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„Der europäische Wiederaufbauplan muss historisch einzigartig werden.“

Am Mittwoch will die EU-Kommisssion ihren Vorschlag für ein Wiederaufbauprogramm nach der Corona-Krise vorlegen. SPD-Europaparlamentarier Joachim Schuster sagt, worauf es dabei ankommt und warum an gemeinsamen Schulden kein Weg vorbeiführt.
von Kai Doering · 18. Mai 2020
Wichtig ist, dass mit einem europäishen Wiederaufbauprogramm für die Wirtschaft gleichzeitig auch Beschäftigung geschaffen wird, meint SPD-Europaparlamentarier Joachim Schuster.
Wichtig ist, dass mit einem europäishen Wiederaufbauprogramm für die Wirtschaft gleichzeitig auch Beschäftigung geschaffen wird, meint SPD-Europaparlamentarier Joachim Schuster.

Vor etwa zehn Jahren hat die Finanzkrise die EU erschüttert. Welche Lehren von damals können helfen, die Coronakrise zu meistern?

Es ist nicht ganz einfach, Parallelen zwischen der Coronakrise heute und der Finanzkrise von 2008 und 2009 zu ziehen, weil letztere rein ökonomisch bedingt war und auch unterschiedlich auf einzelne Staaten gewirkt hat. Wichtig ist aber heute wie damals, dass alle Staaten die Möglichkeit erhalten, gut aus der Krise herauszukommen und die Krise nicht zu einer Vertiefung der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten führt. Ich hoffe sehr, das gelingt uns diesmal besser als damals.

Die EU-Kommission hat für den 27. Mai einen Billionen schweren Wiederaufbauplan nach Corona angekündigt. Hat es ein vergleichbares Programm in der Geschichte der Europäischen Union schon einmal gegeben?

Nein, dieser Wiederaufbauplan muss historisch einzigartig werden – weil die Herausforderung auch einzigartig ist. Die Schwierigkeit dabei ist, dass wir die Grundlage des Handelns noch nicht vollständig kennen. Im Moment handeln wir so, als könnte es keine zweite oder sogar dritte Welle der Infektionen geben. Bereits jetzt müssen wir von einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um bis zum zehn Prozent ausgehen. Und dieses Defizit könnte sogar noch zunehmen. Der wesentliche Unterschied etwa zum Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ist, dass der Produktionsstock nicht zerstört ist. Trotzdem müssen wir stark darauf achten, dass die Unternehmen die Krise im Großen und Ganzen gut überstehen und es nicht im großen Stil zu Insolvenzen kommt, etwa im Luftfahrtbereich oder im Tourismus.

Ursprünglich sollte die Kommission den Plan am 6. Mai vorstellen. Nun ist das auf Ende Mai verschoben worden. Woran liegt das?

Da kann ich nur mutmaßen. Im besseren Fall liegt es einfach daran, dass es alles andere als leicht ist, solch einen Plan zu erarbeiten. Die schlechtere Variante wäre, dass die Unterschiede zwischen den Positionen der Mitgliedstaaten so groß sind, dass sie eine Einigung schwierig machen. Ich denke da etwa an die Frage, inwieweit man für den Wiederaufbau auf eine europäische Verschuldung zurückgreifen muss. Die Debatte über dieses hochumstrittene Instrument könnte der Grund sein, dass sich die Kommission bisher nicht getraut hat, ihren Wiederaufbauplan vorzulegen. Das wäre allerdings ein fatales Zeichen der Schwäche.

Die Vergemeinschaftung von Schulden – Stichwort Coronabonds – war ja in den vergangenen Wochen bereits der große Streitpunkt. Kann die Krise ohne eine solche Regelung überhaupt überwunden werden?

Aus meiner Sicht ist eine Vergemeinschaftung von Schulden unverzichtbar, weil die Krise die Staaten unverschuldet unterschiedlich stark getroffen hat. Länder wie Italien und Spanien stehen inzwischen mit dem Rücken an der Wand.  Das bedeutet, dass sie nur wenige Möglichkeiten haben, über eine eigene zusätzliche Verschuldung ihrer Wirtschaft Impulse zu geben. Nicht alle haben so große Spielräume wie zurzeit Deutschland. Deshalb brauchen wir, wenn wir die Eurozone erhalten wollen, ein europäisches Verschuldungsinstrument. Ich würde das auch gar nicht negativ sehen, denn all diese Schulden sind Zukunftsinvestitionen.

Wissen Sie bereits, welche Schwerpunkte im Wiederaufbauprogramm gesetzt werden sollen?

Ursula von der Leyen hat davon gesprochen, dass ein Verschuldungsinstrument Teil des Wiederaufbauprogramms sein soll, ohne allerdings zu sagen, wie das konkret aussehen soll. Sie hat auch gesagt, dass das Wiederaufbauprogramm in den europäischen Haushalt eingebettet werden soll. Und sie hat angekündigt, dass der Wiederaufbau mit einer Modernisierung der Wirtschaft verbunden werden soll. Das sind auch die Dinge, die uns Sozialdemokraten vorschweben. Entscheidend wird am Ende sein, welche Summen dahinterstehen. Da hält sich Frau von der Leyen bisher sehr bedeckt. Die wichtigste Frage ist damit bisher nicht beantwortet.

Sie und die übrigen SPD-Europaabgeordneten machen sich vor allem dafür stark, dass der klimaverträgliche Umbau der Wirtschaft – Stichwort Green Deal – im Mittelpunkt stehen sollte. Wie groß sind die Chancen, dass es dazu kommt?

Diese Frage wird sicher eine große Auseinandersetzung werden. Klar ist, dass das Problem des Klimawandels durch die Coronakrise nicht gelöst wurde, sondern weiter besteht. Wenn wir jetzt ein Zukunftsprogramm auflegen, müssen wir auch gleichzeitig die bestehende Herausforderungen angehen. Reine Abwrackprämien etwa wie sie gerade für die deutsche Autoindustrie diskutiert werden, helfen uns nur dann weiter, wenn wir sie mit der Frage der E-Mobilität verbinden. Wir dürfen auf keinen Fall Geld für Technologien von gestern ausgeben.

Welche sozialen Fragen sollten beim Wiederaufbau besonders berücksichtigt werden?

Wichtig ist, dass mit einem Programm für die Wirtschaft gleichzeitig auch Beschäftigung geschaffen wird. Das bedeutet konkret, dass wir das Kurzarbeiterprogramm wahrscheinlich über längere Zeit aufrechterhalten müssen. Im Mittelpunkt steht dabei aus meiner Sicht vor allem der Tourismussektor, der mit drastischen Einbrüchen zu kämpfen hat. Gleiches gilt für das Gastgewerbe.

Sie fordern auch, die Steuerpolitik „gemeinsam neu auszurichten und stärker zu harmonisieren“, um die Coronakrise zu bewältigen. Woran denken Sie dabei?

Wir wollen kein Steuerdumping für Unternehmen in Europa. Eine Harmonisierung der Körperschaftssteuer wäre deshalb nötig und sinnvoll. Ähnlich sieht es bei der Finanztransaktionsteuer aus und auch bei der Digitalsteuer. Ich denke dabei nicht an eine ewige Verschuldung. Schuldendienste müssen auch erfüllt werden und Unternehmen, die von Schulden profitieren, müssen eine solche Harmonisierung auch mit finanzieren. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne massenhaft Schulden aufnehmen und das koste niemanden etwas.

Das Bundesverfassungsgericht hat Anfang Mai den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB in der Finanzkrise teilweise für verfassungswidrig erklärt. Könnte das Urteil auch Auswirkungen auf die aktuellen Corona-Hilfen und das Wiederaufbauprogramm haben?

Die Gefahr besteht. Zum einen könnten sich Menschen durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ermuntert fühlen, nun auch gegen die Coronahilfen zu klagen. Hinzu kommt, dass einige Grundsätze des damaligen Programms auch für das neue gelten. Auf der anderen Seite finde ich es hoch problematisch, dass sich das Bundesverfassungsgericht anmaßt, über europäische Themen urteilen zu dürfen, obwohl eindeutig der Europäische Gerichtshof zuständig ist.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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