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Corona und Weißrussland: Fußball schauen im Land der letzten Diktatur Europas

Weißrussland hat im Kampf gegen Corona bislang nur moderate Maßnahmen ergriffen. Selbst Fußballspiele vor Publikum finden in der „letzten Diktatur Europas“ noch statt.
von Julia Bläsius · 2. April 2020
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Wenn man auch in diesen Zeiten nicht auf die Teilnahme an einem Sportereignis in einem Stadion verzichten möchte, so könnte man – angenommen der Luft- oder Landweg ließe es zu – nach Belarus reisen. Ausgerechnet im Land der „letzten Diktatur“ Europas geht es im Moment am liberalsten zu. Das öffentliche Leben läuft nach wie vor verhältnismäßig normal, so dass man denken könnte, das Land sei von Covid-19 verschont. 

Nur moderate Maßnahmen

Tatsächlich wurden in Belarus bis zum 26. März 86 Corona-Infizierte bestätigt, nachdem laut Regierung mehr als 23.000 Tests gemacht wurden. Als Ende Februar das Virus bei einem iranischen Studenten diagnostiziert wurde, wurden er, seine belarussische Freundin und deren Familie sofort in Quarantäne gesetzt. Die Uni, an der er studierte, stellte sofort für zwei Wochen auf Fernunterricht um. 

Im Unterschied zur angrenzenden Ukraine hat Belarus in der Folge jedoch trotz weiterer Fälle im Land nur sehr moderate Maßnahmen ergriffen. Während die Ukraine bei ähnlichen Fallzahlen schon seit dem 11. März alle Schulen und Kindergärten geschlossen hat, keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr fahren und die Grenzen zu sind, läuft in Belarus das Leben fast wie gewohnt weiter. Bildungseinrichtungen sind weiterhin geöffnet und selbst Großveranstaltungen wurden nicht abgesagt. So finden auch die Spiele der Fußball- und Eishockeymeisterschaft wie geplant und mit Publikum statt. Lediglich die Unterrichtszeiten an den Universitäten wurden verschoben und die Anzahl und Taktung der öffentlichen Verkehrsmittel erhöht, um die Menge an Studierenden und Arbeiter*innen zu den Stoßzeiten auf den Straßen und in den Bussen und Bahnen zu reduzieren. Personen, die aus Risikogebieten zurückkehren, müssen sich in eine vierzehntägige Selbstquarantäne begeben. 

Lukaschenko sieht Corona als Medien-Hype

Während in Einzelfällen und lokal begrenzt schnell auf das Virus reagiert wird, lehnt Präsident Lukaschenko härtere flächendeckende Maßnahmen ab. Ihm zufolge wird die Bedrohlichkeit von Covid-19 von den Medien geschaffen, so dass er alles daran setzt, die Bevölkerung zu beruhigen und zu demonstrieren, der Staat habe die Ausbreitung der Krankheit unter Kontrolle. Seiner Ansicht nach schaden restriktive Maßnahmen, wie sie derzeit in den meisten europäischen Ländern gelten, vor allem der Wirtschaft, ohne dass ihre Wirkung auf die Verbreitung der Infektion eindeutig bewiesen sei. Da die belarussische Wirtschaft jüngst stark unter Druck geraten war, dürfte der belarussische Präsident kalkuliert haben, dass eine wirtschaftliche Verschlechterung der Situation für ihn und seine im Sommer anstehende Wiederwahl größere Risiken bergen könnte als eine weitere Ausbreitung des Virus. Durch den Wegfall von Subventionen für Öllieferungen aus Russland hatte die ölverarbeitende Branche, die einen wichtigen Pfeiler der belarussischen Wirtschaft darstellt, starke Einbrüche verzeichnen müssen.

Im Gegensatz zur Wirtschaft befindet sich das in sowjetischer Tradition komplett staatliche Gesundheitssystem in einem relativ guten Zustand. Das Land mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern verfügt über 80 000 Krankenhausbetten und über 2 000 Beatmungsplätze. Im Vergleich dazu kann die Ukraine nur auf knapp 600 Beatmungsplätze zurückgreifen, obwohl die Bevölkerung mehr als viermal so groß ist. 

Beruhigungsstrategie funktioniert

Wenngleich die Bevölkerung in Belarus sowohl über das Internet als auch über die staatlichen Medien über die Entwicklung der Pandemie und die Maßnahmen anderer Länder im Bilde ist, scheint die Beruhigungsstrategie zumindest im Moment noch zu funktionieren. Cafés, Restaurants und Fußballspiele sind gut besucht, Masken und Desinfektionsmittel noch überall erhältlich. Bis auf einige wenige Versuche oppositioneller und zivilgesellschaftlicher Stimmen, die auf Gefahren der moderaten Politik hinweisen, zeigt sich hier auch der tief in der Gesellschaft verwurzelte Paternalismus.  

Dennoch spielt Lukaschenko im Wahljahr ein riskantes Spiel. Sollte sich in Ländern wie Italien und Spanien kein deutlicher Rückgang der Fallzahlen aufgrund der strikten Maßnahmen zeigen bei gleichzeitig massiven Einbrüchen der Wirtschaft, so wird dies den Präsidenten bestätigen. Ebenso wahrscheinlich ist jedoch ein exponentielles Wachstum der Infektionen in Belarus, denen auch ein verhältnismäßig gut ausgestattetes Gesundheitssystem nicht standhalten können wird. Eine solche Eskalation könnte man auch im autoritären Belarus nicht verschleiern, sie würde den ewigen Präsidenten massiv unter Druck setzen.

Erschienen am 27. März im ipg-Journal

Autor*in
Julia Bläsius

Von Januar bis März 2019 leitete Julia Bläsius das FES Büro in Kiew, als Elternzeitvertretung von Marcel Röthig. Seit 2007 arbeitet sie bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, zuletzt von 2013-2017 als Leiterin des Regionalbüros der Stiftung im Südkaukasus.

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