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Chaos, Anarchie, Piraten

von Jérôme Cholet · 2. Juni 2009
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"Die Piraterie am Horn von Afrika ist nur ein Symptom," so Daniela Kroslak von der International Crisis Group, "die Krankheit dahinter lautet Anarchie. Die internationale Gemeinschaft hat Somalia über achtzehn Jahre lang als gescheiterten Staat ignoriert. So konnte es zur Heimat von Extremismus und Terrorismus werden. "

Denn Somalia ist am Ende. Seit 1991 Diktator Siad Barre gestürzt wurde, gibt es in dem ostafrikanischen Land keine zentrale Regierung mehr, die Recht und Ordnung garantiert. Der Staat zerfiel in umkämpfte Machtbereiche von Clans und Kriegsherren. Der Norden erklärte sich als Somaliland, der Nordosten als autonome Region Puntland unabhängig. Jedoch sind beide nicht international anerkannt und instabil. Und im Rest des Landes sieht es ähnlich oder noch schlimmer aus. Die Region um die Hauptstadt Mogadischu wird seit fast zwei Jahrzehnten von immer wiederkehrenden Kämpfen, Zerstörungen und Plünderungen heimgesucht.

Land ohne Regierung

Dreizehn Versuche, eine somalische Exil-Regierung in Kenia zu schaffen, scheiterten. Das Exil-Parlament in Nairobi zeigte sich zerstritten und ineffektiv, die wichtigsten Kräfte des Landes waren lange Zeit nicht vertreten. Und jedes Mal, wenn die Politiker in die Heimat zurückkehren wollten, wurden sie von verfeindeten Warlords bedroht.

Bevor somalische Piraten am Horn von Afrika aktiv wurden, gelang es Somalia zuletzt im Jahr 2006 die internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Damals hatte sich eine Union Islamischer Gerichtshöfe (UIC) in Mogadischu durchgesetzt und die Lage etwas stabilisiert. Ein bislang unbekannter aber moderater Warlord, Sharif Sheikh Ahmed, hatte die Kontrolle übernommen und Friedensverhandlungen angeboten.

Allerdings stand er in Konkurrenz zur exilierten Übergangsregierung und in seiner Union fanden sich auch extremistische Islamisten und international gesuchte Terroristen. Statt die moderaten Kräfte zu unterstützen, gingen die Vereinigten Staaten von Amerika mit Luftangriffen vor und Äthiopien entsandte Bodentruppen. Der Krieg ging in eine neue Runde. Die ausländischen Kräfte versuchten die Übergangsregierung zu etablieren, stießen jedoch auf heftigen Widerstand von Islamisten, verschiedenen Clans und weiten Teilen der Bevölkerung. Anfang 2009 musste Äthiopien sein Scheitern schließlich eingestehen und die eigenen Truppen ergebnislos wieder aus Somalia abziehen.

Langfristiges Enagagement notwendig

Sharif Sheikh Ahmed wurde im Januar dann doch zum Übergangspräsidenten ernannt. Das Exilparlament hatte zugestimmt, die internationale Gemeinschaft grünes Licht gegeben. Denn die Angriffe von Piraten auf die zivile Schifffahrt hatten Somalia zurück in das Blickfeld der Welt gerückt. Sharif Sheikh Ahmed und seine Islamisten erschienen plötzlich als das geringere Übel. "Die internationale Gemeinschaft zeigte sich plötzlich sehr pragmatisch, denn auf einmal unterschied sie zwischen moderaten Islamisten und militanten Jihadisten," sagt Daniela Kroslak, Somalia-Expertin aus Washington.

Im vergangenen Jahr wurden vor der Küste Somalias 108 Versuche der Piraterie unternommen, 40 waren erfolgreich. Genau vierzehn Schiffe und 200 Besatzungsmitglieder befinden sich noch in der Gewalt von Piraten, die meist aus Puntland stammen. Neben der NATO haben auch die Europäischen Union und mehrere Einzelstaaten Kriegsschiffe zur Piratenbekämpfung vor die Küste Somalias entsandt. Jedoch wurden Anfangserfolge durch eine erneute Welle von Piratenangriffen in der letzten Zeit wieder wettgemacht. Derzeit beraten die NATO-Botschafter, die bisherigen Operationen durch ein langfristiges Engagement abzulösen.

Staat braucht Gewaltmonopol

"Zur Lösung des Piraten-Problems bedarf es jedoch vor allem der Behandlung der Anarchie auf dem Festland. Nur die Stabilisierung des Landes und ein Friedensvertrag können die Wurzel des Problems beseitigen," so Daniela Kroslak. Zwar haben die Piraten mit den islamistischen Milizen nichts zu tun. Doch in einem Land mit ordentlichen Strukturen und einer starken Zentralregierung wäre es nie zu Piraterie gekommen.

Dem neuen Präsidenten wurden daher mehr als 200 Millionen US-Dollar zum Aufbau einer Polizeitruppe, eines Heeres und einer Küstenwache zur Verfügung gestellt. Der Staat soll sich das Gewaltmonopol zurück erobern. Doch Ahmeds größtes Problem sind derzeit die Gruppen al-Shabab und Hisbul-Islam, die den moderaten Übergangspräsidenten als Verräter bezeichnen und ihn mit aller Kraft bekämpfen.

Die Organisation al-Shabab hält bereits die Hafenstadt Kismaayo im Süden des Landes besetztund sucht ihre Macht auch auf Mogadischu auszudehnen. Das US-Außenministerium führt die Organisation in ihrem Terroristenregister und sagt ihr Kontakte zu al-Quaida nach. In den letzten Wochen ist es erneut zu schweren Kämpfen gekommen. In zwei Wochen starben 220 Menschen, 500 wurden verletzt - die meisten Zivilisten. Während die Truppen von al-Shabab auf 6.000 Mann geschätzt werden, stehen der Übergangsregierung nur schätzungsweise 4.000 Mann zur Verfügung.

"Die internationale Gemeinschaft sollte die Aufständischen an den Verhandlungstisch zwingen und selber Konzessionen machen, um zu einem Frieden zu kommen," so Daniela Kroslak von der International Crisis Group, "zudem sollte sie ihre Militäroperationen unterlassen, die schweißen Piraten und Aufständische nur noch weiter zusammen." Des Weiteren muss vor allem der Bevölkerung geholfen werden. Mehr als 3,5 Millionen Menschen sind auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen, eine Million Menschen auf der Flucht. Piraten und Islamisten rekrutieren ihre Anhänger vor allem bei den Armen, die keine Alternativen haben. Die internationale Gemeinschaft muss sich daher auch bei der Grundversorgung der Bevölkerung engagieren und den Präsidenten als zentrale Gewalt stärken.

Jérôme Cholet arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten. Themen sind Wahlen, Armut und Entwicklung.


Foto: pixelio.de_tokamuwi

Autor*in
Jérôme Cholet

arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.

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