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Corona-Impfungen in Ungarn: Orbans Alleingang mit Sputnik V

Um eine dritte Welle der Corona-Pandemie zu vermeiden, setzt Ungarn auf einen Alleingang. Als einziges Mitgliedsland der EU setzt die Orban-Regierung bei Corona-Impfungen auf das russische Präparat Sputnik V. Damit soll bis zum Sommer Herdenimmunität erreicht werden.
von Beate Martin · 15. Februar 2021
Ein Bild aus dem Dezember: Kerzen erinnern in Budapest an mehr als 8.000 Menschen, die Ungarn mit dem Coronavirus gestorben sind.
Ein Bild aus dem Dezember: Kerzen erinnern in Budapest an mehr als 8.000 Menschen, die Ungarn mit dem Coronavirus gestorben sind.

Im Kampf gegen das Coronavirus geht Ungarn seinen eigenen Weg. Nachdem die Neuinfektionen im Januar abgenommen haben, wird jetzt versucht, eine – durch die britische Mutante bedingte – dritte Welle zu verhindern (die Sieben-Tage-Inzidenz liegt momentan knapp unter 100). Dafür werden auch Impfstoffe aus Russland und China zum Einsatz kommen.

Ziel: Herdenimmunität bis zum sommer

Gesundheitsminister Miklos Kasler gab bereits vergangene Woche bekannt, dass das ungarische Zentrum für Nationale Volksgesundheit die Notfallgenehmigung erteilt und den russischen Impfstoff Sputnik V zugelassen habe – ohne die Begutachtung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur abzuwarten.

Die Regierung betonte, dass die Beschaffung der Impfstoffe durch die EU viel zu lange dauere und man also gezwungen sei, sich selbst darum zu kümmern. Man habe bereits zwei Millionen Impfdosen Sputnik V bestellt, die über die nächsten drei Monate geliefert werden. Seit dem 11. Februar werden die ersten Menschen unter 75 ohne chronische Erkrankung in vier Impfzentren mit Sputnik V geimpft. Darüber hinaus wird in Kürze eine Lieferung von fünf Millionen Impfdosen Sinopharm erwartet. Damit ist Ungarn der erste EU-Mitgliedsstaat, der diese Impfstoffe einsetzt. Bis zum Sommer soll dadurch eine Herdenimmunität erreicht werden. Ziel ist die Wiedereröffnung des Landes für den Tourismus ab Mai.

Kritik an der Informationslage

Im Land wird jedoch vermehrt Kritik an der undurchsichtigen Informationslage laut. Es ist sehr schwierig, an unabhängige Informationen und Einschätzungen zu gelangen, nicht zuletzt nachdem mit dem „Ermächtigungsgesetz“ für die Verbreitung von falschen oder die Glaubwürdigkeit der Regierungsmaßnahmen in Zweifel ziehenden Informationen hohe Haftstrafen angedroht wurden. Auch deshalb haben sechs Oppositionsparteien gemeinsam einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingerichtet, um die aktuelle Lage des Gesundheitssystems und der Wirtschaft umfassend aufarbeiten und Anhörungen zu den Planungen des Impfstoffimports und ihrer Zulassungsmechanismen mit Experten zu ermöglichen. Aus Sicht der Opposition berücksichtigt die Regierung die prekäre Lage der Beschäftigten und Unternehmen zu wenig. Zudem wird die für Februar geplante nationale Befragung der Bevölkerung zur Covid-Situation, zu den ergriffenen Maßnahmen und deren Lockerung als weniger vorrangig angesehen als die Erarbeitung einer wirksamen Strategie für Tests und Impfungen.

Anfangs wurden die Impfungen in den regionalen Krankenhauszentren vorgenommen, mittlerweile aber auch von Hausärzten. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist abgesehen von Tests, Impfungen und Covid-Behandlungen weiterhin nur eingeschränkt möglich. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würden sich Umfragen zufolge circa 40 Prozent der Bevölkerung impfen lassen, 24 Prozent seien dagegen. Daher gibt es Überlegungen, die Impfung notfalls verpflichtend zu machen, um die Herdenimmunität möglichst bald erreichen zu können.

Erschienen am 12. Februar im IPG-Journal

Autor*in
Beate Martin

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ungarn.

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