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Corona und Pakistan: Im Kampf gegen eine unsichtbare Epidemie

Die Zahl der Infektionen mit dem neuen Coroniavirus ist in Pakistan vergleichsweise gering. In dem Land wurde aber bisher auch kaum getestet. Außerdem ist die Akzeptanz für Quarantänemaßnahmen nicht überall vorhanden.
von Jochen Hippler · 28. April 2020
In Pakistan dürfen Massengebete weiterhin stattfinden – wie hier in Lahore.
In Pakistan dürfen Massengebete weiterhin stattfinden – wie hier in Lahore.

Die Zahlen für Corona-Infektionen oder damit verbundene Sterbefälle liegen in Pakistan – im internationalen Vergleich – immer noch auf sehr niedrigem Niveau. Bis zum 21. April 2020 wurden weniger als 10.000 Infektionen und etwas mehr als 200 Tote registriert, dazu mehr als 2000 Genesene. Bei einer Bevölkerung von mehr als 210 Millionen Menschen sind diese Zahlen eigentlich winzig, gerade auch im Vergleich zu denen aus Europa oder den USA. Allerdings ist dies kein Grund zur Freude oder zu Erleichterung: Wo kaum auf das Virus getestet wird, lassen sich auch kaum Infektionen feststellen. Über Wochen wurden täglich nur 400-500 Tests durchgeführt, inzwischen soll die Zahl bei 2500-3000 liegen – kaum der Rede wert. Wenn schon in Europa nicht klar ist, wie viele Menschen denn tatsächlich an Covid-19 erkrankt sind, dann lassen sich in Pakistan dazu nicht einmal halbwegs seriöse Schätzungen anstellen, die Datenlage ist zu dünn. Seit allerdings auch Ministerpräsident Imran Khan aufgrund eines Kontaktes mit einem Infizierten auf Corona getestet wurde (das Ergebnis war negativ), dürfte zumindest in der Mittelschicht das Bewusstsein für die Gefahr noch einmal gewachsen sein.

Isolation schwer durchzusetzen

Bis Mitte März zeichnete sich die pakistanische Gesellschaft durch eine erstaunliche Sorglosigkeit im Umgang mit der Pandemie aus. Der Trubel der Basare war so hektisch wie immer. Zwar hatten einige Medien von der Notwendigkeit von Abstandsregeln berichtet, beeindruckt davon zeigte sich aber kaum jemand. Wenige Tage, nachdem die WHO dann das Virus offiziell zur Pandemie erklärte, kam es zu einem abrupten Kurswechsel der Regierung. Vieles deutet darauf hin, dass das Militär den Ministerpräsidenten zwang, einen Lockdown zu erklären, trotz seiner wirtschaftspolitisch bedingten Einwände. So sinnvoll diese Maßnahmen seuchenpolitisch auch waren, so schwer sind sie durchzuhalten.

Nicht allein der unbefangene Umgang der meisten Pakistaner mit Regeln und Vorschriften spielt eine Rolle, sondern auch die wirtschaftliche Not. Millionen Tagelöhner wussten bereits vor der Krise nicht, wovon sie zwei oder drei Tage später leben sollten – nun zu erwarten, dass sie wochenlang zuhause bleiben und ganz ohne Einkommen leben, ist ziemlich viel verlangt. Den Millionen von Beschäftigten im informellen Sektor, die ohne jede soziale Sicherheit existieren, geht es im Lockdown nicht besser.

Massengebete trotz Lockdown

Der Lockdown ist inzwischen eine Art Leopardenfell. In ausgewählten, meist wohlhabenden Stadtteilen mancher Städte – gerade in der Hauptstadt – wird er in erstaunlich hohem Maße beachtet, aber anderswo, etwa in ärmeren Basaren oder in vielen Moscheen spürt man davon nichts. Gerade dort ist der Lockdown schwierig. Bei vielen Gläubigen und erst recht bei Predigern, religiösen Funktionären und Vertretern religiöser Parteien besteht ein beträchtlicher Widerwille, gemeinsame Gebete in den Moscheen ausfallen zu lassen. Zwar versuchte die Regierung, entsprechend auf die Ulama einzuwirken, sah sich dann aber zu einem „Kompromiss“ gezwungen, der extrem fragwürdig ist: Massengebete dürfen stattfinden, allerdings werden die Teppiche aus den Moscheen entfernt, die Räumlichkeiten desinfiziert, und die Gläubigen sollen einen Mindestabstand von 90 cm einhalten – letzteres offensichtlich viel zu gering, aber ohnehin während der Gebete nicht durchzusetzen. Viele Prediger haben öffentlich erklärt, sich an irgendwelche Vorgaben nicht halten zu wollen. Die Regierung erwies sich als hilflos, weil die Vorstellung, massenhaft Gläubige in Pakistan durch Polizeigewalt vom Gebet fernhalten zu wollen, politisch kaum durchsetzbar wäre.

Dieser Artikel erschien zuerst im IPG-Journal am 24. April.

Autor*in
Jochen Hippler

Jochen Hippler ist Politikwissenschaftler und Friedensforscher und seit Mai 2019 Länderdirektor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Islamabad/Pakistan.

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