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Corona-Pandemie: Warum Südafrika der falsche Prügelknabe ist

Die neue Corona-Variante Omikron aus Afrika beunruhigt die Welt. Dabei sollte nicht vergessen werden: Pandemiebekämpfung erfordert Transparenz und Solidarität. Wie das geht, hat Südafrika gerade gezeigt. Es sollte dafür nicht bestraft werden.
von Sebastian Sperling · 29. November 2021
Omikron – die neue Corona-Variante: In Südafrika wurde sie zuerst entdeckt, ob sie auch wirklich von hier stammt, ist noch unklar.
Omikron – die neue Corona-Variante: In Südafrika wurde sie zuerst entdeckt, ob sie auch wirklich von hier stammt, ist noch unklar.

Die üblichen Klischees vom Katastrophen- und Armutskontinent Afrika waren in der deutschen Omikron-Berichterstattung erneut schnell zur Hand: „Das Virus aus Afrika ist bei uns“, titelte die Rheinpfalz am Sonntag. Die Rhein-Neckar-Zeitung packte ein Foto einer Wellblechhütte auf ihre Titelseite – statt zum Beispiel ein Foto des hochmodernen Forschungslabors, welches die Variante entdeckt hat. Und Spiegel Online berichtete von Fluchtszenen am Johannesburger Flughafen: „Wegen der neuen Virusvariante versuchen Menschen, Flüge in ihre Heimatländer zu ergattern.“

Aber nicht wegen der Variante herrschte dort Andrang. Sondern wegen der unmittelbar von vielen Ländern verhängten Reisebeschränkungen. Und deren Sinn für die Pandemiebekämpfung ist umstritten. Die WHO zeigt sich skeptisch. Ohnehin wurde die neue Variante bereits in elf Ländern nachgewiesen. Sicher ist aber: Die Konsequenzen der Restriktionen sind hart – für die betroffenen Menschen und auch die Wirtschaft. Südafrikas Tourismusbranche steht kurz vor der Hauptsaison – und nun vor einem Desaster. Allein in den ersten 48 Stunden nach Verkündung beklagten die Tourismusverbände bereits Stornierungen im Wert von 55 Millionen Euro.

Südafrika handelte schnell und solidarisch

Obwohl diese Konsequenzen abzusehen waren, hatte Südafrika unmittelbar nach der Entdeckung der Mutation den Rest der Welt gewarnt. Und das sogar noch bevor abschließende Erkenntnisse über ihren Ursprung vorliegen, der eventuell gar nicht in Südafrika ist, sowie über Krankheitsverläufe und Impfwirksamkeit. Es drängt sich die Frage auf, was uns weltweit erspart geblieben wäre, hätten seit der Entdeckung des Coronavirus SARS-CoV-2 alle Länder so solidarisch gehandelt wie es Südafrika nun tut.

Stattdessen wird das Land zum Dank für die Transparenz einmal mehr isoliert und stigmatisiert. Südafrika werde „bestraft für fortschrittliche Genomanalysen“, so das südafrikanische Außenministerium. Es ist kein Zufall, dass schon die zweite Variante in Südafrika entdeckt wurde. Das von HIV und anderen Epidemien gebeutelte Land hat in den vergangenen Jahrzehnten in erstklassige Epidemiologie investiert. „Exzellente Wissenschaft sollte belohnt, nicht bestraft werden“, beklagt die Regierung.

Pretoria sieht sich ungerechtfertigt diskriminiert

Was die deutschen Reisebeschränkungen aus südafrikanischer Sicht zu diesem Zeitpunkt besonders schwer verständlich macht: Die Covid-Katastrophe tobt derzeit eher in Deutschland als in Südafrika. Dort lag die Inzidenz zuletzt konstant unter 10. Erst in den letzten Tagen stiegen die Zahlen wieder stark an. Die geschah auch nur an einigen Orten, hauptsächlich in der Region Gauteng um Johannesburg und Pretoria. Die Inzidenz sprang dort am Samstag auf 67,2 – was allerdings immer noch weit unter dem aktuellen deutschen Niveau liegt.

„Tief enttäuscht“ sei er über die Reisebeschränkungen, so ein sichtlich angefressener Präsident Cyril Ramaphosa in seiner Fernsehansprache am 28. November. Sie seien „ungerechtfertigt“ und „diskriminierend“. Sie widersprächen den Absprachen der G20 und seien von keinerlei wissenschaftlichen Erkenntnissen gedeckt. Er forderte vor allem die Industrieländer auf, die Entscheidung umgehend zurückzunehmen – und zugleich endlich für globale Impfgerechtigkeit zu sorgen.

Impfstoffe müssen global verteilt werden

Das G20-Land Südafrika hat zwar inzwischen ausreichend Zugriff auf Impfstoff, hat aber mit der Verteilungslogistik sowie verbreiteter Impfskepsis im Land zu kämpfen. Erst etwas mehr als ein Drittel sind vollständig geimpft. Der schon länger erwarteten und nun anrollenden vierten Welle will die Regierung mit einer intensivierten Impfkampagne begegnen. Ramaphosa appellierte in seiner Ansprache erneut eindringlich an die Bevölkerung. Sogar eine Impfpflicht wird nun beraten. Härtere Lockdown-Regeln könnte sich das Land angesichts der tiefen sozialen und wirtschaftlichen Krise – die Arbeitslosigkeit liegt bei 35 Prozent – kaum leisten.

Für den Rest des afrikanischen Kontinents, wo die Impfquote bei ca. 10 Prozent liegt, bleibt jedoch der Zugriff auf Impfstoff weiter ein massives Problem. Um das das WHO-Ziel zu erreichen, bis Mitte nächsten Jahres 70 Prozent der Weltbevölkerung geimpft zu haben, müssten Impfstoffe endlich fairerer verteilt werden. In den G20 Ländern drohen Impfstoffe zu verfallen, während die Beiträge zum globalen Impfprogramm COVAX deutlich hinter den Zusagen und dem Bedarf zurückbleiben. Zwar erhält Südafrika europäische Unterstützung zum Aufbau eigener Produktionskapazitäten. Der Vorstoß des Landes in der Welthandelsorganisation, den Patentschutz für COVID-Impfstoffe zeitweise auszusetzen, um die weltweite Produktion weiter anzukurbeln, war jedoch unter anderem von den USA und der EU abgeschmettert worden.

Verhältnismäßigkeit der Restriktionen prüfen

All dies – verstärkt durch die bittere Erfahrung aus der Delta-Welle – erklärt die scharfe Reaktion Südafrikas. Während die EU-Länder und das Vereinigte Königreich damals rasch Reisebeschränkungen einführten, ließen sie sich mit dem Aufheben sehr lange Zeit – bis die Delta-Variante längst global dominierte. Europa sollte diesmal die Verhältnismäßigkeit der Restriktionen gründlich und kontinuierlich überprüfen. Vor allem sollte man sich in Brüssel und Berlin eines vor Augen halten: Solange das Virus in ganzen Weltregionen von Impfungen kaum behelligt weiterwüten kann, sind Mutationen unvermeidlich. Die Pandemie bewältigen wir letztlich nicht mit Reisebeschränkungen, sondern nur mit globaler Solidarität.

Dieser Beitrag erschien zuerst im ipg-journal.

Autor*in
Sebastian Sperling

leitet seit 2021 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Johannesburg.

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