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Den Geist des Gezi-Parks erhalten

von Mirjam Schmitt · 21. September 2014

Eine Woche ist es her, dass die Polizei den Gezi-Park räumte, eine Woche lang blieb es relativ ruhig. Doch dann eskalierten die Proteste erneut. Doch die Aktivisten machen weiter und beginnen sich zu organisieren.

Einen Moment scheint es, als würde der Taksimplatz wieder dem Volk gehören: Zu tausenden versammeln sie sich am Samstag und legen Nelken nieder für die, die bei den Protesten gestorben sind. Sie wedeln mit den Blumen in der Abendsonne, zwei Regenbogenfahnen flattern im Wind, sie singen die bekannten Parolen: „Überall ist Taksim, überall ist Widerstand.“

Die Taksim-Solidarität, ein loser Zusammenschluss von Aktivisten, hat zur Demonstration aufgerufen. Der Gezi-Park ist noch immer abgesperrt, bewacht von Beamten, die in der Sonne dösen. Eine Stunde vielleicht geht alles gut, dann taucht die türkische Bereitschaftspolizei auf. „Das ist kein gutes Zeichen“, raunt eine Frau.

Die Polizei warnt: Die Menschen sollen den Platz räumen, sie blockierten den Öffentlichen Raum. Ein Satz, der nur ungläubiges Kopfschütteln hervorruft. Einige gehen, andere bleiben. Wasserwerfer rollen auf die Menge zu. Die Aktivisten werfen ihnen trotzig Nelken entgegen und fliehen vor Wasser und Gas in die Einkaufsstraße Istiklal und in die Seitenstraßen. Die anschließenden Auseinandersetzungen dauern bis in die Nacht. Der Istanbuler Gouverneur, Avni Hüseyin Mutlu, rechtfertigt  den harten Polizeieinsatz später damit, dass die Demonstranten den Verkehr auf dem Taksimplatz behindert hätten.

Tägliche Diskussionen ab 21 Uhr

Die Istanbuler Ärztekammer vermeldet nach zwanzig Tagen Protest fast 8.000 Verletzte und vier Tote  im ganzen Land – drei Demonstranten und ein Polizist sind gestorben. Auch in Ankara und Izmir gehen die Proteste weiter und jede Demonstration könnte wieder eskalieren. Versammlungen werden nicht toleriert. Die Regierung schlägt zurück, doch erdrücken können sie den Widerstand nicht.

Jeden Samstag wollen sich die Aktivisten in Istanbul nun weiter auf dem Taksimplatz treffen, das ist einer der Beschlüsse auf den täglich stattfinden Foren. Seit einer Woche versammeln sie sich ab 21 Uhr in verschiedenen Parks der Stadt und diskutieren, wie es weitergehen könnte. Im Stadtteil Besiktas etwa oder im Künstlerviertel Chihangir. Die Aktivisten treiben den Protest weiter voran, sie wollen, dass sich etwas verändert in ihrem Land.

Aktivisten wie Abdullah, der bis jetzt seine Nächte im Gezi-Park verbrachte und nun beim Forum in Chihangir. Der Park besteht hier aus  einem Spielplatz, ein paar Bäumen und einem Gehege, wo Hunde toben. Abdullah sitzt mit den anderen im Kreis auf dem Boden, in der Mitte ein Menschenknäuel. Dort stehen die, die etwas zu sagen haben und das sind einige. Guerilla-Bepflanzung planen die einen und bilden dazu eine Gruppe, andere wollen sich dafür einsetzen, dass Pfeffergas verboten wird. Sie kommunizieren mit Handzeichen, niemand will die Nachbarn stören. Mit den Händen wackeln bedeutet Zustimmung, kreuzen der Hände Ablehnung.

„Gezi-Geist“ steht für Zivilgesellschaft

Eine Frau greift das Mikro und hält einen Vortrag darüber, dass die Aktivisten auch mit den Religiösen und Konservativen sprechen sollten. Heftiges Hände wackeln, auch von Abdullah. Es ist eines seiner wichtigsten Anliegen. „Die Teilung in religiös und säkular, das war Sache unserer Eltern. Uns ist egal, ob jemand ein Kopftuch trägt oder nicht“, sagt er.

Jeden Abend nach dem großen Forum treffen sich die Arbeitsgruppen und hecken Pläne aus. Doch bei den Treffen gehe es nicht nur um Beschlüsse. Für Abdullah lernen die Bürger der Türkei gerade sprechen wie kleine Kinder. „Wir inspirieren uns  gegenseitig, entwickeln Ideen und halten so den „Gezi-Geist“ aufrecht.“ Der „Gezi-Geist“ das ist für Abdullah die neu entstanden Zivilgesellschaft, die den Öffentlichen Raum mitgestaltet und sich nicht mehr bevormunden lassen will von einer autoritären Regierung.

Autor*in
Mirjam Schmitt

Mirjam Schmitt ist freie Autorin.

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