Corona in Kirgistan: Traumziel ohne Abstand und Masken
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Für all diejenigen, die sich endlich nach der Rückkehr zur Normalität sehnen, ist Kirgistan derzeit so etwas wie das Traumziel. Bereits nach der Einreise findet man sich beim Verlassen des Flughafens in Bischkek in einer Menschentraube ohne Abstand und Masken wieder. Das gesamte öffentliche Leben scheint weitgehend ohne pandemiebedingte Einschränkungen auszukommen. Also zurück zum Status quo ante? Nicht ganz.
Vorsicht weicht dem Machtwechsel
Nachdem es im Frühjahr 2020 zu einem mehrwöchigen restriktiven Lockdown inklusive Ausgangssperren kam, hatte sich die damalige Regierung entschieden, noch vor dem Sommer einen Großteil der Beschränkungen aufzuheben. Die wirtschaftliche Notlage der Menschen ließ angesichts leerer Staatskassen und unzureichender sozialer Sicherung für die politisch Verantwortlichen scheinbar keine andere Lösung zu – zumal die Parlamentswahlen im Herbst 2020 unmittelbar bevorstanden. Als Folge erfasste die Pandemie Kirgistan dann in den Sommermonaten des vergangenen Jahres mit großer Wucht: Viele Menschen fielen der Erkrankung zum Opfer, die hohe Zahl tödlicher Verläufe offenbarte die miserable Situation des Gesundheitssystems, das auch unter normalen Bedingungen an der Belastungsgrenze arbeitet.
Alle Vorsicht, die nach den Eindrücken des Sommers in der Bevölkerung vorhanden war, schien sich im Zuge der politischen Proteste nach den von Betrugsvorwürfen überschatteten Wahlen und der folgenden politischen Krise verflüchtigt zu haben. Heute sind die neuen Entscheidungsträger*innen um Konsolidierung der Macht und politische Stabilität bemüht. Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hätten eine weitere Verschlechterung der ökonomischen Situation zur Folge und würden die politische Fragilität kurz vor den wichtigen Lokalwahlen, die mit der Abstimmung über eine neue Verfassung gekoppelt sind, verstärken.
Im März beginnen die Impfungen
Angesichts der offiziell niedrigen Inzidenzwerte mit derzeit landesweit unter 50 neuen Fällen pro Tag verschreibt sich die Politik der Hoffnung, dass eine weitere Welle der Pandemie ausbleibt und die Bevölkerung durch die hohen Ansteckungszahlen im vergangenen Sommer zu weiten Teilen immunisiert ist. Eine Validierung der Daten ist nicht möglich, es existieren aber aktuell keine alarmierenden Berichte aus den Krankenhäusern, die die niedrigen Zahlen in Frage stellen würden. Gleichzeitig setzt man auf den Start der Impfungen.
Die kirgisische Regierung hat Anfang Februar eine Impfstrategie gegen das Virus vorgelegt. In einer ersten Phase, die etwa 200 000 Personen (etwa 3 Prozent der Gesamtbevölkerung) umfassen soll, ist beabsichtigt, die Beschäftigten im Gesundheitssektor sowie Personen, die durch ihre Tätigkeit in besonderem Maße einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind, zu impfen. In einer zweiten Phase ist die Impfung weiterer Risikogruppen vorgesehen. Bestenfalls ab Juni sollen dann Impfstoffe für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen. Der Beginn der Impfungen der ersten Phase der Impfstrategie ist für März vorgesehen und soll vermutlich mit dem russischen Impfstoff Sputnik-V erfolgen.
Bislang nur Sputnik-V zugelassen
Präsident Sadyr Japarov, der seit Ende Januar im Amt ist, hat bei seinem Antrittsbesuch in Russland Ende Februar um 500 000 Dosen des Vakzins gebeten. Der russische Impfstoff ist bislang der einzige, der von der kirgisischen Arzneimittelbehörde zugelassen wurde. Weitere 504 000 Impfdosen des Herstellers AstraZeneca werden im Rahmen der COVAX-Initiative erwartet. Auch der Nachbar China hat die Lieferung von Impfstoffen mittlerweile zugesagt, was durchaus auch auf die politische Dimension der Impfstoffbeschaffung und -verwendung verweist.
Im Rahmen der Impfdiplomatie spiegeln sich die bekannten Muster der externen Einflussnahme auf das kleine zentralasiatische Land wider: China versucht seinen Einfluss im kleinen Nachbarstaat weiter auszubauen, doch scheitert abermals an der mangelnden Soft Power. Zu weit verbreitet sind Sinophobie, Misstrauen und Skepsis gegenüber China in der kirgisischen Bevölkerung. So ist es wenig verwunderlich, dass eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Central Asia Barometer im Februar ergab, dass die Befragten mehrheitlich (75,5 Prozent) Russland für „am besten geeignet” halten, um dem Land bei der Bewältigung der Covid-19-Krise zu helfen. Gerade einmal 7,5 Prozent der Befragten gaben an, dass die Volksrepublik China hier der beste Partner für Kirgistan sei.
Anzunehmen ist also, dass es gegenüber dem chinesischen Vakzin weitaus mehr Vorbehalte geben wird als gegenüber dem russischen Fabrikat. Mit Blick auf die Impfbereitschaft in der Bevölkerung kann das ein entscheidender Faktor sein. Bis sich diese Debatte dann vielleicht auch öffentlich entfalten wird, muss aber erst einmal Impfstoff im Land sein. Bis dahin gilt: abwarten und gesund bleiben.
Am 15. März erschienen im IPG-Journal.
leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kirgistan. Davor war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro der Stiftung in Shanghai und im Referat Internationale Politikanalyse in Berlin tätig.