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Das Tier im Boss

von ohne Autor · 5. August 2009
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Zur Hochzeit des Neoliberalismus war das blinde Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes Ehrensache. Die Folgen sind bekannt. Doch wie soll die Konjunktur wieder auf die Füße kommen?

Als ersten Schritt treten die Wirtschaftswissenschaftler Akerlof und Shiller für ein völlig neues Bild vom Wesen der Ökonomie ein. Anhand der Großen Depression der 1930er Jahre und der gegenwärtigen Finanzkrise zeigen sie, dass Angebot und Nachfrage letztlich von Menschen gesteuert werden - und daher ebenso wie diese von intuitiven und irrationalen Trieben, den Animal Spirits, abhängen.

Immobilienhändler oder Fabrikbesitzer verfolgen demnach nicht ausschließlich das ökonomisch Logische, sondern lassen sich von gesellschaftlich bedingten Faktoren wie Vertrauen, Fairness oder der Wirkungsmacht überlieferter Anekdoten aus der Wirtschaftshistorie beeinflussen. Gemeinsam erzeugen diese Faktoren eine Art Herdentrieb, der das Konjunkturbarometer je nach Gemengelage nach oben oder nach unten ausschlagen lässt. Prognosen zur wirtschaftlichen Erholung, die derzeit en masse veröffentlicht werden, sind demnach wertlos, weil sich das Handeln aus dem Bauch heraus schwerlich anhand wissenschaftlicher Parameter voraussagen lässt, so die Schlussfolgerung.

Zeitgeist geht in Richtung Keynes

Akerlof und Shiller haben die "Animal Spirits" freilich nicht erfunden. Sie sind Teil der Allgemeinen Theorie von John Maynard Keynes, der darin das regelmäßige Auf und Ab der Konjunktur beschrieben hat, in das der Staat ordnend eingreifen solle. Dass diese Schwankungen in Keynesʼ bis heute einflussreichem Deutungsmuster entscheidend vom Zusammenwirken der "Animal Spirits" abhängen, geriet allerdings schnell in Vergessenheit, wie der Träger des Wirtschaftsnobelpreises und der Ökonomieprofessor aus Yale ausführen.

Unter US-Präsident Roland Reagan brach schließlich die Blütezeit von Adam Smiths Theorie einer "Unsichtbarer Hand" an, die unter frei wirtschaftenden Individuen den Wohlstand mehre. Das ist mittlerweile Geschichte, in den USA und in Deutschland zeigt der Zeitgeist eher in Richtung Keynes. Doch ist es das Verdienst der Autoren, angesichts der Irrationalität menschlicher Motive die Bedeutung und die Möglichkeiten einer ordnenden Kraft zu betonen, die über das Ankurbeln der Nachfrage hinausreicht.

Ausgehend von diesem Theoriegebilde gibt das Buch interessante Einblicke in die ökonomischen Strukturen der führenden Industriestaaten, wenn auch vornehmlich der USA. Selten hat man so anschaulich gelesen, wie die Immobilienblase in den Vereinigten Staaten platzte und eine weltweite Finanzkrise nach sich zog. Ferner werden ökonomische Problemfelder angesprochen, die gemeinhin nicht gerade im Zentrum wirtschaftswissenschaftlicher Debatten stehen, wie zum Beispiel die vergleichsweise hohen Arbeitslosen- und Armutsraten unter ethnischen Minderheiten.

Wer dagegen Antworten auf die Frage erwartet, was sich konkret gegen eine globale Wirtschaftskrise ausrichten lässt, wird enttäuscht. Zu viel Stückwerk und Andeutungen lassen den Leser bisweilen verwirrt zurück. Doch eines wird klar: Ein anderer Blick auf das Kräfteverhältnis zwischen Wirtschaft und Politik könnte zumindest ein Anfang sein.




George A. Akerlof/Robert J. Shiller: Animal Spirits. Wie Wirtschaft wirklich funktioniert, Campus Verlag, ISBN 978-3-593-38937-0, 24,90 Euro. Hier bestellen...

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