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Corona in Japan: Kaum ein Land testet weniger

Kaum ein Land hat weniger Corona-Tests durchgeführt als Japan. Erst spät hat die Regierung reagiert und den Notstand verhängt. Dem Land könnte noch ein langer Kampf gegen Corona bevorstehen.
von Sven Saaler · 15. April 2020
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Die Entscheidung für einschneidende Maßnahmen wurde lange verschleppt, die Bedrohung kleingeredet. Doch am 7. April erklärte der japanische Premierminister Shinzo Abe angesichts der wachsenden Bedrohung durch das Corona-Virus für einen Monat den Notstand in sieben Präfekturen des Landes, vier davon im Großraum Tokyo. Auch wenn Japan über ein gut funktionierendes Gesundheitssystem verfügt und sich als Technologie-Nation versteht, hat kaum ein Land weniger Tests durchgeführt. Zwischen Anfang Januar 2020 und dem 24. März des Jahres wurden in Japan nur 18 000 Personen getestet, Anfang April wurde eine Gesamtzahl (!) von 40 000 Tests erreicht. Die offizielle Anzahl der mit Corona Infizierten überschritt daher erst Anfang April die Marke von 3 000, am 7. April lag sie bei 4 257.

Hohe Dunkelziffer vermutet

Eine hohe Dunkelziffer wird vermutet, seriöse Schätzungen sind aber nicht möglich. Klar ist jedoch, dass das Bestreben, die offiziellen Zahlen niedrig zu halten, nicht von ungefähr kommt. Zunächst ist da die Angst der Regierung Abe, mit ihrer Wirtschaftspolitik („Abenomics“) zu scheitern, wenn die Bewegungsfreiheit der Menschen zu stark eingeschränkt wird — insbesondere durch Einschränkung des Nahverkehrs rund um die Großstädte, aber auch bei den Einreisebestimmungen, die nur sehr zögerlich verschärft wurden. Zweitens wehrte man sich lange gegen die Idee einer Verschiebung (oder Absage) der Olympischen Spiele. Erst am 25. März konnte man sich zu diesem Schritt durchringen. Drittens bedingten die seit Monaten angespannten Beziehungen zu Korea, dass Japan einen anderen Weg verfolgen musste als der ungeliebte Nachbar. Südkorea versuchte von Anfang an, potentiell Erkrankte aufzuspüren und zu testen, um eine unbemerkte Ausbreitung des Virus zu verhindern. Japan verfolgte demgegenüber die Politik der Identifikation von Clustern, wohingegen individuelle Tests auf ein Minimum beschränkt wurden. Nur Menschen, die nachweislich mit einer infizierten Person in Kontakt gekommen waren, wurden zu einem Test zugelassen. 

Seit Februar rief die Regierung die Bevölkerung und Organisationen aller Art dazu auf, Menschenansammlungen zu vermeiden. Dabei handelte es sich nur um eine Empfehlung ohne gesetzliche Grundlage, aber von Mitte Februar bis Mitte März fanden kaum größere Veranstaltungen statt. Geschäfte und Restaurants blieben aber durchweg geöffnet, das öffentliche Leben war (bis auf einige Panik-Käufe (Masken, Toilettenpapier, Nudeln) nur geringfügig beeinträchtigt. Vor allem aber drängten sich die Menschen nach wie vor in die vollen Bahnen der Großstädte — auf Home Office waren nur wenige Firmen vorbereitet, das Konzept vom social distancing blieb Makulatur, bevor es überhaupt diskutiert wurde.

Die 3C-Vermeidungsstrategie

Ende März gab das japanische Gesundheitsministerium seine eigene Version dieser global praktizierten Praxis bekannt — die Vermeidung der 3 C’sClosed Spaces (schlecht gelüftete, abgeschlossene Räume), Crowded Places (größere Menschenansammlungen), und Close-range conversations (Gespräche in geringer Entfernung). Im Kern entsprechen diese Richtlinien dem, was anderenorts als social distancing praktiziert wird. 

Allerdings wurden diese Richtlinien selbst von staatlichen Institutionen durchweg ignoriert. So gestattete das Bildungsministerium den Schulen die Durchführung der Ende März bzw. Anfang April jedes Jahres stattfindenden Jahresabschlussfeiern und Einschulungszeremonien. Bei diesen Events versammeln sich jeweils 300 bis 500 Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern in meist schlecht belüfteten Mehrzweckhallen der Grund- und Mittelschulen. Selbst nachdem die Regierung am 6. April bekanntgegeben hatte, dass am 7. April der Notstand ausgerufen würde, wurden just an diesem Tag noch die Einschulungszeremonien durchgeführt. Trotz dieser bizarren Öffnung der Schulen für zeremonielle Zwecke bleibt der Unterricht ausgesetzt.

Das größte Konjunkturprogramm aller Zeiten

Zusammen mit der Ausrufung des Notstands hat die Regierung ein Konjunkturpaket verabschiedet — mit 108 Billionen Yen (916 Milliarden Euro) das größte, das Japan jemals gesehen hat. Es sieht Barzahlungen an Familien vor, deren Einkommen aufgrund der Corona-Krise signifikant zurückgegangen ist, sowie Krediterleichterungen für Solo-Unternehmer und Klein- und Kleinstfirmen.

Im Gegensatz zu anderen Ländern befürchtet kaum jemand eine Gefahr für die Demokratie in Japan, obwohl Shinzo Abe nicht wirklich als Freund demokratischer Prozesse bekannt ist. Er hat in den letzten Jahren fragwürdige Gesetze mit brachialer Gewalt im Parlament durchgesetzt, und die Einführung eines Notstandsgesetzes stand lange auf seiner politischen Agenda. Derzeit bemüht sich die Regierung aber darum, in der Bevölkerung keine zusätzlichen Besorgnisse aufkommen zu lassen. Das am 13. März verabschiedete Notstandsgesetz gibt der nationalen Regierung daher nur eingeschränkte Befugnisse; die Umsetzung obliegt den Präfekturen. 

Ob die beschlossenen Maßnahmen trotz des halbherzigen Charakters ausreichen, um in den urbanen Ballungsräumen Japans eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, bleibt abzuwarten. Umstritten ist unter Expert*innen auch, ob die Verschleppung der Ausbreitung eine sinnvolle Abmilderung der Wachstumskurve darstellt. Wie auch anderen Ländern könnte Japan vielmehr ein langer Kampf gegen Corona bevorstehen.

Erschienen am 9. April im IPG-Journal.

Autor*in
Sven Saaler

ist Professor für moderne japanische Geschichte an der Sophia-Universität in Tokyo und Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Japan. Das Tokioter Büro der FES widmet sich seit 2008 intensiv dem deutsch-japanischen Dialog im Bereich Energiepolitik.

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