Corona im Kosovo: Regierungskrise unter dem Vorwand der Pandemie
Die Regierung um Premierminister Albin Kurti ist am 25. März bei einem Misstrauensvotum mit großer Mehrheit von 82 (von insgesamt 120) Stimmen gestürzt worden. Anders als in Deutschland ist es jedoch im Kosovo üblich, dass der Premierminister die Regierungsgeschäfte kommissarisch bis zu den Neuwahlen weiterleitet. Dies ist keine Ausnahme, sondern im Kosovo eher der Normalfall.
Präsident will keine Neuwahlen
Auch nach dem Misstrauensvotum gegen Kurti schwelt der Konflikt weiter. Innenpolitisch setzt Präsident Thaçi – durch die USA gestützt – seinen Druck gegen die Regierung Kurti fort. Entgegen der Verfassung möchte Präsident Thaçi keine Neuwahlen ausrufen, sondern eine „umfassende Regierungskoalition“ (ohne die LLV – die Partei Kurtis) bilden.
Das Drängen Thaçis und seiner Verbündeten in Kurtis ehemaligen Koalitionspartei LDK auf eine neue Regierungsbildung ist mit der Furcht vor Neuwahlen zu erklären, wird aber mit der aktuellen Corona-Krise und der Notwendigkeit von „Regierungsstabilität“ begründet. Dieser Zynismus, schließlich wurde die Regierung Kurtis inmitten der SARS CoV-2 Krise gestürzt, ist auch nicht den Kommentator*innen und Analyst*innen entgangen. Kurti beharrt hingegen auf seiner kommissarischen Leitung zur Bewältigung der Corona-Krise bis Neuwahlen ausgerufen werden und hat hierzu das Verfassungsgericht angerufen.
Die politische Krise im Kosovo ist als Ergebnis der Bemühung Präsident Thaçis und einer Allianz der alten Bürgerkriegseliten zu werten, die ambitionierten, sozialdemokratisch-orientieren Reformpläne („jobs and justice“) der Regierung Kurtis entgegenzuwirken. Ungeachtet Kurtis ersten Erfolge – vor allem im Vorgehen gegen die strukturelle Korruption – wird diese „Allianz“ von den USA unterstützt. Staaten der EU, allen voran Deutschland, unterstützen hingegen den Reformkurs Kurtis, jedoch weniger sichtbar.
Eine neue Hoffnung?
Die gesamte Entwicklung ist insofern atemberaubend, als dass Kurti einen sehr guten Start hingelegt hat. Ein Regierungsprogramm wurde vorgelegt, welches sich auf die zahlreichen innenpolitischen Herausforderungen des Kosovos – hohe Arbeitslosigkeit, Emigration, geringes Wirtschaftswachstum, schwacher Sozialstaat und „state capture“, also tiefgreifende Korruption des öffentlichen Sektors – fokussierte.
Mit Vjosa Osmani, der Spitzenkandidatin der LDK, hatte Albin Kurti eine ebenfalls auf einen „Politikwechsel“ orientierte Partnerin. Osmani wurde jedoch, obschon sie die zweitmeisten Stimmen in der Parlamentswahl im Oktober 2019 holte, innerhalb ihrer Partei isoliert. So nahm sie zuletzt nicht mehr an den Koalitionsverhandlungen teil und anstatt dem Außen- oder Innenministerium, wurde ihr lediglich der Posten der Parlamentspräsidentin zugedacht.
Das Imperium schlägt zurück
Doch auch nachdem die Regierung offiziell am 3. Februar vom Parlament gewählt wurde, schien Premierminister Kurti gleichzeitig Regierungschef und in der Opposition zu sein.
Das Misstrauensvotum wurde über die Frage gestellt, ob im Rahmen der Reaktion auf die Corona-Krise ein Ausnahmezustand ausgerufen werden sollte. Dies hätte eine erhebliche Kompetenzerweiterung des kosovarischen Präsidenten Thaçi zufolge. Der Innenminister, Agim Veliu, hatte sich, entgegen der Regierungsposition, für eine Ausrufung des nationalen Notstands ausgesprochen und war von Kurti daraufhin entlassen worden.
Oberflächlich könnte man also meinen, dass es sich dabei um eine rein kosovarische Angelegenheit handelte: Ein Konflikt zwischen Präsidialamt und Regierung, wie wir es aus anderen Staaten der Welt ebenfalls kennen. Das Spannungsfeld vom Ausnahmezustand und demokratischer Regierungsform ist zweifelsohne ein Bedeutendes in der derzeitigen Corona-Krise. Und so wurde das Misstrauensvotum auch schon als erster „Corona-Coup“ betitelt.
Jedoch ist diese Betrachtungsweise irreführend. Denn der Streit um die Notwendigkeit eines nationalen Ausnahmezustands zur angemessenen Reaktion auf die Corona Pandemie war nur Anlass, nicht Ursache des Sturzes der Regierung Kurtis. Vielmehr ist der Grund der anhaltende Kompetenzstreit zwischen Thaçi und Kurti im Hinblick auf den kosovarisch-serbischen Dialog und das Wirken der USA auf diesen.
Ungeachtet des Amtsantritts von Albin Kurti vermittelte die US-Administration, vertreten durch den Sondergesandte Richard Grenell, Verhandlungen zwischen dem kosovarischen Präsidenten Thaçi und dem serbischen Präsidenten Vucic. Diese Verhandlungen liegen eigentlich in der Kompetenz des Premierministers, also Albin Kurtis.
Starker Druck der USA
In diesem Zusammenhang wurde Kurti im Verlauf der vergangenen Wochen seitens der US-Administration immer stärker unter Druck gesetzt, unter anderem durch die Kürzung von Hilfsgeldern in Höhe von 150 Millionen US-Dollar. Die Intervention der US-Administration stützt sich hierbei wohl auf die Hoffnung, mit Präsident Thaçi und dem serbischen Präsidenten Vucic einen „Deal“ zur schnellen Lösung zum kosovarisch-serbischen Dialog abschließen zu können. Einem von Präsidenten verhandelten, schnellen Deal erteilte Kurti immer wieder eine Absage.
Die Krise im Kosovo untergräbt somit auch die Glaubwürdigkeit transatlantischer Bemühungen um Rechtsstaatlichkeit und demokratische Regierungsformen. Es ist erstaunlich, dass die USA, welche sich wie keine andere Nation den Kampf für demokratische Regierungsformen und gegen Korruption zur außenpolitischen Doktrin erhoben hat, aktiv zum Sturz einer Regierung im Kosovo beigetragen haben, welche in ihrer sehr kurzen Amtszeit schon erste Erfolge gegen Korruption im öffentlichen Sektor verbuchen konnte.
Obschon dieser trüben Episode, deren Ende wohl in dem Ausrufen einer neuen „allumfassenden Regierung“ – wohlgemerkt ohne die Beteiligung der Partei von Albin Kurti – ihr Ende finden wird, hinreichend Grund für Zynismus gibt, sollte man nicht verzagen.
Rückkehr der Reformer*innen?
In diesem Fall trifft es insbesondere das sozialdemokratische Lager hart. Kurti versteht sich selbst als Sozialdemokrat und hat sein Regierungsprogramm bewusst auf sozialpolitische Reformen und Schwerpunkt auf andere Kernthemen der Sozialdemokratie, wie Berufsausbildung, gelegt.
Von Beobachter*innen in Presse und Politik wird die aktuelle Krise im Kosovo gern als dreifache Krise beschrieben. Erstens, Regierungskrise, zweitens Verfassungskrise und drittens Corona-Krise. Dass die aktuelle Pandemie erst als Drittes genannt wird, lässt tief blicken.
Im Kern ist es das Ringen um demokratisch-transparente, sozialdemokratische, dem Gemeinwohl orientierte Politik einer reform-orientierten Regierung. Auch wenn die aktuellen, verfassungsrechtlich zumindest fraglichen Versuche Albin Kurti aus dem Amt zu drängen, fruchten werden, stehen mit dem Wahlergebnis vom Oktober – einer Mehrheit für die reformorientierten Kandidaten Albin Kurti und Vjosa Osmani die Zeichen klar auf Wechsel.
Insofern bleibt die Hoffnung, ob der zynische Machtpoker der letzten Wochen nicht zum Pyrrhussieg für Thaçi und seine innenpolitischen Verbündeten gerät.
Wie reagiert Kurti?
Entscheidend hierfür werden vor allem zwei Dinge sein: Zum einen, in welche Richtung Osmani, welche zuletzt sich sehr mutig öffentlich geäußert hat, aber eben auch innerhalb ihrer Partei relativ isoliert erscheint, politisch weiter vorgeht. Gründet sie eine neue Partei oder schafft sie es auf anderem Wege die reformorientierten Elemente innerhalb der LDK zu stärken?
Zum anderen, die weitere Entwicklung der LLV. Kurti hat im Laufe der letzten Monate eine unheimliche Professionalisierung in seiner Regierungspartei durchgemacht. Entscheidend wird sein, ob diese Entwicklung anhält. Die Frustration ob der nur kurzen Regierungszeit könnte auch wieder in einer Fundamentalopposition, einschließlich gewalttätiger Proteste umschlagen. Die LLV blickt auf einige, sehr kontroverse Episoden in der Oppositionspartei, nicht zuletzt der Wurf von Tränengas ins Parlament, zurück. Es wäre nur allzu bedauerlich, wenn die LLV in eine solche Rolle zurückfallen würde.
Sollten aber sowohl Vjosa Osmani als auch Albin Kurti den Impuls pragmatischer Reformpolitik beibehalten können, bliebe die Hoffnung, dass die Bevölkerung beim nächsten Urnengang dem Rechnung tragen wird.