Corona-Pandemie: Warum Wirtschaftsnationalismus niemandem nutzt
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Zweifellos ist die Corona-Krise zuallererst eine menschliche Tragödie und eine medizinische Herkulesaufgabe. Aber sie ist auch eine enorme ökonomische Herausforderung. Die wirtschaftliche Herausforderung der Krise durchläuft drei Phasen, die wir meistern müssen.
Die drei Phasen des Lockdown
In der ersten Phase, die des Lockdown, müssen die Überlastung der Krankenhäuser verhindert und der wirtschaftliche Kollaps abgewendet werden, indem der Staat massiv Liquidität zur Verfügung stellt. Das sind das Kurzarbeitergeld und die Liquiditäts–Bazooka. Lange lassen sich die starken Einschränkungen eines Lockdowns aber trotzdem nicht durchhalten.
Es folgt deshalb rasch die zweite Phase, von Fachleuten „Dance“ genannt, mit fein austarierten Einschränkungen: Streng genug, um das Virus an einer exponentiellen Ausbreitung zu hindern; locker genug, um der Wirtschaft wieder Luft zum Atmen zu lassen. Diese Phase dürfte länger dauern – bis wir einen Impfstoff haben oder Herdenimmunität erreicht ist. Für viele betroffene Betriebe und ganze Branchen dürfte das noch eine echte Durststrecke sein. Entsprechend werden die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen bereits ergänzt, um massenweise Überschuldung der Unternehmen zu vermeiden.
Weltwirtschaft nicht aus dem Blick verlieren
Die dritte Phase schließlich ist die Normalisierung. Damit die Wirtschaft rasch wieder in vollen Schwung kommt, wird staatliche Konjunkturpolitik benötigt. Dies sollten wir mit einer transformativen Investitions- und Klimaschutzagenda auf deutscher und europäischer Ebene kombinieren.
In all diesen Phasen dürfen wir die Weltwirtschaft nicht aus dem Blick verlieren. Denn unsere offene Volkswirtschaft ist der Knotenpunkt vieler wichtiger Wertschöpfungsketten, zum Beispiel im Maschinenbau oder in der Automobilindustrie. Und diese Wertschöpfungsketten zu erhalten, ist von erheblicher Bedeutung für unseren Wohlstand. Deshalb ist der erstarkende Wirtschaftsnationalismus in der Corona-Krise auch so gefährlich.
Wirtschaftsnationalismus verschlimmert die Krise
Die Weltwirtschaft ist kein merkantilistisches Nullsummenspiel, bei dem das Recht des Stärkeren gilt und es darum geht, die anderen Handelspartner auszutricksen oder zu erpressen. Leider hingen schon vor der Corona-Krise prominente Entscheidungsträger in anderen Teilen der Welt dieser protektionistischen Irrlehre an, die unseren Wohlstand bedroht.
Nun verschlimmert die Krise das nationalistische Gebaren weiter. Besonders bei knappen Gesundheitsprodukten sind die Marktregeln in der Krise ausgehebelt und wurden durch Trickserei und politischen Druck ersetzt. Wenn es so unfair und unzuverlässig zugeht, könnte die Konsequenz eine Renationalisierung sein. Der neue Protektionismus ist der Präventionismus. Er begründet das Kappen von Handelsbeziehungen heute damit, dass man sonst Gefahr liefe, dass die andere Seite morgen diese Verbindung kappen könnte. Ein so begründetes „Reshoring“, also eine Produktionsrückverlagerung ins eigene Land, wäre ökonomisch falsch und zivilisatorisch ein Rückschritt.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit nötig
Wann, wenn nicht jetzt, brauchen wir grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Medizinisches Personal, Masken, Beatmungsgeräte und Patienten müssen auch grenzüberschreitend zusammenfinden, statt national Kapazitäten ungenutzt zu horten, selbst wenn dabei die Nachbarn untergehen. Statt Protektionismus brauchen wir Ärzte ohne Grenzen. Die deutschen Krankenhäuser, die Patienten aus Italien, Frankreich und Spanien aufnehmen, machen Hoffnung.
An diesem Beispiel macht die Corona-Krise für alle deutlich, dass der globale Markt, auf den wir unseren Wohlstand begründen, auf Dauer nur funktionieren kann, wenn der Handel nicht nur frei, sondern auch fair ist. Zur Fairness gehört, dass der Welthandel keinen Deckmantel bietet für unfairen Steuerwettbewerb oder den Raubbau am Menschen und der Natur. Dazu gehört ein klarer internationaler Rechtsrahmen, nicht seine Aushebelung durch das Recht des Stärkeren. Dort, wo dieser Rahmen noch nicht stimmt, darf man zwischenzeitlich nicht naiv sein. Natürlich muss man gezielte Abwehrmechanismen haben und die Resilienz von Wertschöpfungsketten erhöhen. Aber dabei darf man keinesfalls in die Protektionsmusfalle tappen.
Faire Regeln und Solidarität
Vielleicht hat die Corona-Krise am Ende wenigstens ein Gutes. Sie könnte das Bewusstsein dafür schärfen, dass kein Mensch und Land heutzutage ausschließen können, eines Tages international auf faire Regeln und Solidarität angewiesen zu sein. Das wäre eine gute Basis für den erforderlichen zivilisatorischen Fortschritt.
ist Ökonom. Er arbeitete für die Weltbank und war SPD-Abgeordneter im Europaparlament, bevor er Chefvolkswirt im Bundesfinanzministerium wurde.