Debatte um Annegret-Kramp-Karrenbauer: Gefährliche Tendenzen
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Die Initiative von Annegret-Kramp-Karrenbauer (AKK) für eine Sicherheitszone in Nordsyrien hat eine befremdliche Debatte losgetreten. Sie illustriert zwei besorgniserregende Tendenzen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik: Eine fehlgeleitete Kritik an der Kultur der militärischen Zurückhaltung einerseits und das Außerachtlassen nötiger Abstimmungen innerhalb der Regierung andererseits. So aber ist ein möglichst parteiübergreifender Konsens in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht möglich.
Befremdlich ist zunächst die Art des Vorstoßes. Er war weder in der Koalition abgestimmt noch von Annegret Kramp-Karrenbauer und ihrem Team inhaltlich vorbereitet. Entsprechend war es gar nicht möglich, die Diskussion über ihre Initiative überhaupt zu führen. Entsprechend unfruchtbar und frustrierend entwickelte sich die öffentliche Debatte. Geradezu toxisch dürfte sich die Initiative auf die Beziehungen zwischen den Ressorts innerhalb der Bundesregierung auswirken – und das keineswegs nur auf Ministerebene.
Vorstoß löste unfruchtbare Diskussion aus
Selbst wenn man die Frage der Kabinettsdisziplin ausklammert, muss man sich fragen: Macht ein solches Vorgehen außenpolitisch Sinn? Zielführend wäre es gewesen, einen Vorschlag auszuarbeiten und diesen dann zur Diskussion zu stellen: zunächst in den betroffenen Ministerien, dann in der Koalition und schließlich in der Öffentlichkeit. Machen wir uns nichts vor: die wahrscheinliche Konsequenz des aktuellen Vorgehens dürfte eine (weitere) parteipolitische Polarisierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sein. Das aber dient niemandem. Polarisierung führt nicht zur allseits beschworenen strategischeren und nachhaltigeren deutschen Sicherheitspolitik. Im Gegenteil: Eine weitere Polarisierung wird einerseits unsere Partner und Alliierten verwirren. Und sie wird andererseits denjenigen sehr gelegen kommen, die kein Interesse an einer klaren und stringenten deutschen Außen- und Sicherheitspolitik haben.
Dabei haben wir doch tatsächlich derzeit (noch) den Luxus, dass man über weite Teile des politischen Parteienspektrums zu verantwortlichen außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen und breiten Mehrheiten kommen kann. Umso irritierender ist es, dass die Ministerin im akuten Fall auf einen Alleingang mit politischem Überraschungsmoment gesetzt hat. Gerade wenn es am Ende um eine vom UN-Sicherheitsrat zu mandatierende Mission unter UN-Führung geht, wie zuletzt der Spiegel berichtete, hätte solch eine Mission (wenn sie denn die erforderliche internationale Zustimmung findet) mit wenig Überzeugungsarbeit auf breite, parteiübergreifende Unterstützung im Parlament hoffen können. Wozu also die Verstörung der vergangenen Woche?
Mediale Euphorie für militärisches Engagement
Noch verstörender als die Art des Vorstoßes war die mediale Kommentierung. Es kam zu einer geradezu grotesken Form außenpolitischer Verwirrung: „Endlich Engagement“ hieß es da mit klaren Worten beispielsweise bei Spiegel Online. Man attestierte der Verteidigungsministerin „Mut“, sah „eine außenpolitische Sensation“, „eine Zäsur in der deutschen Sicherheitspolitik“, „einen Bruch mit Deutschlands Kultur der militärischen Zurückhaltung“. Ist es also das, worum es bei der Initiative von AKK ging? Der Tabubruch, die Zäsur, das Ende der Tradition „militärischer Zurückhaltung“?
Auch wenn dies nicht das Argument der Verteidigungsministerin war, zeigten die positiven medialen Reaktionen, dass ein Teil der Analystinnen, Elder Statesmen und Journalisten offenbar nur darauf gewartet hat: Dem spätestens seit 2014 immer eindringlicher beschworenen Paradigmenwechsel hin zu mehr Engagement (bitte auch militärisch) sollen endlich Taten folgen. Wo und wie wird fast schon zur Nebensache. Um den konkreten Fall Nordsyrien ging es jedenfalls einem Teil der Kommentatoren allenfalls zweitrangig. Tatsächlich wurden die offensichtlichen Schwächen (gibt es überhaupt den Hauch einer Chance für die erforderliche Zustimmung im Sicherheitsrat?) und Unklarheiten (was genau, wie lange und mit welchem konkreten Ziel soll die Bundeswehr zu einer solchen Mission beitragen?) des Vorschlags in vielen Fällen sogar klar benannt. Aber egal, Hauptsache Engagement!
Es wirkt, als hätte mancher und manche eine seit längerem eingeübte Glaubensformel noch einmal ein Stück weiter gedreht. So hieß es nach den bitteren Erfahrungen der 1990er Jahre durchaus zu Recht: „Man kann sich durch Nicht-Handeln genauso schuldig machen wie durch Handeln“. Im Tenor der aktuellen Diskussion klingt es aber mittlerweile oftmals eher wie „Besser irgendwas Militärisches machen, als nur von der Seitenlinie kommentieren“. Angesichts der Lage der Welt kann man diese Emotionen menschlich nachvollziehen. Sie sind aber ein schlechter Ratgeber für vorausschauende und verantwortungsvolle Außen- und Sicherheitspolitik.
Militärisches Engagement: brandgefährlich
Die sicherheitspolitische Situation ist in den letzten Jahren ohne Zweifel komplizierter und in Teilen gefährlicher geworden (allerdings schießt ein Teil der apokalyptischen Kommentierung weit über das Ziel hinaus). Das internationale System verändert sich und deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik müssen dieser Tatsache Rechnung tragen. Die Erwartung allerdings, Deutschland müsse nun endlich auch militärisch viel aktiver werden, ist brandgefährlich.
Tatsächlich nimmt bei jedem neuen Konflikt und bei jeder neuen Krise der Druck gefühlt zu, sich doch diesmal (endlich) auch militärisch zu engagieren. Gerade in unübersichtlichen Zeiten ist militärischer Aktivismus aber riskant und oftmals wenig zielführend. Nichtsdestotrotz wurde Deutschlands militärische Zurückhaltung in den vergangenen Jahrzehnten vielfach als eine Form von Verzagtheit oder als ein Akt des Trittbrettfahrens kommentiert. Dass viele der militärischen Interventionen der vergangenen Jahre rechtlich und moralisch zweifelhaft und noch dazu selten nachhaltig von Erfolg gekrönt waren – nicht der Kommentierung wert.
Man denke zum Beispiel zurück an Libyen 2011. Die Enthaltung der Bundesrepublik bei der Sicherheitsratsresolution 1973 führte zu einem Sturm der Entrüstung, vor allem gegenüber dem damaligen Außenminister Guido Westerwelle. Er hatte erklärt: „Ich sehe mich in der Tradition der Zurückhaltung, was militärische Einsätze angeht“. Die Pressereaktion zeigte damals schon die gleichen Muster, die wir heute beobachten können: „Deutschland steht in der Libyen-Frage als Drückeberger da“, hieß es beispielsweise im Tagesspiegel. Internationale Sicherheitspolitik reduziert auf eine Mutprobe auf dem Schulhof.
Zwei Jahre später blickte Westerwelle im Tagesspiegel-Interview wie folgt zurück: „Was wir gelernt haben sollten, ist doch: Ohne ein klares politisches Konzept erreichen wir eben keine nachhaltige Stabilisierung (…). Die Sicherheitsratsresolution hat (…) zu humanitären Interventionen ermächtigt, in großen Teilen der Welt wurde die Intervention aber als „regime change“ wahrgenommen. Ich habe meine Zweifel, ob der völkerrechtliche Grundsatz der responsibility to protect durch dieses Vorgehen gestärkt wurde.“
Leider waren Westerwelles Zweifel berechtigt. Die Libyen-Intervention hat die Norm der Schutzverantwortung nicht nur nicht gestärkt, sie hat auch nicht zu einer nachhaltigen Befriedung oder auch nur Stabilisierung beigetragen. Doch trotz solcher mehr als ernüchternder Erfahrungen mit militärischen Interventionen hat der Druck, sich endlich auch stärker militärisch zu engagieren, sogar noch zugenommen.
Kluge Politik statt emotionaler Schnellschüsse
Dabei ist eine verlässliche deutsche Zurückhaltung mit militärischem Engagement eine Stärke und keine Schwäche. Eine strategisch kühle und kluge (und normativ zu Recht skrupelbehaftete) Politik sollte diese aus gutem Grund fortführen. Man darf sie nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
All dies ist kein Plädoyer gegen ein internationales Engagement in Nordsyrien oder in anderen Fällen. Gerade im Rahmen UN-geführter Missionen spricht sogar viel für ein solches Engagement, wenn es die erforderliche breite internationale Unterstützung auch jenseits des Westens erfährt und es eine realistische Aussicht gibt, mit diesem Engagement nachhaltig zu Frieden und Stabilität beizutragen. Der Einsatz von Militär darf aber nicht zur Standardantwort einer aktivistischen Sicherheitspolitik werden. Ein militärisches Engagement sollte immer nur aufgrund einer fundierten, ressortübergreifenden Analyse konzipiert werden. Es ist ja nun beileibe nicht so, dass es im Auswärtigen Amt und im Verteidigungsministerium nicht viele kluge Köpfe gäbe, die sinnvolle Optionen – sowohl zivile als auch militärische - gemeinsam entwickeln könnten, wenn man sie denn lässt. Die politische Entscheidung über den Einsatz von Militär liegt dann, da hatte Kramp-Karrenbauer vollkommen Recht, beim Parlament. Und das ist auch gut so.
Marius Müller-Hennig ist in der Internationalen Politikanalyse der FES zuständig für Außen- und Sicherheitspolitik. Zuvor leitete er das FES-Büro in Bosnien-Herzegowina.