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Corona in Israel: Impfweltmeister im dritten Lockdown

Israel hält weltweit den Impfrekord. Gleichzeitig befindet sich das Land zum dritten Mal im Lockdown. Zudem steht im März die nächste Parlamentswahl an.
von Micky Drill · 18. Januar 2021
Israel ist weltweit führend, was die Impfungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie angeht.
Israel ist weltweit führend, was die Impfungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie angeht.

Am Donnerstag hat in Israel der zweimillionste Bürgerin die erste Impfdosis gegen Covid-19 erhalten. Zusätzliche 100.000 Menschen waren bereits zum zweiten Mal dran. 75 Prozent der über 60-jährigen hatten an diesem Tag mindestens eine Impfung hinter sich sowie auch das gesamte medizinische Personal des Landes. Als nächste sind die Lehrkräfte dran und von Tag zu Tag wird das Alter der Impfberechtigten herabgesetzt.

Grüner Pass für Geimpfte

Ab dieser Woche können sich alle Über-45-Jährigen bei einer der zahlreichen Impfstationen eine Dosis verpassen lassen. Seit Jahresbeginn erhält das Land jede Woche rund 700.000 Impfdosen von Pfizer, nachdem im Dezember bereits 3,8 Millionen geliefert wurden. Auch der Hersteller Moderna hat bereits 120.000 Impfportionen eingeflogen, weitere 500.000 sind bis Ende Januar zu erwarten. Mit 170.000 bis 200.000 Impfungen pro Tag soll die Bevölkerung bis Ende März durchgeimpft sein. Damit hält Israel weltweit den Impfrekord. Anders als in Deutschland sollen nach Planung der Regierung Geimpfte einen „grünen Pass“ erhalten und damit Vorteile haben, wie Veranstaltungen und Restaurants besuchen zu dürfen sowie von Quarantänemaßnahmen verschont zu bleiben.

Doch inzwischen befindet sich Israel im dritten vollständigen nationalen Lockdown. Bis auf wenige Ausnahmen sind Geschäfte, Arbeitsstätten und Bildungseinrichtungen geschlossen. Die Zahl der aktiven Corona-Fälle wurde vom Gesundheitsministerium am Montagtagmorgen mit 81.044 Menschen angegeben. Derzeit liegen etwa 2.000 Menschen in Israel in Krankenhäusern, der Zustand von mehr als 1.000 Patient*innen wird als ernst beschrieben. 282 von ihnen werden künstlich beatmet. Mittlerweile sind mehr als 4.000 Israelis an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben.

Ein erstaunlicher Impferfolg

Was ist das Geheimnis des Impferfolges des neun Millionen Staates? Israel als Modell zu identifizieren ist um so erstaunlicher, da das Gesundheitssystem des Landes im OECD-Vergleich schlecht abschneidet. Obwohl Israel in medizinischer Forschung und Technik zur Weltspitze gehört, ist der Gesundheitssektor völlig überfordert. Die Krankenhäuser sind überlastet, die Auslastungsrate lag bereits vor der Corona-Krise bei 93,8 Prozent. Damit liegt Israel deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 75,5 Prozent. Auf 1.000 Menschen stehen in Israel drei Betten zur Verfügung, während es im OECD-Durchschnitt 4,7 sind (Deutschland 8,3).

Für Gesundheit werden vom Staat 7,5 Prozent des Staatshaushaltes ausgegeben, das sind 1,3 Prozentpunkte weniger als der OECD-Durchschnitt. Andererseits ist Israel ein junges Land, mit einer im OECD-Vergleich kleinen Bevölkerung von 1,4 Millionen Senior*innen, was eine relativ schnelle Durchimpfung von Risikogruppen ermöglicht. Darüber hinaus funktioniert das krisengeschüttelte Land in Notzeiten wie eine Schweizer Uhr. Seit Jahren führt das Militär, gemeinsam mit dem Gesundheitssystem, Zivilschutzübungen durch, die chemische und biologische Raketenangriffe simulieren, in deren Rahmen in kürzester Zeit Impfstationen für die gesamte Zivilbevölkerung errichtet werden.

Gewerkschaft baute Gesundheitssystem auf

Doch der Hauptgrund für den Erfolg der Impfkampagne liegt wohl in der Struktur der Krankenkassen: eine obligate Krankenversicherung gibt es in Israel zwar erst ab 1995, doch bereits davor waren mehr als 90 Prozent der Israelis krankenversichert. Verantwortlich dafür war das attraktive Angebot der Gewerkschaftskrankenkasse, die über 70 Prozent der Versicherten abdeckte. Der Gewerkschaftsverband Histadrut war es auch, der das Gesundheitssystem des Landes aufbaute. Heute sieht die gesetzliche Regelung eine Pflichtmitgliedschaft in einer der vier miteinander konkurrierenden Krankenkassen vor.

Der Staat fungiert als starker Regulator – er setzt die progressiven Pflichtbeiträge fest, zwingt die Kassen alle Interessent*innen als Mitglieder aufzunehmen, und bestimmt medizinische Dienstleistungen, die die Kassen für den einheitlichen Mitgliedsbeitrag leisten müssen. Dazu zählen eben auch die Impfungen. Jede der Kassen verfügt über eigene Infrastrukturen, wie ärztliches Personal, Kliniken und in zwei Fällen sogar eigene Krankenhäuser. Mittels ihrer Datenbanken gelangen sie auf Knopfdruck an die Zielgruppen der Impfkandidat*innen – seien es bestimmte Altersgruppen, oder auf Grund von Krankheiten besondere Risikogruppen. Per SMS oder Telefon wird der Betroffene aufgerufen, sich an einem gewissen Tag zu einer bestimmten Uhrzeit zur Impfung einzufinden. Dort wird dann vor Ort der Termin für die zweite Dosis festgelegt.

Netanyahu mitten im Wahlkampf

Das israelische Beispiel zeigt ganz klar, dass nur ein Sozialstaat eine so erfolgreiche Massenimpfaktion durchführen kann. Es war die israelische Sozialdemokratie, die bis Ende der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts unangefochten das Land regierte, und das Sozialsystem aufbaute. Freilich, danach folgten zumeist rechte Regierungen mit ihren neoliberalen Dogmen. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu ist einer der Vorreiter*innen dieser Ideologie. Er, der sich regelmäßig über zu viel Staat beschwerte, Privatisierungspolitik vorantrieb, wo er nur kann, das öffentliche Gesundheitssystem aushungern ließ – genau er ist es, der während der Corona-Krise über 4,6 Milliarden Euro genau in dieses System fließen hat lassen.

Das ist zwar gut und richtig so, dennoch darf man nicht außer Acht lassen, dass am 23. März ein neues Parlament, das vierte in zwei Jahren, gewählt wird. Der wegen Betrug, Korruption und Amtsmissbrauch angeklagte Ministerpräsident steckt bereits Mitten im Wahlkampf und punktet mit der erfolgreichen Impfkampagne. Er präsentiert sich erneut als der Retter Israels, von dem die ganze Welt lernen will. Er habe sich mit „seinem Freund“, dem Geschäftsführer von Pfizer, Albert Bourla, geeinigt, eine Lieferung nach der anderen nach Israel zu senden.

Tatsächlich stellt für das Unternehmen Israel ein „Modellstaat“ dar, um die Wirkung der Impfung mit statistischen Daten weiter zu untermauern, hatte Netanyahu kürzlich erklärt. Israels Krankenkassen verfügen über ein hochdigitalisiertes System, in dem die Akten der Patient*innen abgelegt sind. Beobachter*innen fragen sich nun, welche Daten da tatsächlich an den Pharmariesen, dem die israelische Regierung angeblich 39 US-Dollar pro Dosis zahlt, weitergegeben werden. Aber warum unnötige Fragen stellen – schließlich geht es hier wieder mal ums Überleben der Israelis und ihres Ministerpräsidenten.

Autor*in
Micky Drill

ist Projektmanager und Gewerkschaftsreferent der Friedrich-Ebert-Stiftung in Israel.

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