Der kleinste gemeinsame Nenner heißt Francois Hollande
Als die französischen Sozialisten am Sonntagmorgen aufwachten, war die mühsam zur Schau gestellte Einigkeit dahin. Denn der Parteilinke Arnauld Montebourg hatte sich in der Sonntagszeitung "Journal du Dimanche" zu Wort gemeldet. Der frühere Industrieminister, der nun im Aufsichtsrat der Möbelkette Habitat sitzt, war nicht zum Parteitag in Poitiers gekommen. Doch aus der Ferne wählte er die offenen Worte, die in Poitiers fehlten. "Wir steuern direkt auf das Desaster zu", warnte Montebourg in einem zusammen mit dem Banker Matthieu Pigasse verfassten Beitrag. Der Grund: "Die Demokratie ist gefährdet, denn der Vormarsch des Front National (FN) ist so schwerwiegend wie spektakulär."
Sozialisten verlieren Wähler an den Front National
Die Zahlen geben dem Vorwahlkandidaten von 2011 Recht. Die Rechtsextremen haben inzwischen einen stabilen Wähleranteil von rund 25 Prozent. Die Partei von Marine Le Pen nimmt auch den Sozialisten massenhaft die traditionellen Wähler weg: bei der Europawahl im vergangenen Jahr stimmte fast jeder zweite Arbeiter für den FN. Der Parti Socialiste (PS), der als Regierungspartei die Rekordarbeitslosigkeit nicht in den Griff bekommt, erlitt dagegen seit 2012 vier Wahlniederlagen in Folge.
Der Parti socialiste fehlt es an Ideen
Rund 40.000 Mitglieder hat der PS seit dem Amtsantritt von Präsident François Hollande vor drei Jahren verloren. Und auch der erste Parteitag seit zweieinhalb Jahren konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der Regierungspartei an Ideen fehlt. Der Messesaal in Poitiers war meist nur halb gefüllt – kein Vergleich zur Aufbruchstimmung 2012 in Toulouse. Beklatscht wurde vor allem die Parteilinke, die sich allerdings nicht traute, die Politik der Regierung offen anzugreifen. "Der Kongress hat eine auf sich selbst bezogene Partei im Leerlauf gezeigt", schreibt die Zeitung "Le Monde". Der kleinste gemeinsame Nenner der Sozialisten heißt Francois Hollande. Dieser Name war es denn auch, der in Poitiers die meiste Begeisterung hervorrief. "Seien wir stolz auf den Präsidenten, der die Stimme Frankreichs in der Welt ist", forderte Regierungschef Manuel Valls die Parteimitglieder auf und erntete damit minutenlangen Applaus und stehende Ovationen. Für die Anhänger des Regierungskurses war damit klar, dass der Präsident, dessen Zustimmungswerte nur bei knapp über 20 Prozent liegen, der natürliche Kandidat der Sozialisten für 2017 ist.
Linke setzte sich nicht durch
Und sogar das Lager der Parteilinken wagte es nicht, sich gegen den Staatschef zu stellen. "Die sozialliberale Politik vergisst das Soziale", bemerkte Christian Paul eher zaghaft. Kein Vergleich zu den kernigen Worten, die der Anführer der parteiinternen Rebellen, der "Frondeurs", sonst wählt. Nur rund 30 Prozent Zustimmung bekam seine "Motion B", über die die Mitglieder im Vorfeld abgestimmt hatten. Die Mehrheit der Parteimitglieder votierte für den Leitantrag von Parteichef Jean-Christophe Cambadélis, der zur Konfrontation mit den Konservativen in Europa, vor allem der CDU/CSU, auffordert.
Nächste Nagelprobe in der Nationalversammlung
"Der linke Parteiflügel hat dieses Ergebnis akzeptiert", interpretierte der sozialistische Kommunalpolitiker Jérôme Safar die Stimmung auf dem Parteitag. Die Delegierten hätten sich hinter Valls gestellt, der beim Sommertreffen der Sozialisten im vergangenen Jahr noch ausgepfiffen worden war. Ob Valls tatsächlich die Unterstützung der ganzen Partei hat, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Dann debattiert die Nationalversammlung über das umstrittene Gesetz von Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, das die Zulassungsregeln für reglementierte Berufe wie Notare lockern soll. Außerdem soll mehr Sonntagsarbeit erlaubt werden, was die Parteilinke scharf kritisiert. Aus Angst vor einer Abstimmungsniederlage hatte Valls im Februar einen Verfassungsartikel angewandt, der die Verabschiedung der "loi Macron" auch ohne Votum in der Nationalversammlung erlaubt. Ein zweites Mal wäre derselbe Kniff peinlich – für Valls und die Sozialisten.