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Corona in Mexiko: Warum der Präsident an Zustimmung verliert

In Mexiko wird der Höhepunkt der Corona-Pandemie Ende April erwartet. Fraglich ist, ob die Kapazitäten des Gesundheitssystems ausreichen. Die Politik von Präsident Obrador sorgt für Kritik.
von Astrid Becker · 16. April 2020
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„Zu Hause bleiben und mich vor der Ansteckung schützen – das kann ich mir nicht leisten, wenn ich meine Familie ernähren will.“ So schätzen viele Straßenverkäufer*innen in Mexiko-Stadt in Interviews von Journalist*innen ihre Lage ein. 60 Prozent der 130 Millionen Mexikaner*innen arbeiten im informellen Sektor. Sie leben meist von der Hand in den Mund, ohne Rücklagen für Extremsituationen ansparen zu können.

Corona-Höhepunkt Ende April erwartet   

Ende April wird der Höhepunkt der Covid-19-Pandemie in Mexiko erwartet. Aktuell sind knapp 2.800 Mexikaner*innen mit dem Corona-Virus infiziert, 141 hat das Virus bereits das Leben gekostet. Obwohl bereits seit drei Wochen die Schulen geschlossen sind und Ende März der Gesundheitsnotstand ausgerufen wurde – und damit auch der Privatsektor aufgefordert wurde, seine nicht existientiellen Aktivitäten einzustellen – ist zweifelhaft, ob das mexikanische Gesundheitssystem ausreichend auf die erwarteten Herausforderungen vorbereitet ist. Bisher wird im wesentlichen an die Bevölkerung appelliert, zu Hause zu bleiben, Reisebeschränkungen aus dem bzw. ins Ausland existieren nicht. Mexiko gehört damit zu den Ländern, die der Krise mit den geringsten restriktiven Maßnahmen begegnen. 

Expert*innen schätzen, dass die mexikanische Wirtschaft um vier Prozent schrumpfen wird. Trotzdem wertet Präsident Andrés Manuel López Obrador die aktuelle Entwicklung nur als vorrübergehende Krise, der er mit einem am vergangenen Sonntag vorgestellten Aktionsplan zur Belebung der Wirtschaft begegnen will. Die enthaltenen Maßnahmen – öffentliche Bauprojekte, zinslose Kredite für Kleinunternehmen, Gehaltskürzungen bei hohen Staatsangestellten, Stipendien für Schüler*innen, vorgezogene Rentenzahlungen und die Schaffung von zwei Millionen neuen Arbeitsplätzen – fanden bei Wirtschaftsvertreter*innen jedoch wenig Anklang. Kritisiert wird vor allem, dass wichtige Industrieunternehmen und Arbeitgeber*innen, z.B. in der Autoindustrie, keinerlei Unterstützung erhalten. Die Regierung setzt stattdessen auf die Fortsetzung ihrer Austeritätspolitik, die Großinvestitionen in den Ausbau der Ölindustrie oder Infrastrukturprojeke ohne klar erkennbare Eingliederung in eine langfristige Entwicklungsstrategie vorsieht. 

Umfragewerte des Präsidenten sinken

Angesichts des Verfalls der Rohölpreise werden insbesondere die Zahlungen an die staatliche Erdölgesellschaft Pemex und der Bau einer großen Raffinerie heftig kritisiert. Vorgesehen ist die Fortsetzung der zahlreichen assistenzialistischen Sozialprogramme, die sich vor allem an arme Bevölkerungsgruppen in ländlichen Regionen richten. Hilfen für den urbanen informellen Sektor sind dagegen kaum vorgesehen. Erstmals seit der Wahl des Präsidenten sind seine Zustimmungswerte nach einer am 5. April von Mitofsky veröffentlichten Umfrage unter 50 Prozent gefallen. 

Prekär ist die Situation der zahlreichen Migrant*innen aus Zentralamerika, die auf mexikanischer Seite der Grenze auf die Entscheidung der US-Behördern über ihre Asylanträge warten. Nachdem in den USA die Bearbeitung der Anträge zum 10. April eingestellt wurde, steigt die Zahl der in Mexiko Gestrandeten täglich. Eine Rückkehr in ihre Heimatländer ist ihnen aufgrund der dort drohenden Gefahren und mittlerweile durch die Schließung der Grenzen nach Guatemala, El Salvador und Honduras nicht mehr möglich. Die meisten harren in überbelegten Unterkünften aus und sichern ihr Überleben durch Arbeit im informellen Sektor. Die Anzahl der Gestrandeten steigt zudem, weil alle im Grenzgebiet der USA ohne gültige Dokumente aufgegriffenen Menschen mittlerweile direkt nach Mexiko ausgewiesen werden. Da zurückgeschickte Migrant*innen nicht auf das Coronavirus getestet werden und die hygienischen Bedingungen in den meist überfüllten Unterkünften katastrophal sind, scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die Zahl der Infektionen an der Nordgrenze Mexikos ansteigen wird.

Erschienen am 9. April im IPG-Journal.

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Astrid Becker

leitet das regionale Sustainability-Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mexico City. Zuvor war sie für die Stiftung in Peru tätig.

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