Corona in Kasachstan: Wenige Impfungen, hohe Durchseuchung
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Kasachstan, das größte Land Zentralasiens, ist nicht immun gegen das Coronavirus. Mit knapp 265 000 Fällen – gemäß offiziellen Angaben –, bereits zwei Lockdowns und enormen ökonomischen Konsequenzen, ist wie überall auf der Welt die erfolgreiche Umsetzung einer Impfstrategie für das Land von enormer Bedeutung. Das möchte man zumindest meinen. Doch das Impfen begann langsam: Am 1. Februar 2021 startete Kasachstan mit nur einigen Bevölkerungsgruppen der öffentlichen Versorgung – hier vor allem medizinischem Personal, der Polizei, der Feuerwehr und einigen Lehrerinnen.
Impfstart erst am 1. Februar
Eingesetzt wurde der russische Impfstoff Sputnik V. Bisher wurden ca. 20 000 Impfdosen verabreicht. Nach dem Plan des kasachischen Gesundheitsministeriums sollen bis Ende 2021 etwa sechs Millionen Menschen – ein Drittel der Bevölkerung – geimpft werden. Neben dem russischen Impfstoff, der in kleinen Mengen beschafft wurde und in der Folge nun per Lizenz im Norden des Landes produziert wird, soll auch der in Kasachstan entwickelte QazCovid-in Impfstoff eingesetzt werden. Dieser befindet sich derzeit in der dritten Phase der klinischen Studien und wird spätestens ab dem Herbst 2021 zur Verfügung stehen.
Zudem verhandelt das kasachische Gesundheitsministerium mit verschiedenen Herstellern, darunter Sinovac, Sinopharm und Biontech/Pfizer. Ob, wann und wie diese Impfstoffe in Kasachstan eingesetzt werden, beziehungsweise wann die allgemeine Bevölkerung in welcher Reihenfolge geimpft werden soll, ist nicht so recht klar. Auch Daten zur Impfbereitschaft in der kasachischen Bevölkerung stehen nicht zur Verfügung, allerdings gehen diverse Verschwörungstheorien durch die sozialen Medien, die auf eine allgemeine Verunsicherung bzw. fehlendes Vertrauen schließen lassen.
Große Teile des Landes im grünen Bereich
Kasachstan scheint jedoch einen eigenen Weg zu gehen, der nur zu einem Teil auf schnelle Impfungen setzt. Ein weiterer Baustein mag eine bereits hohe Durchseuchung sein. Inoffizielle Schätzungen gehen davon aus, dass bereits größere Teile der Bevölkerung (genannt wurde bis zu einem Drittel) im letzten Jahr erkrankt waren. Die Altersstruktur des zentralasiatischen Landes (Medianalter 29 Jahre) und die damit einhergehende niedrige Sterblichkeitsrate verhinderte wohl Schlimmeres. Diese Vermutung ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass sich die Fallzahlen nach zwei harten Lockdowns im letzten Jahr auf einem niedrigen Niveau mit nur wenigen Ausschlägen halten.
Derzeit sind große Teile des Landes im sogenannten „grünen Bereich“ und Einschränkungen des Lebens kaum noch vorhanden. Im vorläufigen Pandemiehöhepunkt im Sommer 2020 sah der zentralasiatische Staat anders aus: volle Krankenhäuser, ein überlastetes Gesundheitssystem und ein scharfer Lockdown, der von Straßen- und Ausgangssperren bis zur allgemeinen Maskenpflicht das volle Repertoire der Möglichkeiten ausschöpfte. Ob sich Kasachstan hier mit großen Schritten, wie in den sozialen Medien heiß diskutiert, der Herdenimmunität genähert hat, bleibt dennoch eine – wenn auch plausible – Spekulation.
Kasachische Bazooka fällt schmal aus
Sicher ist jedoch, dass nach den harten wirtschaftlichen Schockwellen, die 2020 im Zuge der Lockdowns durch das Land zogen, erneute Einschränkungen für die Wirtschaft – vor allem den Dienstleistungssektor, kleinere und mittlere Unternehmen sowie Selbstständige – kaum zu stemmen wären. Fehlende Diversifikation und durch Ressourcenabhängigkeit bedingte Volatilität der Wirtschaft sorgen dafür, dass die kasachische „Bazooka“ (frei nach Olaf Scholz) schmaler ausfällt: Nachdem in den vorgenannten Lockdowns ein „Sozialgeld“ von knapp 95 Euro an Bedürftige, die immerhin bis zu 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ausgemacht haben sollen, gezahlt wurde, ist der Staatshaushalt erschöpft.
Ein weiterer Lockdown würde die kasachische Wachstumspolitik nicht nur gefährden, sondern um Jahre zurücksetzen. Auch auf den sozialen Frieden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt hätte ein solcher Weg, wie in allen Ländern, negative Auswirkungen. Der gegenwärtige Minimalkurs der pandemiebedingten Einschränkungen ist damit einer wirtschaftspolitischen und auch – derzeitig gültigen – epidemiologischen Bewertung geschuldet. Mit dem Hochfahren der Impfquote und der damit verbundenen Implementierung einer kohärenten Strategie könnte die zentralasiatische Republik sicherstellen, dass zwei Krisen mit einer Spritze gelöst werden.
Am 15. März erschienen im IPG-Journal.
ist Regionaldirektor der FES in Kasachstan und Usbekistan. Er ist Mitherausgeber des Bandes „Flucht, Migration und die Linke in Europa“ (Dietz 2017).