrechtsorganisation, das „Arabische Netzwerk für Menschenrechte“, kritisierte am selben Tag, dass inhaftierte Aktivisten oft Monate wenn nicht gar Jahre auf einen Prozess warten müssten.

Enge Zusammenarbeit mit deutschen Behörden

Für deutsche Polizeibehörden ist das offensichtlich kein Problem. Sowohl Bundespolizei  wie auch das BKA arbeiten inzwischen wieder eng mit genau jenen ägyptischen Sicherheitsbehörden zusammen, denen Polizeiwillkür und Folter vorgeworfen wird. Enge Kooperation gibt es offensichtlich beim Anti-Terrorkampf, aber auch bei der Absicherung von Großveranstaltungen wie Fußballspielen. Beides hat scheinbar wenig miteinander zu tun. Doch in Ägypten versteht man unter „Terroristen“ etwas anderes als in Deutschland.

Ein Gericht in Kairo hatte vergangene Woche die Ultras zweier Kairoer Fußballklubs zu Terroristen erklärt und sie damit praktisch vogelfrei gemacht. Diese Ultras, sicherlich nicht gerade gewaltferne Fußballfreunde, hatten im Januar 2011 auf der Seite der Tahrir-Platz-Demonstranten eine schlagkräftige  Rolle gespielt, als sie den Platz an vorderster Front gegen Polizei und von  Mubaraks Innenminister geschickten Schlägertrupps verteidigten. Das also ist Ägypten heute. „Es ist schlimmer als unter Mubarak“, ein Satz, der in Ägypten immer wieder zu hören ist.

Gute Geschäfte mit europäischen Unternehmen

Der Deutschlandbesuch des ägyptischen Autokraten al-Sisi ist nicht seine erste Reise in ein EU-Land. Im vergangenen Jahr hatte Francois Hollande ihn schon in Paris empfangen, im April ist er nach Zypern und nach Spanien gereist. Moskau stand auch schon auf seinem Reisprogramm. Jedes Mal war es um ähnliche Fragen gegangen, um Sicherheit, besonders in Libyen, natürlich um den Kampf gegen den IS, der ohne Ägypten nur schwer geführt werden kann. Sowohl im Nachbarland Libyen hat der selbsternannt Kalif inzwischen begeisterte Anhänger wie auch auf dem Sinai.

Es ging aber auch um Geschäfte. Frankreich und Spanien unterschrieben Investitionen in Millionenhöhe, auf Siemens wartet ein Milliardengeschäft, wenn der Energiespezialist  tatsächlich den Zuschlag erhält, Kraftwerkkapazitäten in Höhe von sechs Gigawatt aufzubauen, ein dickes Geschäft im notorisch unter Strommangel leidenden Land.  1000 Arbeitsplätze sollen durch diese Investitionen in Deutschland geschaffen werden, die Mitarbeiterzahl bei Siemens in Ägypten soll sich verdreifachen, schrieb die „Welt“ im März anlässlich einer Investorenkonferenz in Sharm-el-Scheich.

Ein Besuch mit viel Harmonie, tiefem Respekt und reichen Erträgen also? Kaum. Kurz bevor der rote Teppich ausgerollte wird und die Kanzlerin den Präsidenten begrüßt, haben Ägyptische Behörden dem bundesdeutschen Gastgeber noch eine ordentliche Ohrfeige verpasst. Dem prominenten Bürgerrechtler Mohamed Lotfy verweigerten sie am 2. Juni die Ausreise. Er ist  Exekutivdirektor der „Egyptian Commission for Rights and Freedoms“ (ECRF) und sollte am Abend vor dem Besuch auf Einladung der Bundestagsfraktion der Grünen in Berlin über die Menschenrechtslage in seiner Heimat referieren. Al-Sisi scheint dieses Thema nicht gerade zu lieben.

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Autor*in
Jörg Armbruster am Stand des vorwärts-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse.
Jörg Armbruster

war langjähriger ARD-Korrespondent für den Nahen Osten.

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