Das sind die größten Herausforderungen für Außenminister Gabriel
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Die Welt ist aus den Fugen und anders als in den letzten fast 30 Jahren seit der Wiedervereinigung betrifft uns dies heute ganz unmittelbar und auf vielfältige Weise. Frank-Walter Steinmeier hat die Bundesrepublik auf diesen Zeitenwandelt vorbereitet. Sein Nachfolger im Amt, Sigmar Gabriel, wird diesen Weg mit großer Entschlossenheit und klarer Haltung weiter beschreiten. Diese Herausforderungen sind auf diesem Weg zentral:
Das transatlantische Verhältnis in der Bewährungsprobe
Eine Debatte über die Beschaffenheit und Grundpfeiler der Internationalen Ordnung ist unausweichlich. Klar ist dabei: Wir brauchen grundlegende Reformen. Die Vereinten Nationen, die größte Errungenschaft der Weltgemeinschaft, werden dieses Jahrhundert als Institution nur überleben, wenn sie sich Handlungsfähigkeit erkämpfen. Auch die OSZE hat großes Potential für den (Wieder-)Aufbau einer europäischen Sicherheitsarchitektur – und zwar unter Einbeziehung Russlands. Voraussetzung dafür ist aber,dass die Mitgliedsstaaten die Organisation aus ihrem Nischendasein erlösen.
Und schließlich werden wir uns als Deutsche und als Europäer noch viel mehr auf unsere Werte und Interessen besinnen und uns die Instrumente an die Hand geben müssen, diese in einer wertegeleiteten Außenpolitik hör- und sichtbar zu vertreten. Andernfalls wird uns Donald Trump per Tweet-Dekret vor sich hertreiben.
Die Europäische Union in ihrer größten Krise
Die Europäische Union ist in diesem Moment der Schwäche so wichtig wie noch nie. Deutschland will zu Recht eine Gestaltungsmacht in einem starken Europa sein. Den Zusammenhalt der Union zu stärken ist und bleibt dabei eine zentrale Aufgabe der deutschen Außenpolitik. Im Kern wird es dabei auch um die Frage gehen, wie die überfällige und dringend notwendige Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gelingen kann. Gerade hier brauchen wir einen wirklichen Quantensprung für die Europäische Union.
Zentral bleibt das Verhältnis zu Frankreich: Sigmar Gabriel wird nach den französischen Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr möglicherweise nicht nahtlos an den engen Schulterschluss Steinmeier/Ayrault anknüpfen können, sondern mit der neuen Regierung eine gemeinsame Grundlage finden müssen.
Demokratien unter Beschuss von Cyberkriegern
Die aktuelle Entwicklungen in Osteuropa, den USA und anderswo führen uns die potentielle Verwundbarkeit von Infrastruktur, gesellschaftlichem Diskurs und demokratischer Entscheidungsprozesse vor Augen. Deutschland hat dies bisher nur begrenzt zu spüren bekommen. Doch der Verdacht der Wahlmanipulation in den USA sollte uns zu denken geben. Cyber und Resilienz sind nicht nur Themen für innenpolitische Hardliner und Technik-Nerds, sie müssen auch als außenpolitische Themen verstanden werden.
Denn das Problem ist: Das Völkerrecht ist auf Cyber und Autonomisierung nicht vorbereitet. Sogar seine Anwendbarkeit ist umstritten. Internationale Normen und Regeln müssen her, begleitet von einem Verständnis, dass eine offene und breite gesellschaftliche Debatte über Außen- und Sicherheitspolitik die beste Abwehr ist. Das ist es, was wir unter Resilienz verstehen.
Abrüstungsinitiative statt Rüstungswettlauf
Es mag wie ein Widerspruch wirken, über Abrüstungsinitiativen zu sprechen und gleichzeitig für eine Steigerung der militärischen Handlungsfähigkeit Europas und der Bundeswehr einzutreten. Und doch ist beides richtig: Gerade weil der abgestimmte, koordinierte und international eingebettete Ausbau der militärischer Fähigkeiten innerhalb der Europäischen Union notwendig ist, muss das Ziel einer weltweiten Abrüstung auf der politischen Tagesordnung bleiben. Dies gilt umso mehr, als in manchen Leitartikeln und Gastbeiträgen derzeit der Eindruck entsteht, nukleare Aufrüstung sei das Gebot der Stunde. Eine solche Entwicklung wäre verheerend.
In einer Welt aus den Fugen lassen sich Widersprüche nicht vermeiden. Ohne Pragmatismus geht es nicht – ein trotziges Beharren auf Idealpositionen führt nirgendwohin - außer in die außenpolitische Isolation. Aber der Pragmatismus muss wertegeleitet bleiben und sich am Dreiklang von Notwendigem, Machbarem und Erstrebenswertem orientieren. Dabei gilt auch und gerade: Außenpolitik muss unermüdlich erklärt werden, die gesellschaftliche Auseinandersetzung aktiv gesucht werden. Das heißt im Jahr 2017 vermutlich auch: Wir müssen raus ins Leben, dahin, wo es laut ist, wo es brodelt, wo es manchmal riecht und gelegentlich auch stinkt. Wir müssen dahin, wo es anstrengend ist. Wer könnte das besser als Sigmar Gabriel?
ist Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung.