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China: Wie Staatschef Xi Jinping eine neue Ära prägen will

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping geht in seine dritte Amtszeit. Wie er das Land an die Weltspitze führen will, erklärt Sergio Grassi von der Friedrich-Ebert-Stiftung im Interview.
von Alexander Isele · 26. Oktober 2022
Staatschef Xi Jinping geht in seine dritte Amtszeit.
Staatschef Xi Jinping geht in seine dritte Amtszeit.

In seiner Eröffnungsrede auf dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas sprach Staats- und Parteichef Xi Jinping von „Modernisierung chinesischer Prägung“ und bekräftigte, die Volksrepublik wolle eine „Demokratisierung der internationalen Beziehungen“. Was bedeutet das?

Auf dem Parteitag wurde bekräftigt, spätestens bis Mitte dieses Jahrhunderts, also bis zum 100. Gründungsjahr der Volksrepublik 2049, das sogenannte zweite Jahrhundertziel zu erreichen: nämlich ein „sozialistisches, auf allen Gebieten modernes und mächtiges Land“ zu sein.

Nach dem Erreichen des ersten selbstgesteckten Jahrhundertziels im vergangenen Jahr, das die Beseitigung der Armut und die Realisierung einer „Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand“ vorsah, strebt Peking mit seiner Modernisierung somit danach, sich weltpolitisch wie wirtschaftspolitisch wieder an die Weltspitze vorzuarbeiten. Dies ist der Platz, der China nach Pekings Empfinden historisch begründet zusteht.

Demokratisierung der internationalen Beziehungen bedeutet, blumig ausgedrückt, dass Peking entsprechend seines gewachsenen weltpolitischen Gewichts insbesondere für sich selbst und abgestuft für andere, freundlich gesinnte Entwicklungsländer mehr Mitspracherechte in internationalen Organisationen einfordert. Die bestehende internationale Ordnung wird als westlich dominiert charakterisiert und sollte nach Pekings Ansicht reformiert werden.

Auf dem Parteitag wurde die Relevanz von zwei Initiativen prominent bekräftigt, mit denen Xis China die Weltordnung in den nächsten Jahrzehnten entscheidend mitprägen will. Im April 2022 hat Xi seine Globale Sicherheitsinitiative erstmalig vorgestellt, die sich einreiht in die bereits im Vorjahr präsentierte Globale Entwicklungsinitiative. Wahrscheinlich sollen die Entwicklungsinitiative und die Sicherheitsinitiative schrittweise den mantraartig vorgetragenen Slogan einer „Gemeinsamen Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ inhaltlich unterfüttern, so dass dieser in der Folge marxistisch kodiert als Xi Jinpings Vision einer chinesisch geprägten Weltordnung präsentiert werden kann. Demnach wird die Kommunistische Partei Chinas auch weltweit für ihr Konzept „geteilter Werte der Menschheit“ werben, das sich vom Konzept universeller Werte absetze. Parallel wird bereits auf den Plattformen des globalen Südens wie BRICS oder dem Forum für China-Afrika-Kooperationum Unterstützung für Chinas globale Initiativen geworben. In Xis Parteitagsbericht wird eine Ausweitung der Kooperation innerhalb der BRICS und der Shanghai Cooperation Organization explizit erwähnt.

Einerseits steht Chinas Wirtschaft durch die Null-Covid-Strategie unter Druck, andererseits droht auch die Konfrontation mit den USA die chinesische Wirtschaft in Mitleidenschaft zu ziehen. Welche wirtschaftlichen Impulse gehen vom Parteitag aus?

Für die zukünftige Wirtschaftspolitik hat Xi auf dem Parteitag den Aufbau eines hochqualitativen sozialistischen Marktwirtschaftssystems bekräftigt. Gleichzeitig betonte er den Paradigmenwechsel hin zur Struktur einer Kreislaufwirtschaft im Inland sowie international zu einer resilienten dualen Kreislaufwirtschaft. Es werde ein hoch-qualitatives Wachstum angestrebt, das unter dem Slogan„allgemeiner Wohlstand“mehr Verteilungsgerechtigkeit verspricht.

Übersetzt bedeutet dies, dass Chinas Wirtschaft entsprechend seines politischen Systems weiterwachsen soll – der Kuchen soll größer werden –, aber dass das Wachstum niedriger ausfallen wird, als in den vergangenen Jahrzehnten. Gleichzeitig soll die Technologieführerschaft in wirtschaftlichen Schlüsselbereichen wie beispielsweise bei digitalen Plattformen, Elektromobilität, 5G, oder Künstlicher Intelligenz weiter ausgebaut werden. Nach dem präsentierten neuen Gesellschaftsvertrag, nennen wir ihn Red New Deal, soll ein niedrigeres Wirtschaftswachstum durch mehr Lebensqualität – unter anderem bessere öffentliche Dienstleistungen, umfassendere soziale Sicherung, mehr Umweltschutz und Umverteilung – kompensiert werden und über mehr ideologische Redlichkeit abgesichert werden.

Eine von vielen erhoffte Lockerung der wirtschaftsschädlichen Null-Covid-Strategie blieb allerdings auf dem Parteitag aus, während sich Pekings strategisches Umfeld zunehmend unvorteilhaft entwickelt. Dementsprechend sagt die chinesische Führung selbst, dass sie vor beispiellosen Herausforderungen steht.

Mit der Aufhebung von Altersgrenze und Amtszeitbeschränkung hat der Parteitag wesentliche Elemente von Deng Xiaopings Reformen zurückgedreht. Was bleibt von Deng unter Xi?

Der Volksrepublik ist unter Führung der Kommunistischen Partei seit der Ende der 70er Jahre von Deng Xiaoping initiierten Reform- und Öffnungspolitik eine beeindruckende, wenn nicht einzigartige Entwicklungsleistung gelungen, die sich fundamental von der Bilanz anderer sozialistischer Länder absetzt und seit vielen Jahren die bisherige Output-Legitimität des Systems miterklärt. Während Dengs Politik und die seiner Nachfolger jedoch durch großen Pragmatismus, kollektive Führung, und internationale Zurückhaltung gekennzeichnet war – die alte Ära –, hat Xi seinem Land eine neue Ära verordnet, deren Interpretation und Umsetzung durch Chinas Bürokratie die Innen- und Außenpolitik der Volksrepublik langfristig prägen wird.

Der designierte Premierminister Li Qiang steht für eine Schwerpunktsetzung auf die Digitalwirtschaft. Was bedeutet sein Aufstieg und wie ist die Besetzung des neuen Ständigen Ausschusses des Politbüros einzuordnen?

Wenig überraschend hat sich Xi Jinping eine dritte Amtszeit als Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas gesichert. In der Gesamtbetrachtung des neuen Ständigen Ausschusses des Politbüros zeigt sich allerdings für viele überraschend eindeutig, dass Xi zukünftig primär von seinen Gefolgsleuten umgeben sein wird.

Dem designierten Premierminister Li Qiang wird nachgesagt, ein großer Förderer der Digitalwirtschaft zu sein, der auch internationale Unternehmen wie Tesla erfolgreich nach Shanghai gebracht hat. Als Parteisekretär von Shanghai ist er ohnehin für eines der wichtigsten Wirtschafts- und Finanzzentren des Landes verantwortlich. Kontroverser wird hingegen seine Bilanz beim Management der Corona-Lockdowns im Frühjahr in Shanghai gesehen. Da er seine Karriere bislang fast ausschließlich im prosperierenden Jangtse-Delta verbracht hat, fehlt ihm bislang auch die Erfahrung in der Pekinger Zentralregierung sowie aus weniger entwickelten Provinzen.

Am 24. Oktober erschienen im IPG-Journal.

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Alexander Isele

ist seit 2022 Redakteur beim IPG-Journal. Zuvor arbeitete er als Redakteur bei der Tageszeitung nd-aktuell und als freier Journalist.

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