Corona in Südafrika: Zwei Szenarien nach dem Lockdown
imago images/Gallo Images
Der landesweite Lockdown bestimmt weiterhin den Alltag in Südafrika. Trotz erster Versuche, die Wirtschaft und das Leben vorsichtig wiederzubeleben, ist ein Ende der harten Beschränkungen nicht in Sicht. Vor allem die politische Reaktion auf das Virus wirkt zunehmend wie ein Brennglas für die Probleme des Landes aber auch der Regierungspartei, dem ANC. Ein pessimistisches Szenario sieht das Land weiter in Strudel aus Armut, Hunger, Arbeits- und Perspektivlosigkeit versinken. Optimist*innen sehen jedoch auch Chancen für eine durch die Pandemie gestärkte südafrikanische Gesellschaft. Für beide Szenarien ist der ANC von zentraler Bedeutung.
Finanzielle Hilfe durch den IWF
Trotz einem ökonomisches Unterstützungsprogramm von ca. 10 Prozent des jährlichen BIPs sind die Themen Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit allgegenwärtig. Über allen Maßnahmen schwebt deutlich die Angst vor den gesellschaftlichen Folgen des wirtschaftlichen Niederganges. Nur ein kleiner Teil der eingesetzten Mittel stammt aus dem eigenen Haushalt, der Großteil wird über Schulden finanziert. Dabei geht es eindeutig auch an die politische Substanz: Die vom ANC geführte Regierung hat sich mangels Alternativen an den Internationalen Währungsfonds gewandt. Für die ehemalige Befreiungsbewegung, die sich zumindest rhetorisch dem Anti-Imperialismus und Anti-Kapitalismus verschrieben hat, eine harte Entscheidung.
Die Wirtschaft wird um bis zu 17 Prozent schrumpfen, der ökonomische Abwärtstrend der vergangenen Jahre wird sich klar verstärken. Unterernährung war bereits vor der Pandemie ein großes Problem, aktuell herrscht aber vor allem in den Townships und informellen Siedlungen akute Nahrungsmittelknappheit. Zudem zeigen sich wieder erste Risse innerhalb des ANC, Präsident Ramaphosa verliert an Rückhalt. Je komplexer die Regularien im Zuge der ersten Öffnungsversuche werden, desto weniger sind die staatlichen Institutionen in der Lage, die politischen Entscheidungen auch nachvollziehbar umzusetzen. Bei existentiellen Fragen wie der fairen Verteilung von Nahrungsmittelpaketen vermengt sich dies dann mit wiederkehrender Korruption und der teilweise stark überzogenen Reaktion von Polizei und Armee zu einem potentiell hochexplosiven Gemisch.
Armut wird unmittelbar relevant
Arbeitsplatzsicherung ist oberste Prämisse der Regierung, aus gutem Grund. Ausgehend von einer Arbeitslosenquote von real fast 40 Prozent – offiziell 29 Prozent – gehen durch den aktuellen Lockdown bereits ein bis zwei Millionen Jobs zusätzlich verloren. Dies hat direkte Auswirkungen für fünf bis zehn Millionen Menschen, die unmittelbar von diesen Arbeitsplätzen abhängen. Konkrete Unterstützungen scheitern oft an unzureichenden Ressourcen, ausbleibendem Kooperationswillen der Unternehmen oder der Überforderung zuständiger Behörden. Von 1,3 Millionen Hausangestellten sind beispielsweise nur 50 Prozent überhaupt bei der Arbeitslosenversicherung registriert. Anfang Mai hatten weniger als 2,5 Prozent eine finanzielle Unterstützung erhalten.
Was jedoch zu einem ersten Umdenken bei den Südafrikaner*innen führt, die nicht täglich um das Überleben der eigenen Familie kämpfen müssen, ist die Tatsache, dass Ungleichheit aktuell direkt zur Stabilitätsfrage und damit im Alltag buchstäblich greifbar wird. Wo bis dato für die oftmals weiße südafrikanische Mittelklasse die grassierende Armut eher eine theoretische und lokal begrenzte Frage war, wird sie jetzt unmittelbar relevant. Soziale Unruhen haben nun das Potential, nicht nur lokal begrenzte Unruhen hervorzurufen, sondern landesweit die Stabilität und damit die Sicherheit auch in wohlhabenderen Vierteln zu gefährden. Gerade deshalb wird in Südafrika massiv das Militär mobilisiert. Zudem wird nun offensichtlich, dass auch der Wohlstand der Mittelklasse auf häufig informellen, bis dato wenig sichtbaren, Unterstützungsleistungen und Wertschöpfungsketten beruht.
Geschlossenheit des ANC bekommt Risse
Hier liegt eine klare Chance für sozialen Wandel, denn Armut und Ungleichheit werden nun real und greifbar. Bis dato unsichtbare, oftmals prekäre oder informelle Arbeit spielt für fast alle Bevölkerungsschichten eine offensichtlich derart entscheidende Rolle, dass mit geeigneter politischer Orchestrierung und der richtigen Akzentsetzung seitens Gewerkschaften, der Zivilgesellschaft aber auch der Wirtschaft die Beseitigung der überwältigend großen Ungleichheit zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe gemacht werden kann.
Auch wenn die Regenbogennation erst ganz am Anfang der Pandemie steht, lassen sich grob zwei Szenarien ausmachen.
Die Zukunft kann noch dunkler werden, sofern sich die internen Konflikte im ANC wieder zunehmen. Die anfängliche Geschlossenheit bekommt weitere Risse und die offen zur Schau gestellte Lustlosigkeit des amtierenden Finanzministers ist nur ein erstes Anzeichen für das erneute Aufflammen der Grabenkämpfe. Ramaphosa kann die kurzzeitig erlangte Kontrolle über das Kabinett nicht aufrechterhalten und Teile der Partei arbeiten wieder aktiv gegen die eigene Führung. Die Zukunft des ANCs steht erneut vor der des Landes selbst. Die Akzeptanz der politischen Entscheidungen sinkt, die Bemühungen die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen verpuffen, die wirtschaftlich starke Fragmentierung der Gesellschaft zerstört das zarte Pflänzchen des breiten gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Jede/r kämpft für sich allein und die wenigen Starken handeln zu Lasten der vielen Schwachen, die lebensbedrohlichen Folgen ignorierend.
Südafrikas Gesellschaft kann aber trotz aller offensichtlich unvermeidlichen wirtschaftlichen Herausforderungen auch gestärkt aus der Pandemie hervorgehen. Der ANC kommt gemeinsam mit den Allianzpartnern seiner politischen Verantwortung nach und führt mit harten aber transparent kommunizierten und damit gesellschaftlich akzeptierten Entscheidungen durch die Corona-Krise. Das zu Beginn der Krise durchaus weitverbreitete Gefühl, wonach ein geeinter und fokussierter ANC das Land effektiv regieren kann, bringt u.a. auch die Wirtschaft dazu, mutig zu investieren und den Schulterschluss mit den Gewerkschaften zu suchen. Die horrende Ungleichheit wird auf Erfahrungen aus dem wochenlangen Stillstand des wirtschaftlichen und sozialen Lebens basierend als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen. Die wenigen Starken stehen für die vielen Schwachen ein, da es um die gemeinsame Zukunft geht. Politisch angetrieben erfolgt eine breite Debatte über ein alternatives Wirtschaftssystem, dem generellen Wert von Arbeit und eine Rückbesinnung auf das Gemeinwohl. In diesem zugegebenermaßen eher optimistischen Szenario zieht die Regenbogennation die richtigen Konsequenzen aus der aktuellen (globalen) Krise und geht in Einheit gestärkt all jene Probleme an, die Südafrika seit Jahrzehnten lähmen.
leitet das regionale Gewerkschaftsprojekt der FES für Sub-Sahara Afrika (FES TUCC) mit Sitz in Südafrika.