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Corona in Italien: Hart getroffen von der zweiten Welle

Italien wird auch von der zweiten Pandemie-Welle hart getroffen. Doch anders als in Deutschland finden Corona-Leugner*innen bislang kaum Gehör.
von Michael Braun · 18. November 2020
Leere Straßen in Rom: Die zweite Welle der Corona-Pandemie hat Italien fest im Griff.
Leere Straßen in Rom: Die zweite Welle der Corona-Pandemie hat Italien fest im Griff.

Täglich zwischen 30 000 und 40 000 neue Fälle, während die Zahl der an einem Tag zu zählenden Toten die Schwelle von 600 überschritten hat und das Land mehr als eine Million Corona-Infektionen verzeichnet: Auch die zweite Welle der Pandemie hat Italien nicht ausgespart. Dabei schien es noch im späten September, als könne dem Land eine mit Spanien, Frankreich, Großbritannien oder Belgien vergleichbare Entwicklung erspart bleiben. Doch ähnlich wie in Deutschland wurde diese Hoffnung mit dem rasanten Emporschnellen der Infektionszahlen im Oktober enttäuscht.

Hohe Fallzahlen von Mailand bis Neapel

Zunichte gemacht wurde damit auch der Versuch, nach dem Ende des Frühjahrs-Lockdown dauerhaft in eine Phase der „neuen Normalität“ einzutreten; stattdessen sind die Bürger*innen wieder mit einschneidenden Einschränkungen konfrontiert, stehen die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Politik erneut vor harten Belastungsproben.

Italien war vom späten Februar an das erste europäische Land, das mit voller Wucht von der Pandemie getroffen wurde. Es reagierte früh mit einem nationalen Lockdown, der weiter ging als in den meisten anderen Ländern und beispielsweise die Hälfte der industriellen Fertigung stilllegte. Doch die Hotspots der Infektionen waren territorial einigermaßen eng umgrenzt: Betroffen war vor allem der Norden des Landes, vorneweg die Lombardei, und dort wiederum eher die kleineren Städte wie Bergamo und Brescia, während Mailand halbwegs verschont blieb. Verschont blieben auch der gesamte Süden des Landes genauso wie die Hauptstadt Rom. Dennoch war zu einem nationalen Lockdown gegriffen worden, da das Gesundheitswesen in Süditalien schlecht aufgestellt ist und es größte Sorgen um seinen Zusammenbruch bei höheren Infektionszahlen gab.

Das Bild hat sich mit der zweiten Welle vom Oktober an völlig geändert. Sämtliche Regionen des Südens haben diesmal weit höhere Fallzahlen. Zudem sind insbesondere die Metropolen betroffen, von Mailand im Norden über Rom bis zu Neapel im Süden. Quer durch das Land stehen mittlerweile die Rettungswagen vor den Notaufnahmen oft stundenlang in der Warteschlange. Mittlerweile befinden sich wieder etwa 3000 Menschen mit Covid in Intensivbehandlung (im Frühjahr waren es in der Spitze 4000), liegen weitere 29 000 Corona-positive Patient*innen in den Krankenhäusern, womit der Spitzenwert vom Frühjahr eingeholt wurde. Damit droht nun jenes Szenario Wirklichkeit zu werden, das damals mit dem Lockdown verhindert wurde: die völlige Überlastung des Gesundheitswesens wenigstens in einigen Regionen.

Seit Mitte Oktober tiefe Einschnitte

„Einen neuen nationalen Lockdown verhindern“: Dies ist die Ansage der Regierung unter Giuseppe Conte, die von den beiden großen Parteien – der Fünf-Sterne-Bewegung und des Partito Democratico (PD) – sowie zwei kleinen Partnern – Matteo Renzis Italia Viva sowie der radikal linken Liste Liberi e Uguali (LeU) – getragen wird. Zentral für die Regierung war das Versprechen, sowohl die Wirtschaft am Laufen als auch die Schulen offen zu halten. In der Tat sind Stopps im produzierenden Gewerbe ebenso wie in der Bauwirtschaft vorerst nicht in Sicht.

Doch seit der zweiten Oktoberhälfte hat die Regierung gleich mehrere Notstandsdekrete verabschiedet, die tiefe Einschnitte mit sich bringen. Auf nationaler Ebene sind alle Kultureinrichtungen – Museen, Theater, Kinos, Konzertgebäude etc. – ebenso wie die Sportstätten vom Fitnesscenter bis zur Schwimmhalle geschlossen. Auch Restaurants oder Bars müssen um 18 Uhr zumachen, und für die Bürger gilt eine Sperrstunde von 22 Uhr bis fünf Uhr morgens. Auch das Versprechen, die Schulen offen zu halten, wurde de facto schon eingeschränkt, denn sämtliche Oberschülerinnen und -schüler vom neunten Schuljahr an lernen wieder komplett im Fernunterricht. Diese Maßnahme dient vor allem dazu, den öffentlichen Nahverkehr zu entlasten, der als einer der wichtigsten Seuchen-Hotspots gilt. Zudem herrscht in ganz Italien eine generelle Maskenpflicht, egal ob drinnen in Geschäften oder Büros oder draußen auf Straßen und Plätzen.

Gelbe, orangene und rote Zonen

Weitergehende Maßnahmen werden jedoch regional gestaffelt verhängt, um die Einschnitte gezielt dosieren zu können. Italiens 20 Regionen werden nach dem Farbschema gelb-orange-rot in drei Gefahrenzonen aufgeteilt. In den „gelben“ Zonen gelten allein die national verhängten Einschränkungen. In den „orangen“ Zonen werden Restaurants und Bars geschlossen und es kommt das Verbot hinzu, die eigene Region zu verlassen. In den „roten“ Zonen – gegenwärtig die Lombardei mit Mailand, der Piemont mit Turin, das Aostatal, Südtirol und Kalabrien, die Toskana und Kampanien – wird ein echter Lockdown verhängt: Die Bürgerinnen und Bürger dürfen nur noch aus triftigen Gründen vor die Tür, alle Geschäfte, die nicht lebensnotwendige Güter verkaufen, bleiben geschlossen.

Die Einstufung der Regionen richtet sich nicht nur nach dem Infektionsgeschehen, der Höhe der Fallzahlen und des Reproduktionswerts, sondern auch nach der Belastung der regionalen Gesundheitssysteme. Deshalb zum Beispiel wurde Kalabrien „rote“ Zone: Dort sind die Infektionszahlen im nationalen Vergleich niedrig, das Gesundheitssystem aber ist jetzt schon überlastet.

Um die Beschäftigten ebenso wie die Inhaber und die Solo-Selbständigen aus der Gastronomie, der Tourismusbranche, dem Kultur- und Sportbetrieb ebenso wie die Ladenbesitzer in den „roten“ Zonen zu schützen, verabschiedete die Regierung die Verlängerung und Ausdehnung ihrer Hilfspakete, die großzügige Kurzarbeitsgeldregelungen, Steuerstundungen, Hilfen für Einnahmeausfälle einschließen.

Größere Spielräume durch EU-Solidarität

Paradoxerweise hat die Regierung heute größere Spielräume als vor der Coronakrise. Die Tatsache, dass die EU sich jetzt solidarisch zeigt, hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Finanzmärkte: Italien kann sich so billig verschulden wie seit Jahren nicht mehr, denn der Zinsabstand gegenüber Deutschland ist für zehnjährige Staatsanleihen auf 1,2 Prozent gefallen.

Schon in der Regierungskoalition waren die Kriseninterventionen nicht unumstritten. Während die PD und der von der radikal linken LeU kommende Gesundheitsminister Roberto Speranza den Schutz der Gesundheit zur obersten Priorität erklärten und harte Maßnahmen (zum Beispiel eine Ausgangssperre schon um 18 Uhr) befürworteten, stritt Matteo Renzis Italia Viva im Namen des Schutzes der Ökonomie für weichere Maßnahmen. Die Fünf Sterne nahmen eine Mittelposition ein. Wäre es nach ihnen und nach Renzi gegangen, so wäre zum Beispiel der Fernunterricht für Oberschüler nicht eingeführt worden.

Nicht nur seuchen-, sondern auch parteipolitisch erwies sich Contes Schachzug der Unterteilung Italiens in drei Zonen als probate Lösung, die half, die Konflikte in der Koalition zu überwinden. Zugleich hatte Conte jedoch auch mit der Kritik der rechtspopulistischen Opposition zu kämpfen, sowohl vonseiten der Lega unter Matteo Salvini (gegenwärtig liegt sie in Umfragen bei 25 Prozent) als auch der postfaschistischen Fratelli d’Italia (15 Prozent) unter  Giorgia Meloni. Deren Kritik hob vor allem – und nicht ohne Grund, wie in den anderen Ländern Europas auch – darauf ab, dass die Regierung den Sommer habe verstreichen lassen, ohne ausreichende Vorkehrungen für die zweite Welle zu treffen. Außerdem stand die Forderung nach weit großzügigeren Hilfen für die von der Krise Betroffenen im Mittelpunkt.

Verhaltene Rechte

Insgesamt aber sind die Töne der Rechtsopposition in den letzten Wochen erstaunlich verhalten. Dies mag auch daran liegen, dass sie das Gros der italienischen Regionen, von der Lombardei bis nach Kalabrien, regiert, die gegenwärtig am härtesten betroffen sind: Die dortigen Regionalregierungen tragen direkte Verantwortung dafür, wie das (in Italien regionaler Verantwortung unterstehende) Gesundheitswesen aufgestellt ist.

Dennoch waren in den letzten Wochen immer wieder spektakuläre Bilder von Protestaktionen in italienischen Städten – Neapel, Rom, Mailand, Turin oder Florenz – in den TV-Nachrichten zu sehen, Bilder von Demonstranten, die Müllcontainer anzündeten, Polizeiautos attackierten, sich Schlägereien mit Beamten lieferten. An diesen Aktionen waren jedoch jeweils nur wenige hundert Personen beteiligt, die meist aus dem Umfeld rechtsextremer Organisationen und der Hooliganszene stammten, während jene Selbständigen, in deren Namen der Protest angeblich erfolgte, in der Regel sofort den Heimweg antraten, als die Ausschreitungen begannen.

Andererseits sah Italien dutzende Kundgebungen der tatsächlich von der Krise Betroffenen, der in der Gastronomie und der Tourismusbranche, im Kultur- und im Sportbetrieb Beschäftigten. Diese Proteste erfolgten jedoch nicht nur absolut friedlich, sondern auch regelmäßig unter strenger Einhaltung aller Vorschriften: Die Teilnehmer*innen, versammelt unter Einhaltung des Mindestabstands, trugen durch die Bank Schutzmasken.

Weder für Rechtsextreme noch für Coronaleugner*innen hat sich dieser soziale Protest als anschlussfähig erwiesen, und dies ist der wichtigste Unterschied zu Deutschland: Weder die einen noch die anderen konnten in Italien bisher öffentliches Gewicht erhalten und die Coronakrise für sich kapitalisieren.

Am 16. November erschienen im IPG-Journal

Autor*in
Michael Braun

ist promovierter Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der FES Rom.

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