Anna Politkowskaja war eine herausragende Journalistin. Sie hat vor allem - nicht ohne Angst, wie sie einmal sagte, über die Kriege in Tschetschenien berichtet, die Menschenrechtsverletzungen in der kleinen Kaukasusrepublik dokumentiert. Wladimir Putin hat sie Staatsterrorismus vorgeworfen. Ihr letzter Artikel wurde in der Novaja Gazeta nach ihrem Tod veröffentlicht. Darin beschreibt sie, wie von der russischen Regierung unterstützte tschetschenische Truppen Zivilisten quälen und foltern. Wladimir Putin nannte die Arbeit der Ermordeten unbedeutend.
In den vergangenen knapp 20 Jahren sind in Russland 52 Journalisten ermordet worden. In 18 Fällen wurden die Täter nicht ermittelt. Eine unbekannte Zahl von Journalisten wurden im gleichen Zeitraum geschlagen, verfolgt, bedroht oder eingesperrt, nachdem sie über illegale Geschäfte von Regierungsmitgliedern oder Militärs berichtet hatten.
Anna Politkowskaja war bekannt für ihre hartnäckigen, genauen Recherchen über die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien. Sie war sowohl der russischen wie auch der tschetschenischen politischen Führung ein Dorn im Auge. Sie wusste, dass es in ihrem Land, für Richter und Anwälte, für Polizisten und Journalisten lebensgefährlich werden kann, wenn gegen die Spitzen von Politik, Militär und Wirtschaft ermittelt oder berichtet wird.
Es soll einen zweiten Prozess geben
Fünf Jahre nach dem Mord sind die mutmaßlichen Täter bekannt. Nicht bekannt ist, wer den Auftrag sie umzubringen erteilt hat. Kam der Befehl aus dem Kreml? Oder hat ihn der tschetschenische Alleinherrscher Ramsan Kadyrow erteilt? Die dritte Version ist, es war der im Londoner Exil lebende russische Oligarch Boris Abramowitsch Beresowski. Stimmt es, dass drei tschetschenische Brüder aus einem kleinen Nest am Fuße des Kaukasus den Auftragsmord begingen? Ihr grüner Lada stand jedenfalls am Tattag in der Nähe von Politkowskajas Wohnung. Einer der Brüder wurde Ende Mai in Tschetschenien verhaftet. Ebenso wie ein ehemaliger russischer Geheimdienstoffizier. Ein Oberstleutnant. Der ist nach dem bisher bekannten Ermittlungsstand Mittäter und Kronzeuge in einer Person.
Fünf Jahre nach dem Mord an Anna Politkowskaja soll es einen zweiten Prozess geben. Dank der Nachforschungen und Recherchen ihrer Zeitung Novaja Gazeta, einem kleinen und nach wie vor unabhängigen Blatt, das von der Kremlhierarchie nicht geliebt wird. Eine der Spuren führt nach Tschetschenien. In ein kleines Dorf an den Ausläufern des Kaukasus. Dort wie der Diktator Ramsan Kadyrow verherrlicht wird.
Diesen Kadyrow hatte Anna Politkowskaja als einen "bis an die Zähne bewaffneten Feigling" bezeichnet. Dem 34jährigen werden seit Jahren auch von Menschenrechtsorganisationen Entführungen, Folter und Todschlag vorgeworfen. Unter anderem soll er auch mit dem Mord an der russischen Menschenrechtsaktivistin Natalja Estemirowa zu tun haben.
Wie es um die Demokratie und das politische System in Russland steht, zeigt unter anderem der Umstand, dass die Novaja Gazeta keine Reporter mehr in den Kaukasus schickt. Zu gefährlich. Also gibt es keine kritische, investigative Berichterstattung über Tschetschenien mehr.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).