Corona in Ecuador: Ein Land am Limit
Die Corona-Krise trifft in Ecuador auf eine überforderte Regierung, tiefe soziale Konflikte und einen zusammengesparten Staat. Ecuador hat im lateinamerikanischen Vergleich die auf die Bevölkerung hochgerechnet höchste Zahl an Covid-19 Todesopfern zu beklagen (120 bestätigte Fälle, Stand 02.04.2020). Schon jetzt ist das Land am Limit, obwohl der Ausbruch noch am Anfang steht.
Unkoordinierte Maßnahmen
Ecuador hat zunächst schnell reagiert. In der Region war das Land eines der ersten, das die Schulen schloss, drei Tage später die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung massiv einschränkte, um wenige Tage darauf eine strikte Ausgangssperre zu verhängen, die nur für den Einkauf von Lebensmitteln und Medikamenten bis 14 Uhr unterbrochen werden darf. Doch diese Maßnahmen wurden nicht von einer kohärent handelnden Regierung abgewogen und eingeführt, sondern von machtbewussten Einzelkämpfer*innen eingefordert und von einer orientierungslosen Regierung eilig und unkoordiniert umgesetzt.
Dabei wird der Existenz der indigenen Bevölkerung in den ländlichen Gebieten und im Amazonas, immerhin 40 Prozent der Bevölkerung, die zum Teil kein Spanisch sprechen, keine Rechnung getragen. Die Maßnahmen werden nicht auf Kichwa und Shuar kommuniziert.
Gesundheitsministerin tritt zurück
Derweil ist die Gesundheitsministerin zu Beginn der Krise zurückgetreten, weil sie sich nicht imstande sah, dem kaputt gesparten öffentlichen Gesundheitssektor in dieser Situation vorzustehen. Statt, wie von vielen gefordert, mit den Gläubigern über ein Moratorium für die Rückzahlung der Auslandsschulden zu verhandeln, um in der Corona-Krise sowohl dem Gesundheits- als auch dem Sozialsektor Mittel zur Verfügung zu stellen, wurden die Schulden pünktlich bedient. Einige Tage darauf wurde jedoch die Aussetzung der Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr aus Kostengründen ins Spiel gebracht. Dabei dürften weniger die vorgeschobenen ökonomischen Gründe eine Rolle spielen, als vielmehr die Angst der regierenden Eliten vor einem Wiedererstarken des Correismus.
So uneinig sich die Regierung in vielem ist, so einig ist sie sich in ihrer Abscheu gegenüber dem vorherigen Präsidenten Rafael Correa. Auch in der Bevölkerung ist Correa umstritten. Doch seine Regierungszeit wird mit funktionierenden öffentlichen Dienstleistungen und einem handelnden Staat in Verbindung gebracht – eine Situation, die sich derzeit viele Menschen zurückwünschen.
Während die Vertreter*innen der politischen Eliten damit beschäftigt sind, sich zu profilieren, hat ein Großteil der Bevölkerung ganz andere Sorgen. Etwa 70 Prozent der Beschäftigten sind im informellen Sektor tätig. Für sie ist es keine Option, sich für Wochen in die soziale Isolation zu begeben. Diese Notsituation trifft in Guayaquil in besonders erschütternder Weise auf die Ignoranz der Eliten. Guayaquil ist die größte Stadt Ecuadors, Metropole der Wirtschaft und gesellschaftlicher Ungleichheit. Hier ist die Mehrzahl der bekannten Covid-19-Infektionen und Todesfälle registriert. Die Bevölkerung, die es bei über 35 Grad nicht in ihren Wellblechbehausungen aushält und die für ihr tägliches Einkommen sorgen muss, wird als undiszipliniert und verantwortungslos degradiert, wenn sie die Ausgangssperre nicht einhält.
Größte Stadt unter Militärkontrolle
Schnell wurden die Stadt und die umliegende Provinz unter Militärkontrolle gestellt und vollständig abgeriegelt. Zu mehr Ordnung hat dies jedoch nicht geführt. Da es große Unsicherheiten hinsichtlich der tatsächlichen Fallzahlen gibt und auf Grund der defizitären Informationslage Angst herrscht, haben die privaten Bestattungsunternehmen entschieden, keine Leichen mehr abzutransportieren. Sie haben Angst, sich bei unerkannten Covid-19-Fällen mit dem Virus zu infizieren. Wegen des Mangels an öffentlichen Leichenhallen und Bestattungsdiensten verbleiben die Leichen über mehrere Tage in den Häusern beziehungsweise werden teilweise auf der Straße entsorgt. Umfassende Privatisierungsmaßnahmen in Kombination mit Behördenversagen resultieren in diesem unwürdigen Umgang mit dem Tod.
Der menschenverachtende Umgang mit unterprivilegierten Menschen beschränkt sich mitnichten nur auf Guayaquil. Neben dem Erdöl lebt die ecuadorianische Wirtschaft vom landwirtschaftlichen Export. Ein großer Teil der Bananen in deutschen Supermärkten wird auf ecuadorianischen Plantagen produziert. Die süßen Früchte werden unter bittersten Bedingungen angebaut. Auch in Zeiten von Corona wird auf den Plantagen gearbeitet, auf denen keine Sicherheitsmaßnahmen gegen eine Ansteckung ergriffen werden. Im Gegenteil, die Flugzeuge, die die Plantagen mit Pestiziden besprühen, die unter anderem die Lunge angreifen, fliegen ihre Runden trotz des erhöhten Risikos weiterhin während der Arbeitszeit und besprühen die Arbeiterinnen und Arbeiter ebenso wie die Bananenpflanzen.
Die sozialen Proteste im Oktober, die das Land für fast zwei Wochen lahmlegten, waren Ausdruck des Widerstands gegen die zunehmende gesellschaftliche Ungleichheit und die fehlende Partizipation breiter Bevölkerungsgruppen an politischen Prozessen. Die sozialen Konflikte verschärfen sich in der aktuellen Situation weiter. Sollte die Regierung bei ihren Entscheidungen in der Corona-Krise der Lebenssituation der Mehrheit der Bevölkerung wenig Rechnung tragen, so ist mit Widerstand und Gegenwehr zu rechnen – wie auch immer dies in Zeiten von Covid-19 aussehen wird.
Erschienen am 3. April im IPG-Journal.
leitet seit 2017 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Quito, Ecuador. Seit 2004 ist sie in verschiedenen Positionen für die FES tätig, unter anderem als Landesvertreterin in Ghana und Simbabwe.