Das bedeutet das Duell Macron gegen Le Pen für Frankreich
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„Ein sozialliberales Frankreich gegen die Falle des Nationalismus“, schreibt die Zeitung „Libération“. Gemeint ist die Stichwahl um das Präsidentenamt in Frankreich, die der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron am 7. Mai gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen bestreitet. Der 39-Jährige gewann die erste Runde mit 23,7 Prozent gegen die Chefin des Front National (FN) mit 21,5 Prozent, laut den Zahlen des Innenministeriums. Der Einzug in den Elysée scheint dem früheren Wirtschaftsminister damit so gut wie sicher, denn sowohl der Konservative François Fillon als auch der Sozialist Benoît Hamon sprachen sich für ihn aus. „Ich will der Präsident der Patrioten werden gegen die Bedrohung der Nationalisten“, sagte Macron in seiner Rede am Wahlabend.
Macron und Le Pen hofften auf ihr Duell
Sowohl der Kandidat der Bewegung „En Marche“ als auch Le Pen hatten auf ein Aufeinandertreffen in der zweiten Runde gehofft. Die beiden Politiker repräsentieren zwei äußerst unterschiedliche Gesichter der französischen Gesellschaft: Marcon steht für ein weltoffenes, pro-europäisches Frankreich und die FN-Chefin für Nationalismus und einen Ausstieg aus der EU. Eine erste Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Harris Interactive sah einen Sieg von Macron mit 68 zu 32 Prozent voraus. „Die große Debatte beginnt endlich“, sagte Le Pen. Sie kritisierte Macron als „Erbe“ des sozialistischen Präsidenten François Hollande, dessen Berater und Minister er insgesamt vier Jahre lang war.
Mit gut 7,5 Millionen Stimmen schaffte die 48-Jährige das bisher beste Ergebnis für den Front National. Allerdings hatten Umfragen die Kandidatin lange vorne platziert, so dass ihr zweiter Platz eine Schlappe für sie ist. Auch gegenüber den Europa- und Regionalwahlen, wo der FN mit rund 25 Prozent stärkste Kraft geworden war, bedeutete die erste Wahlrunde einen Rückschritt. Die politische Landkarte Frankreichs ergab eine Zweiteilung: im Norden und Osten lag der FN vorne, im Westen und rund um die Hauptstadt dagegen Macron. „Das Frankreich, dem es gut geht, hat Macron gewählt. Das Frankreich, das leidet, entschied sich für Le Pen“, kommentierte das Nachrichtenmagazin „Express“.
Krise der Sozialisten nach dem Fiasko
Für die Stichwahl dürfte es Le Pen schwer fallen, deutlich zuzulegen. Umfragen zufolge will knapp die Hälfte der Fillon-Wähler zu Macron wechseln. Von den Wählern Hamons wollen 79 Prozent für den Kandidaten von En Marche stimmen und von den Wählern des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon 62 Prozent. Mélenchon, der mit 19,6 Prozent auf den vierten Platz knapp hinter Fillon kam, gab am Wahlabend keine Empfehlung aus.
Das Ergebnis bedeutet eine Zeitenwende für Frankreich, denn erstmals seit Jahrzehnten sind die beiden traditionell den Präsidenten stellenden Parteien nicht in der Stichwahl. Der Sozialist Hamon kam nur auf gut sechs Prozent der Stimmen und lag damit knapp über dem historisch schlechtesten Ergebnis für die Sozialisten 1969 mit fünf Prozent. „Das ist das Ende einer Geschichte“, sagte der frühere Regierungschef Manuel Valls, der den „linksextremen“ Wahlkampf Hamon kritisierte, im Radio. Auch bei den Konservativen, für die Fillon mit 19,9 Prozent auf dem dritten Platz landete, zeichnete sich bereits eine Generalabrechnung ab.
Liberation: „Alles ist möglich“
Dennoch dürften die beiden ehemaligen Regierungsparteien sich gegen Le Pen aussprechen. Bereits 2002 hatte sich eine „republikanische Front“ gegen Le Pens Vater Jean-Marie gebildet, der überraschend in die Stichwahl gekommen war. Le Pen senior hatte die zweite Runde dann klar mit 18 Prozent gegen den konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac mit 82 Prozent verloren. Diesmal dürfte das Ergebnis weniger deutlich ausfallen. „Wenn der Kampf zu einer Konfrontation Volk-Eliten wird, wer kann dann das Ergebnis sicher vorhersagen?“, warnte „Libération“. „In einem neuen Dekor ist alles möglich. Anders gesagt: Wachsamkeit.“
Christine Longin begann ihre journalistische Laufbahn bei der Nachrichtenagentur AFP, wo sie neun Jahre lang die Auslandsredaktion leitete. Seit vier Jahren ist sie Korrespondentin in Frankreich, zuerst für AFP und seit Juli für mehrere Zeitungen, darunter die Rheinische Post.