Corona-Impfung in Frankreich: Laute Kritik über niedrige Quote
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Nach den Pannen bei den Schutzmasken und PCR-Tests im Frühjahr letzten Jahres sorgt jetzt die schleppende Impfkampagne in Frankreich wieder für Wut und Unverständnis. Die Anzahl der bis zum 13. Januar Geimpften ist erschreckend niedrig: etwa 250 000, was einer Impfquote von 0,37 Prozent entspricht. Dass Frankreich somit im internationalen Impfstoff-Rennen nur einen der hinteren Plätze belegt, hat verheerende Folgen für die Stimmung und das schon schwer angekratzte Selbstbild des Landes. Mediziner*innen, Wirtschaftswissenschaftler*innen und Oppositionspolitiker*innen machen die Regierung verantwortlich für diese Misere und die dadurch verursachten Verlusten an Menschenleben, aber auch wirtschaftlichem Wachstum.
Doch so laut und einhellig die Kritik über das „desaströse Krisenmanagement“ der Regierung ist, so unüberschaubar ist die Debatte darüber, welche Ursachen hinter der französischen Impfpleite stecken. Die Probleme bei der Impfstoff-Beschaffung sind dabei bislang in den Hintergrund getreten – die in Deutschland entbrannte Diskussion, dass die EU-Kommission auf Drängen der französischen Regierung zu wenig Pfizer-BioNTech-Impfstoff bestellt habe, ist in Frankreich zum Beispiel umgehend verpufft, nachdem nicht nur Minister*innen, sondern auch Journalist*innen die Spiegel-Enthüllungen nahezu reflexhaft als „Fake News“ abgestempelt haben.
Strategiefehler bei der Kampagne im Fokus
Vielmehr dreht sich der Streit um den angeblichen Strategiefehler der Regierung. So hatte die Exekutive beschlossen, in der Phase 1 der Kampagne zuerst und ausschließlich in Alten- und Pflegeheimen zu impfen. Kombiniert mit langen bürokratischen Verfahren zur Einholung von Einverständniserklärungen hat dies dazu geführt, dass es deutlich langsamer als in anderen Ländern zuging. Inzwischen hat die Regierung eine Kurskorrektur vorgenommen, der zufolge nun nicht nur die Bewohner und Bewohnerinnen von Altenheimen, sondern auch die über 50jährigen Beschäftigten im Gesundheitsbereich und generell Menschen über 75 geimpft werden sollen.
Das angeblich von der Regierung in den ersten Wochen der Kampagne gewollte Schneckentempo beim Impfen ist nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der weit verbreiteten Impfskepsis in der Bevölkerung zu sehen. Laut Umfragen ist nur etwa die Hälfte der Französinnen und Franzosen bereit für die Anti-Corona-Spritze. Nirgendwo auf der Welt sind die Menschen impfskeptischer als in Frankreich. Diese Haltung lässt sich auf das seit Jahr(zehnt)en vergleichbar tiefe Misstrauen der Franzosen gegenüber politischen Institutionen zurückführen, das wiederum durch die in den letzten Monaten als infantilisierend und autoritär empfundene Corona-Politik der Exekutive verschärft wurde.
Kehrtwende verstärkt die Kritik
In einer fast schon ironischen Wende steht die Regierung jetzt aber unter Beschuss, weil ihre Strategie zu sehr an der „Anti-Vaxxer“-Bewegung orientiert war und nicht an denjenigen, die den Impfstoff brauchen und wollen. Auch ihre kurzfristige Entscheidung, einen Rat aus 35 zufällig ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern einzuberufen, der die Politik mit Empfehlungen zur Impfkampagne versorgen soll, ist aus demselben Grund auf harsche Kritik gestoßen.
Genannt wird aber auch eine andere Erklärung struktureller Natur: Der Staatsapparat sei schlicht und ergreifend unfähig geworden, aus eigener Kraft eine schnelle, massive Impfkampagne zu organisieren. Dafür verantwortlich sind Unterfinanzierung, Zuständigkeitsverflechtungen und eine wachsende Konkurrenz zwischen staatlichen Behörden. So haben schwere Logistikprobleme z.B. dazu geführt, dass die Verteilung der Impfstoff-Dosen in den unterschiedlichen Gebieten Frankreichs um mehrere Wochen verzögert wurde. Ein weiterer Schmerz für die französische Volksseele, die so viel von ihrem Staat erwartet.
Frankreich strebt bis Ende Januar das Ziel von einer Million Geimpften an. Auch wenn die Strecke bis zur Herdenimmunität dann immer noch sehr lang ist, bestehen aber große Zweifel, ob sich der Rückstand trotz der Reaktion der Regierung überhaupt aufholen lässt. Eines ist jetzt schon klar: Mit dieser erneuten Pannenserie wurde in Frankreich wieder einmal eine Chance verpasst, Wege aus dem eingefleischten Zukunftspessimismus und Verdruss der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Politik aufzuzeigen.
Benjamin Schreiber ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Frankreich mit Sitz in Paris.