"Das Wort Rechtspopulismus ist eine Verharmlosung"
12 Jahre saß Peter Beutler für die Sozialdemokraten im Schweizer Kantonsparlament. Der engagierte, inzwischen pensionierte Lehrer, beschäftigt sich seit Langem mit dem Phänomen Rechtsextremismus in der Schweiz, besonders mit der Politik der konservativen Schweizer Volkspartei (SVP).
vorwärts.de: Ein SVP-Parteimitglied hetzte neulich auf Facebook mit rassistischen Parolen. Unter Anderem forderte der Mann die standrechtliche Erschießung von Asylbewerbern. Halten Sie solche Äußerungen für einen Einzelfall, oder gehören rassistische Gewaltphantasien zum Bodensatz der SVP-Ideologie?
Peter Beutler: Ein Einzelfall? Leider Nein! Verbale Gewalt ist in den letzten Jahren bei Mitgliedern und Sympathisanten dieser Partei zum Normalfall geworden. Eben hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Ermittlungen gegen einen SVP-Lokalpolitiker eingeleitet: „Vielleicht brauchen wir wieder eine Kristallnacht ... diesmal für Moscheen“, schrieb dieser am 24. Juni auf Twitter. Ein klarer Verstoß gegen die Anti-Rassismus-Strafnorm. Das ist ein Beispiel von vielen. Nicht üblich an diesem Fall ist, dass es sich um einen vom Volk gewählten Mandatsträger handelt. Diese Drecksarbeit verrichten sonst Leute ohne feste Bindungen zur Partei. Aber eben: Genau das gehört zum Bodensatz der SVP-Ideologie.
Die SVP ist die stärkste Partei in der Schweiz. Lange Zeit blieb sie hinter den anderen Parteien in der Wählergunst zurück. Wie erklären Sie sich den Aufstieg der SVP?
Seit den Wahlen 2011 zählt die SVP-Fraktion der Bundesversammlung lediglich zwei Sitze mehr als die der Sozialdemokraten (SP). Aber es stimmt schon: Die traditionelle Wählerschaft der SP, die Angestellten im unteren Einkommenssegment, sehen in den ausländischen Arbeitskräften, die in der Schweiz ungefähr 20% ausmachen, eine Konkurrenz. Zu Unrecht. Die ausländischen Arbeitskräfte decken Jobs im Niedrigst-Lohnbereich ab, Jobs, für die sich die meisten Schweizer zu schade sind. Der SP ist es leider noch nicht gelungen, diese Botschaft der Bevölkerung zu vermitteln.
Hat die SVP die kulturelle Hegemonie über die Stammtische gewonnen? Wenn ja, welche Strategien können dagegen zum Einsatz kommen?
Ja, die SVP beherrscht die Stammtische. Die «Mannen» und «Frauen», die an diesen Tischen sitzen, gehören zur Bevölkerungsgruppe, die sich von den ausländischen Mitmenschen bedroht fühlen. Die Angst, die dahinter steckt, ist nicht rational, sie kommt aus einem Bauchgefühl, das mit millionenschweren Plakat- und Inserate-Kampagnen rechtslastiger Milliardäre geschürt wird.
Die Strategen der schweizerischen Sozialdemokratie sind brillante Köpfe der 68er- und Nach-68-Generation. Leider, denn sie haben die Sprache der einfachen Leute verlernt. Erst wenn sie sich wieder mit den Menschen der Strasse unterhalten können, wird die Sozialdemokratie wieder die Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen, für die sie sich politisch und kulturell einsetzt.
Ist die SVP vergleichbar mit anderen rechtspopulistischen Bewegungen in Europa, zum Beispiel der FPÖ in Österreich, oder gibt es eine Schweizer Besonderheit?
Für mich ist das Etikett „Rechtspopulismus“ eine Verharmlosung. Die SVP pflegt weitgehend dieselbe Ideologie wie die FPÖ in Österreich, wie der Front National in Frankreich, wie die norwegische Fortschrittspartei, aus der Anders Breivik, der Massenmörder von Oslo und Utoja, hervorgegangen ist. Das hat nichts mit Neutralität zu tun und schon gar nichts mit dem Sonderfall Schweiz. Es ist viel mehr Ausdruck einer menschenverachtenden Geisteshaltung. Einer Geisteshaltung, die vor achtzig Jahren die Menschheit in die bislang größte Katastrophe gestürzt hat.
Sie selbst saßen 12 Jahre lang für die Sozialdemokraten im Kantonsparlament von Luzern. Mit dem Phänomen Rechtsextremismus setzen Sie sich seit Langem auseinander. Gibt es einen Zusammenhang, zwischen der xenophoben Politik der SVP und dem gewalttätigen Rechtsextremismus in der Schweiz?
Da bestehen für mich keine Zweifel. Verunglimpfen, Lächerlich machen und das Ausgrenzen Andersdenkender gehört seit Jahren zum politischen Ritual der SVP-Exponenten. Für Christoph Blocher, dem unbestritten geistigen und politischen Führer dieser Partei, sind Worte Waffen. Waffen mit dem Zweck, alle, die ihm in die Quere kommen, zu ruinieren. Das führt dazu, dass die Hemmschwelle für physische Gewalt immer tiefer gelegt wird. Auch in der kleinen Schweiz sind in den vergangenen Jahren mehrere Menschen fremdenfeindlichen Übergriffen zum Opfer gefallen.
Anfang 2001 erschlugen vier junge Männer in der Burgruine Weissenau bei Unterseen/Interlaken den 19-jährigen Marcel A. Täter wie Opfer waren Mitglieder des rechtsextremen Bundes "Orden der arischen Ritter". Was hat Sie dazu bewogen einen Krimi über diesen Fall zu schreiben?
Hass auf Menschen anderer Kulturen, anderer Hautfarbe ist Ausdruck von fehlendem Selbstvertrauen, ein Zeichen von Schwäche. Auch viele Menschen in meinem Land sind schwach. Sie denken, sie würden stärker, wenn sie andere treten. Die Geschichte lehrt uns aber, dass das so noch nie funktioniert hat. Nur ein Volk, das Solidarität hoch hält und sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt, hat eine Zukunft. Ich möchte nicht, dass mein Land vor die Hunde geht. Deshalb schreibe ich.
Im neuen Sicherheitsbericht des Schweizer Bundes steht: «Gewaltausübung aus rechtsextremer Motivation ist derzeit selten". Teilen Sie diese Einschätzung?
Das ist eine zynische Auslegung, die mit den wirklichen Verhältnissen in unserem Land nichts zu hat. Da wird einmal die verbale, psychische Gewalt völlig ausgeblendet. Die xenophoben Übergriffe in den Internetforen, etwa die der evangelikalen Armee-Pfarrerin Christine Dietrich - sie hatte jahrelang die rassistische, islamophobe Plattform „politically incorrect“ in Deutschland moderiert - oder die vielen menschenverachtenden Einträge in den Leserbriefspalten, die tägliche Erniedrigung von Menschen, die nicht aus unserem Kulturkreis stammen – von all dem steht in diesem Bericht kein Wort. Die Beamten übrigens, die den „Sicherheitsbericht“ zu verantworten haben, sind eine Altlast aus der Zeit, als Christoph Blocher Justizminister war. Wie in unserem nördlichen Nachbarland ist es nahezu unmöglich, solchen Leuten eine andere Beschäftigung zuzuweisen.