Die Ängste sind groß, aber auch die Chancen: Auf vorwärts.de debattieren Sigmar Gabriel und Christoph Bautz, Geschäftsführer von Campact, in zwei Artikeln über TTIP. In diesem erläutert Aktivist Bautz, warum Europa die Verhandlungen mit den USA abbrechen muss.
Freier Handel zwischen Partnern – das klingt lobenswert. Und wenn Autoblinker und Rückspiegel vereinheitlicht werden, ist das eigentlich eine gute Sache. Doch bei TTIP, dem Investitions- und Handelsabkommen mit den USA, geht es um weit mehr: um Themen, die bei jedem Sozialdemokraten die Alarmglocken schrillen lassen sollten. Investoren-Schiedsgerichte: Sie schaffen ein exklusives Sonderrecht für ausländische Konzerne. Sie können Schadensersatz in unbegrenzter Höhe fordern, wenn sie Gewinne durch demokratische Entscheidungen geschmälert sehen. Die Klagen werden nicht von unabhängigen Gerichten entschieden, sondern von Wirtschaftsanwälten, die sich in den Rollen als Ankläger, Verteidiger und Richter abwechseln. Diese sind nicht an unser Grundgesetz mit der Sozialbindung des Eigentums gebunden. Einen Vorgeschmack bietet eine Klage von Vattenfall vor solch einem Gremium: 3,7 Milliarden Euro will der schwedische Energiekonzern von uns Steuerzahlern für den Atomausstieg.
Standards unterlaufen
Privatisierung: Am stärksten bedroht sind die Kommunen und Länder. Von ihnen erbrachte öffentliche Dienstleistungen geraten unter verstärkten Privatisierungszwang. Investoren könnten sich in die öffentliche Auftragsvergabe einklagen, eigene Arbeitskräfte mitbringen und Gleichbehandlung mit öffentlichen Anbietern einfordern.
Standards: Es wird versichert, dass Standards etwa im Verbraucherschutz nicht gesenkt werden. Doch wenn Standards wechselseitig anerkannt werden, werden die jeweils höheren durch Importe unterlaufen. Dies kann auch nach Vertragsabschluss erfolgen: Auch wenn Hormonfleisch und Chlorhuhn erstmal im Vertrag ausgenommen bleiben – über die angestrebte "regulatorische Kooperation" könnten sie im Nachhinein einen Marktzugang erhalten.
Demokratie: TTIP verringert den Handlungsspielraum der Politik. Finanzmärkte, Klimawandel, Big Data, Gen- und Nanotechnologie: Neue Risiken erfordern neue Regeln, um Bürger zu schützen.
Doch neue Regeln sind potenzielle Handelshemmnisse. TTIP würde daher eine Politik, die soziale Standards, Verbraucherrechte, Datenschutz und Umweltschutz verbessert, stark erschweren: Hinter das erreichte Maximum an Deregulierung und Privatisierung soll es kein Zurück geben. Der demokratische Souverän wird entmachtet, die Balance zwischen Konzerninteressen und Gemeinwohl verschoben. Kurzum: TTIP ist "Eingriff in die Gesetzgebungshoheit, ein Eingriff in die Souveränität, ein Anschlag auf die parlamentarische Demokratie", so Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung".
Viele unserer demokratischen Rechte wurden durch die Sozialdemokratie hart erkämpft. TTIP würde sie für ein Linsengericht preisgeben: Die EU-Kommission hat errechnet, dass TTIP ein zusätzliches Wachstum von gerade einmal 0,048 Prozent pro Jahr bringen könnte – bei umfassender Liberalisierung, die fast alle "Handelshemmnisse" schleift. Es wird maßgeblich von der SPD abhängen, ob TTIP Wirklichkeit wird. Ohne die Zustimmung der SPD-Abgeordneten in Bundestag und Europaparlament und der SPD-regierten Länder im Bundesrat wird das Abkommen nicht kommen.
TTlP durch die Hintertür
Schon sehr bald kommt es zum Schwur: Denn im Herbst legt die EU-Kommission das fertig verhandelte CETA-Abkommen mit Kanada vor. Es ermöglicht "TTIP durch die Hintertür": Konzerne müssen nur eine Tochterfirma in Kanada eröffnen, um europäische Staaten wegen entgangener Gewinne zu verklagen. Die Konzernjustiz, der viele Sozialdemokraten zu Recht misstrauen – mit CETA käme sie, ganz ohne TTIP.
Mehr als 620 000 Bürgerinnen und Bürger haben den Campact-Appell gegen TTIP unterzeichnet. 150 000 haben sich aktiv an einer EU-Konsultation zu diesen Konzernklagen beteiligt. Der EU-Kommission ist dazu bisher nicht mehr eingefallen, als dies als "Attacke und organisierten Angriff auf die Kommission" zu bezeichnen und Änderungen bei CETA auszuschließen.Die Bundesregierung hat bisher Investoren-Schiedsgerichte in CETA und TTIP als nicht notwendig bezeichnet. Sie sind jedoch ein wesentlicher Teil der Kommissions-Strategie. CETA und TTIP gefährden die Demokratie. Sie dienen wenigen Konzernen, nicht der Wirtschaft insgesamt und nicht uns allen. Deshalb muss sich die Sozialdemokratie gemeinsam mit allen Bürgerinnen und Bürger dafür einsetzen, dass die Verhandlungen abgebrochen werden.
Hier finden Sie die Gegenposition von Sigmar Gabriel.
ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler, Mitbegründer und einer der Geschäftsführer von Campact