Also doch! Es hat sich etwas bewegt. Barack Obama und Wladimir Putin kamen zu einem kurzen Meinungsaustausch am Rande der Feierlichkeiten zum 70.Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie zusammen. Hat sich ihr Verhältnis entspannt? Kommt nun Bewegung in die Ukraine-Krise?
Der deutsche Gast unter den 19 geladenen Staats- und Regierungschefs hatte sich redlich bemüht: Angela Merkel traf den russischen Autokraten im Seebad Deauville. Sie habe, wie man hört, in russischer wie deutscher Sprache Putin vor einem „neuen tiefen Graben zwischen Ost und West,“ vor einem „Rückfall in den Kalten Krieg“ und vor „unüberbrückbare Missverständnisse“ gewarnt. Auch der Hinweis auf verschärfte Sanktionen soll gefallen sein.
Merkels Zugang zum Kreml
Im Gegensatz zum Briten-Premier David Cameron und Barack Obama hat die Bundeskanzlerin einen besseren Zugang zum Kremlchef. Ob er zur De-Eskalation und Entspannung in der Ukraine-Krise ausreicht, wird sich zeigen. Bewegung gibt es jetzt nach dem „informellen Treffen“ des Amerikaners und des Russen. Nach Angaben des Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hätten sich beide Politiker bei diesem für ein schnelles Ende der Gewalt in der Ostukraine ausgesprochen.Eine Zusage des Russens, die niemand auf die leichte Schulter nimmt.
Denn Europa versucht seit Gründung seiner Gemeinschaft Krieg und Krise wenn nicht auszuschließen, so doch zu managen und unter Kontrolle zu halten. Ein Versuch, der gerade angesichts des Zank und Zwist den Ost und West wieder auseinander zu reissen droht, wichtiger denn je ist. In diesem Konflikt gibt es keine einfachen Rollenzuschreibung und keine einfachen Antworten: Putin als Bösewicht abzustempeln ist zu einfach. Obama als Rechthaber auch. Merkel mag als Mittlerin einiges Gewicht haben, aber die Macht, ins Weltgeschehen einzugreifen, haben nun einmal Obama und Putin.
Beiden gemein ist auch an diesen Tagen ihre Anerkennung, dass sich der ehemalige Kriegsgegner Nazi-Deutschland inzwischen zu einer respektablen Demokratie gemausert hat. Das Werk der deutsch-französischen Aussöhnung ist nicht wegzudenken. Gäbe es die Freundschaft nicht, wäre Merkel kein Gast in der Normandie. Die Rolle, die die Bundesrepublik im Europa der 28 Mitglieder spielt, wird eher anerkennend als negativ gewertet.
Russland zählt 12 Millionen Opfer
Auch mit Russland, das im letzten Krieg allein 12 Millionen Opfer zu beklagen hatte, wurde die Annäherung versucht. Aber die Rivalitäten der Großmächte – und ein Spielball für beide ist die Ukraine allemale – haben das internationale Klima wieder und wieder verdüstert. So wird das Familienfoto der Feiernden vor dem Schloss Bénouville bei Caen nur ein Gruppenbild mit dem abseits stehenden Putin bleiben.
Allein die Szenerie der 2000 hochbetagten Kriegsveteranen an den Landestränden der Alliierten im Ärmelkanal hätte beide "zu mehr" bewegen können: Es war in der Normandie, wo am 6. Juni 1944 die Alliierten die entscheidende Schlacht gegen Hitler schlugen. 10.000 Teilnehmer der Feier und Erinnerung erlebten wohl die letzte Groß-Veranstaltung mit Feuerwerk, Reden, simulierten Kampfhandlungen in Anwesenheit der Mächtigen der Welt. Es wird in 10 Jahren keine Veteranen mehr geben. Die heutige Politikergeneration wird wohl nicht mehr regieren. Nur die Soldatenfriedhöfe werden mit ihren unzähligen grauen und weißen Kreuzen den letzten Vernichtungskrieg in Europa wiederspiegeln.
Das Andenken wird bleiben. Weiter unermüdlich werden die Millionen Gräber der Soldaten mahnen, die bei der Landeoperation und auf anderen Schlachtfeldern starben. Vielleicht haben sie ja am Freitag auf Obama und Putin doch einen tiefen Eindruck hinterlassen und sie bewogen, miteinander den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Es hat sich also etwas bewegt. Das ist ein vielversprechender Anfang, damit die Ukraine wieder politisch und militärisch zur Ruhe kommt.
ist Auslandskorrespondent in Frankreich für verschiedene Tageszeitungen und Autor mehrerer politischer Bücher, u. a. „Willy Brandt – ein politisches Porträt“ (1969).