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Corona in Tansania: Widersprüchlicher Umgang mit der Krise

Die Regierung von Tansania pflegt einen widersprüchlichen Umgang mit der Corona-Pandemie. Schulen und Universitäten sind geschlossen, Märkte und religiöse Einrichtungen nicht. Der Präsident ermuntert gar dazu, Sonntagsmessen zu besuchen.
von Andreas Quasten · 3. April 2020
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Nun hat es das „Uhuru Torch Race“ tatsächlich erwischt. Seit dem Tag der Unabhängigkeit vor 58 Jahren wird alljährlich dieser Staffellauf mit der Freiheitsfackel durch alle Regionen des ostafrikanischen Landes abgehalten, ein nationales Symbol für Freiheit und Patriotismus aus den Zeiten des Staatsgründers Julius Nyerere. Schon seit Jahren öffentlich eher zum Symbol für Verschwendung von Staatsgeldern und Korruption verkommen, geriet es ohnehin zwangsläufig in den Fokus des auf Austeriät und Sparsamkeit bedachten amtierenden Präsidenten John Pombe Magufuli. Zumindest die diesjährige Ausgabe fiel nun dem staatlichen Verbot öffentlicher Veranstaltungen aufgrund des Coronavirus zum Opfer.

Schulen und Universitäten zu, Kirchen offen

Wenngleich die Absage zu begrüßen ist, verdeutlicht sie auch den zwiespältigen, ja bisweilen widersprüchlichen Ansatz der tansanischen Regierung zur Eindämmung des Virus. Schulen und Universitäten bleiben zunächst für 30 Tage geschlossen. Die privat betriebenen und meist heillos überfüllten „Daladalas“, das zentrale Fortbewegungsmittel in der Stadt wie auf dem Land, dürfen nunmehr lediglich die Anzahl der vorhandenen Sitzplätze befüllen und sind zu verschärften Hygienevorschriften verpflichtet. Aber: Märkte und religiöse Einrichtungen bleiben von Beschränkungen ausgenommen. Magufuli räumte dem Glauben gar eine zentrale Rolle in der Bekämpfung des Virus ein und ermunterte dazu, weiterhin zahlreich die Sonntagsmessen und Freitagsgebete zu besuchen und um Gottes Unterstützung zu bitten. Kurz vor Ostern und ungeachtet der Tatsache, dass dies ganz maßgeblich zu einer Ausweitung des Pandemie in anderen Ländern wie Südkorea beigetragen hat.

Mit 20 offiziell bestätigten Fällen und einem Todesfall (Stand 3. April) findet sich Tansania am unteren Ende der weltweiten und im Mittelfeld der afrikanischen Infizierungsskala wieder. Die niedrigen offiziellen Fallzahlen vermitteln auch in der Bevölkerung das trügerische Bild, die Situation sei unter Kontrolle. Bis auf einen Aufruf zur sozialen Distanzierung bleibt die Regierung im Vergleich zu den Nachbarstaaten der ostafrikanischen Region bislang zurückhaltend, wenn es um die Verhängung von Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen bis hin zu „Lockdowns“ angeht. Die Grenzen bleiben auch für den Personenverkehr geöffnet, Einreisende müssen sich allerdings einer Quarantäne an dafür vorgesehenen Orten auf eigene Kosten unterziehen.

Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang

Noch wählt die tansanische Regierung diesen milden Ansatz, da die Sorge vor den negativen wirtschaftlichen Konsequenzen weitreichender Beschränkungen schwerer wiegen als vor jenen der Pandemie selbst. Nicht zufällig ließ Magufuli während seiner Verkündung des Verbots öffentlicher Veranstaltungen die Bevölkerung im selben Atemzug wissen, man solle sich durch die Ankunft des Virus im Land nicht vom Pfad der wirtschaftlichen Entwicklung abbringen lassen und müsse nun weiter hart arbeiten. Rückgänge in wichtigen Wirtschaftssektoren wie Tourismus und Hotelgewerbe sind bereits spürbar; Ausgangssperren würden beispielsweise auch den Bausektor treffen, der wesentlich zu den hohen wirtschaftlichen Wachstumszahlen von durchschnittlich sechs bis sieben Prozent in der letzten Dekade beiträgt. Die wirtschaftliche Industrialisierung ist das Kernelement und Versprechen der präsidialen Agenda Magufulis – dahinter muss eine so weit- und potenziell folgenreiche Pandemie wie das Coronavirus (vorerst noch) zurückstecken.

Längst ist es notwendig, den Blick über akute Krisenvorsorge und –management der Regierung hinaus zu weiten auf gesellschaftliche und soziale Auswirkungen – sie treffen die Bevölkerung nämlich in höchst ungleichem Maße. Rund 85 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Tansania verdient den Lebensunterhalt ihres Haushalts in informeller und prekärer Beschäftigung – als Tagelöhner*innen und Kleinsthändler*innen ohne jegliche Rücklagen und soziale Absicherung. Ihre sozioökomische Lage ist äußerst vulnerabel und durch die Pandemie mit zwei Übeln konfroniert: Beschließt die Regierung Kontakt- und Ausgangssperren und setzt diese rigoros durch, werden sie von einem auf den anderen Tag ihrer Überlebensgrundlage beraubt und müssen den Hunger fürchten. Und selbst wenn diese Maßnahmen ausbleiben, sind sie durch unzureichende Fließwasserversorgung in dicht besiedelten informellen Siedlungen, fehlende oder unerschwingliche Schutzbekleidung sowie auf überfüllten Märkten und in Bussen in höherem Maß einer Infizierung ausgesetzt.

Unzureichende staatliche Unterstützung

Die finanziell schlecht ausgestatteten und unzureichenden sozialen Sicherungsnetze decken gerade einmal ein Prozent der Bevölkerung ab. Staatliche Unterstützungsleistungen für Arbeitslose gibt es nicht, was auch jene hart trifft, die nun bereits zu Beginn der Corona-Krise ihren Job verloren haben. Zugang zu Krankenversicherungsschutz im Rahmen staatlicher Versicherungsfonds besteht allenfalls für die Minderheit formell Beschäftigter, während der Großteil der Bevölkerung private „out-of-pocket“-Auslagen für die allernötigsten Behandlungen zusammenkratzen muss. Die Posten für Gesundheit, Wasser und Bildung nehmen zusammen genommen gerade einmal ein Fünftel der sogenannten Entwicklungsausgaben im Haushalt ein. Ganz im Gegensatz zu großen Infrastukturprojekten, die als vorrangig für das Entwicklungsmodell des Landes gelten und mehr als die Hälfte jener Ausgaben einnehmen. Der externe Schock des Coronavirus führt die Anfälligkeit eines Entwicklungsmodells vor Augen, in dem weitreichende soziale Sicherung und Unterstützung für die ärmsten Bevölkerungsschichten nicht als elementarer Bestandteil wirtschaftlicher Förderung und Nivellierung sozialer Ungleichheit vorgesehen ist.

In Tansania besteht somit die ganz akute und reelle Gefahr, dass die Erfolge der letzten Dekade in der Reduzierung relativer Armutsquoten durch die negativen Auswirkungen des Coronavirus und eine langfristige globale Rezession gebremst, möglicherweise gar rückgängig gemacht werden. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten drohen sich durch die Ausbreitung der Pandemie zu manifestieren und verschärfen. Umso notwendiger wäre es, jetzt soziale Sicherungsmaßnahmen und wirtschaftliche Unterstützungsleistungen für die Bedürftigsten auf die politische Agenda zu setzen – im Sinne der akuten Krisenbewältigung ebenso wie für eine langfristig inklusive und nachhaltige Entwicklungsstrategie. Ein wirtschaftlicher Rückgang brächte immense Steuerausfälle mit sich, was perspektivisch die ohnehin begrenzten Möglichkeiten der Regierung in der Fiskalpolitik weiter einschränkt. Nicht nur deshalb wird ein hohes Maß an internationaler Solidarität erforderlich sein, um die schlimmsten Folgen der Pandemie in Tansania zu begrenzen.

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Andreas Quasten

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tansania und war für die FES zuvor in Berlin und in Südafrika tätig.

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