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Corona in Tunesien: Entschlossener reagiert als Europa

Die tunesische Regierung hat in der Corona-Krise deutlich schneller reagiert als viele europäische Länder, meint Henrik Meyer, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tunis. Dennoch könnten die Krankenhausbetten schnell knapp werden.
von Jonas Jordan · 19. März 2020
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Wie macht sich die Corona-Krise im tunesischen Alltag bemerkbar?

Schulen und Kindergärten sind geschlossen, viele Arbeitgeber haben auf Home Office umgestellt. In den Supermärkten fehlt es vor allem an Mehl, Nudeln und Reinigungsmitteln. Cafés und Restaurants, die normalerweise das Herzstück des sozialen Lebens in Tunesien sind, sind täglich ab 15 Uhr geschlossen. Die Unsicherheit der Tunesierinnen und Tunesier ist greifbar, auch wenn es zum Glück noch nicht zu Panikreaktion und größeren Unruhen gekommen ist. Dies kann sich allerdings schnell ändern. Tunesien verfügt nur über eine äußerst geringe Zahl von Betten auf Intensivstationen. Es steht zu befürchten, dass das tunesische Gesundheitssystem kollabiert, wenn eine große Zahl von Patienten versorgt werden muss, die auf Beatmungsmaschinen angewiesen sind. 

Mit welchen Maßnahmen hat die Regierung auf die Krise reagiert?

Die neue Regierung des sozialdemokratischen Regierungschefs Elyes Fakhfakh hat wesentlich entschlossener und schneller reagiert als die Regierungen Europas. Obwohl es in Tunesien Stand heute erst 24 bestätigte COVID-19-Fälle gibt, hat Fakhfakh bereits am 13. März dekretiert, dass nahezu alle Flüge von und aus Europa gestrichen werden. Aus Deutschland durfte nur noch ein letzter Flug nach Tunesien starten. Ab dem 17. März wird der tunesische Luftraum vollständig gesperrt, die Grenzen zu Algerien und Libyen ebenfalls. Die Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst wurden auf zwei Schichten mit jeweils fünf Stunden verkürzt, um die gleichzeitige Anwesenheit vieler Menschen in den Büros zu reduzieren.

Auch Hilfen für die ohnehin strauchelnde tunesische Wirtschaft wurden in Aussicht gestellt. Ob der tunesische Staat hierzu angesichts seiner hohen Schuldenlast in der Lage sein wird, bleibt abzuwarten. Die ohnehin anstehenden Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds über ein neues Hilfsprogramm werden unter veränderten Vorzeichen geführt werden müssen.

Wie haben sich die Beziehungen zu den Nachbarländern/den Ländern der Region verändert?

Der Reiseverkehr ist nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Besonders sensibel ist der Umgang mit dem östlichen Nachbarn Libyen. Dort ist die staatliche Ordnung nach Jahren des Bürgerkriegs zusammengebrochen. Dass es dort keinen einzigen bestätigten COVID-19-Fall gibt, liegt einzig daran, dass dort keine Tests durchgeführt werden. Für den Umgang mit aus dem Kriegsgebiet flüchtenden Menschen ist dies eine besonders knifflige Situation.

Tunesien ist von Grenzschließung auch deswegen ganz besonders betroffen, da es wie kaum ein anderes Land abhängig ist von Einnahmen aus dem Tourismus. Die größte Gruppe der fast zehn Millionen Touristen im letzten Jahr kam aus Algerien. Sollte diese Grenze dauerhaft geschlossen bleiben, wäre dies eine existenzbedrohende Gefahr für die fast 20 Prozent der tunesischen Bevölkerung, die direkt oder indirekt im Tourismussektor arbeiten.

Wie hat sich die Wahrnehmung Deutschlands aus der Außenperspektive verändert?

Es gibt Einzelfälle von misstrauischem Verhalten gegenüber Deutschen, denen unverantwortliches Reiseverhalten vorgeworfen wird. Im Allgemeinen herrscht aber einfach jene große Sorge vor, die die Menschen in allen betroffenen Ländern der Welt vereint.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung?

Das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), mit 45 Mitarbeiter_innen die größte Auslandsvertretung der FES weltweit, ist seit dem 16. März geschlossen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten von zu Hause. Alle Veranstaltungen sind abgesagt. Wann eine Wiederaufnahme des Betriebs möglich ist, kann derzeit niemand absehen. Die von der Regierung verkündeten Maßnahmen gelten vorerst bis Anfang April. Wenig später beginnt dann bereits der Ramadan, in dem das wirtschaftliche Leben ohnehin stark eingeschränkt ist. Es ist nicht auszuschließen, dass die Regierung deswegen ihre rigiden Maßnahmen bis zum Ende des Ramadans am 27. Mai aufrecht erhält.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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