International

In der Luft hängt Verwesungsgeruch

von Jörg Hafkemeyer · 21. Juli 2014

An der Absturzstelle der in der Ostukraine abgeschossenen Passagiermaschine untersuchen niederländische Experten die Leichen. Doch das ist nur ein Anfang, noch immer wird die Aufklärung der Katastrophe behindert. Der Krieg geht derweil weiter.

Es gibt nach wie vor keine Gespräche zwischen den in der Ostukraine Krieg führenden Parteien. Es gibt nach dem mutmaßlichen Abschuss der malaysischen Passagiermaschine am vergangenen Donnerstag weiterhin keinen ungehinderten Zugang für internationale Experten, um den Absturz und dessen Ursachen zu untersuchen. In der Stadt Donezk wird gekämpft. Viele Menschen fliehen aus der Stadt, in der es zu Artilleriegefechten gekommen ist.

In den westlichen Hauptstädten Paris, London, Washington und Berlin wachsen Zorn und Entsetzen über das Verhalten der russischen Regierung und der von ihr unterstützten Banden. „Die Bilder und Berichte von der Absturzstelle über das Verhalten betrunkener, verrohter Separatisten sind verstörend", kritisiert Rolf Mützenich, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

Offiziell hat die Bundesregierung Wladimir Putin in den vergangenen Tagen nicht kritisiert. Sie will die Verbindungen mit ihm nicht abbrechen lassen. Der Außenpolitiker Mützenich jedoch zielt mit seiner Kritik auch auf die unmittelbare Umgebung des russischen Präsidenten: „Putins Vertraute versteigen sich in Verschwörungstheorien. Diese würden wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen, wenn die Experten vor Ort endlich ungestört ihre Arbeit tun könnten. 

Werden Dienstag neue Sanktionen beschlossen?

Gespräche zwischen den in der Ukraine kämpfenden Parteien finden weiterhin nicht statt. Das ist ein Thema, das am Dienstag die EU-Außenminister bei ihrer Zusammenkunft in Brüssel beschäftigen wird. Und natürlich werden sie sich darüber unterhalten, ob und welche verschärften Sanktionen es gegen Moskau geben kann, falls die Regierung in Moskau nicht bei der Aufklärung der Absturzursache mithelfen wird.

Die britische Regierung fordert, Moskau müsse mehr tun. In Washington, Paris sowie in Berlin wird das nicht anders gesehen. Erstmals äußerte sich Waldimir Putin in einer Fernsehansprache und forderte die Separatisten auf, internationalen Experten freien Zugang zu Absturzstelle zu gewähren. Dessen ungeachtet hat Russland, nach allem, was bekannt ist, seine propagandistische, logistische und militärische Unterstützung für sie nicht eingestellt.

Paramilitärische Separatisten-Einheiten versuchen nach vorliegenden Berichten, einen Vorstoß ukrainischer Panzer und Soldaten in die Stadt Donezk zu verhindern. In der Stadt wird vor allem in der näheren Umgebung des Bahnhofs mit schwerer Artillerie geschossen. Ein Armeesprecher in Kiew sagte dazu nur: „Die Militäroperation ist in einer aktiven Phase.“ Sehr viele Menschen, Zahlen sind nicht bekannt, flüchten aus der Kampfzone. Ihre Versorgung, das gilt auch für Wasser und Strom, ist größtenteils zusammengebrochen.

Drei Experten an der Absturzstelle

Unterdessen sind an der Absturzstelle drei niederländische Experten eingetroffen, die die Reste der vielen Toten untersuchen sollen. Die liegen in Plastiksäcken und die wiederum liegen in fünf Eisenbahnwaggons in der Nähe des Ortes der Verwüstung. Dieser Totenzug wird von Separatisten bewacht. Augenzeugen berichten von schrecklichen Zuständen. Ein starker Verwesungsgeruch hängt über den Wagen. Von den 298 Toten sollen bisher 251 geborgen worden sein.

Die Regierung in Kiew würde den Niederländern gerne die Aufklärung der Ursachen des Absturzes wie auch die Identifizierung der Toten überlassen. Wladimir Putin sagte: „Alles muss getan werden, um die Sicherheit der internationalen Experten am Ort der Tragödie zu gewährleisten.“ An der ist aus russischer Sicht natürlich Kiew schuld. Dennoch hat Präsident Putin in einem Telefonat mit dem Niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte gesagt, er wolle bei der Aufklärung des wahrscheinlichen Abschusses der malaysischen Boeing voll kooperieren. Wie diese Kooperation aussehen soll, ist bisher unklar. Und ob sie angesichts der fürchterlichen Lage vor Ort zu Ergebnissen führt, ebenfalls.

Nach allem was bekannt ist, ist das Interesse in Moskau wie in der Ostukraine an der Aufklärung der Absturzursache sehr gering. Das gilt auch für Gespräche, die zu einem Waffenstillstand führen könnten. Währenddessen greifen ukrainische Armeeeinheiten weiter an. Viel mehr als das, was da aufgeboten wird, hat das Verteidigungsministerium in Kiew nicht zu bieten. Das wissen auch die Separatisten und die Kommandeure der russischen Einheiten auf der anderen Seite der nahegelegenen Grenze, die von beiden nicht respektiert wird und von der Ukraine in dieser Situation nicht kontrolliert werden kann.

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

0 Kommentare
Noch keine Kommentare