Bulgarische Sozialisten: „Der Wiederaufstieg der SPD ist Motivation“
Im vergangenen Jahr fanden in Bulgarien gleich drei Parlamentswahlen statt. Wieso?
Bulgarien befand sich im vergangenen Jahr politisch in einer schwierigen Lage. Es begann damit, dass sich eine Bewegung im Volk entwickelte, die sich gegen die damals regierende Rechtspartei GERB und die Generalstaatsanwaltschaft richtete. Aber die Wurzeln gehen tiefer. Die Mehrheit der Bulgaren glaubt, in einem korrupten System zu leben. Dies führt zu einer allgemeinen Resignation und dem Wunsch nach Reformen hin zu einem veritablen Rechtsstaat. In dieser Stimmung fanden die Parlamentswahlen im April statt. Mit der Folge, dass die Regierungspartei ihre Macht verlor, weil sie als Hauptgrund für die Korruption in unserem Land angesehen wurde.
Im Anschluss konnten die anderen Parteien allerdings keine Koalition bilden, also musste das neu gewählte Parlament aufgelöst werden und es gab Neuwahlen. Diesmal gewann eine brandneue Partei unter der Führung eines beliebten Fernsehmoderators. Doch auch sie war nicht in der Lage, eine Koalition zu bilden. Deshalb fanden im Herbst zum dritten Mal Wahlen statt, bei denen eine andere brandneue Partei die meisten Stimmen bekam. Zwei junge Harvard-Alumni, Kiril Petkow und Assen Wassilew, versprachen eine korruptionsfreie Regierung. Sie haben es im Dezember geschafft, eine Koalition aus vier ideologisch sehr unterschiedlichen Parteien zu bilden.
Es ist das erste Mal in der bulgarischen Geschichte, dass eine derart große Koalition zusammenarbeiten muss. Wird sie halten?
Das hoffe ich! Natürlich weiß maan nie, was passieren wird, aber ich möchte optimistisch sein. Auf jeden Fall wäre es absolut unverantwortlich gewesen, wenn meine Partei, die BSP, nicht in die Regierung eingetreten wäre. Natürlich ist es auch ein hohes politisches Risiko für uns, mit vollkommen unterschiedlichen Parteien zusammenzuarbeiten, aber aus meiner Sicht hatten wir keine andere Wahl: Unsere Gesellschaft ist durch die vielen Krisen, angefangen bei Covid und wirtschaftlichen Bedrohungen, gefährdet. Deshalb war es notwendig, zumindest die politische Krise zu beenden. Außerdem bin ich zuversichtlich, dass die BSP versuchen wird, der Regierung eine soziale Ausrichtung zu geben, die jetzt mehr als notwendig ist.
Ihre Partei, die BSP, befindet sich in einem kontinuierlichen Niedergang. Bei den letzten Wahlen haben Sie nur rund zehn Prozent der Stimmen bekommen. Was sind die Gründe dafür?
Ich fürchte, es gibt viele Gründe. Die drei Wahlen aus dem letzten Jahr sind als ein Prozess mit drei Etappen zu sehen. Noch im April schien unsere Partei die einzige zu sein, die Ministerpräsident Borisow besiegen könnte. Am Ende sind wir damit gescheitert. Der Trend ist von da an negativ und ich mache mir Sorgen, was als nächstes kommt, wenn wir nicht auf diese Entwicklung reagieren. Leider haben wir auch strategische Fehler gemacht, indem wir beispielsweise Rumen Radew als Präsidenten Bulgariens nicht rechtzeitig und gebührend unterstützt haben. Aber der tiefere Grund unseres Niedergangs ist die Tatsache, dass das bulgarische Volk von unserer Partei mehr erwartet, als eine Opposition zu sein. Auch wer uns nicht mag, erwartet von uns, ein Projekt für eine gemeinsame Zukunft zu haben, das wir jedoch nicht präsentieren konnten. Ich bin sicher, die Bulgarinnen und Bulgaren sehnen sich nach mehr sozialer Gerechtigkeit und erwarten, dass wir dafür kämpfen und diese schließlich verwirklichen. So wir es hoffentlich in der neuen Regierung kommen. Der Wiederaufstieg der SPD ist übrigens eine Motivation für uns.
Die Vorsitzende der BSP, Kornelija Ninowa, ist nach der letzten Wahl zurückgetreten und Sie haben angekündigt, ihr Nachfolger werden zu wollen. Was sind Ihre Pläne?
Vor einigen Jahren haben wir unser Parteistatut geändert. Von nun an werden die Parteivorsitzenden direkt von den Mitgliedern gewählt. Nach unserem Parteitag am 22. Januar geht also der Wahlkampf los. Bis jetzt bin ich der einzige Kandidat, der öffentlich angekündigt hat, für die Parteiführung zu kandidieren. Aber das kann sich natürlich noch ändern. Ich bin überzeugt, dass die BSP für Bulgarien wichtig ist. Ein Grund dafür ist, dass wir die einzige linke Partei sind, die stark genug ist, um etwas zu bewegen. Und ich bin mir sicher, dass wir ein viel größeres Potenzial haben als unsere letzten Wahlergebnisse nahelegen. Das in Verbindung mit der Tatsache, dass ich mir sicher bin, dass Bulgarien eine linke progressive Politik braucht, lassen mich einigermaßen optimistisch sein, dass die BSP in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle in der bulgarischen Politik spielen kann.
Wie muss sich die BSP dafür verändern?
Zuallererst müssen wir akzeptieren, was wir sind: eine Partei mit Tradition, die fest in der bulgarischen Geschichte verankert ist. Das heißt, wir können uns nicht wie die brandneuen Parteien als revolutionäre Kraft präsentieren. Dies ist aber kein Nachteil. Wir sollte es stattdessen nutzen und unsere Position lautstark beanspruchen. Ich bin mir sicher: Nach einer Zeit der Suche nach etwas Neuem werden die Bulgarinnen und Bulgaren Sehnsucht nach etwas haben, auf das sie sich sicher verlassen können.
Gleichzeitig sollte die BSP offen sein für ein Umdenken und auch für politische Newcomer, wie sie in den letzten Monaten auf der Bildfläche erschienen sind. Wir sollten versuchen, junge Leute zurückzugewinnen. Auch der Umgang mit Europa wird eine wichtige Rolle spielen. Eine Veränderung, die wir sicherlich brauchen, findet auch in unserer politischen Kultur statt: Unsere Mitglieder sind müde und verärgert über die Kämpfe innerhalb der Partei. Sie wünschen sich eine Partei, die in der Öffentlichkeit eine gemeinsame Meinung vertritt.
Und diese Meinung ist – so glaube ich – die Notwendigkeit, die bereits von vielen Menschen sowohl in Bulgarien als auch in ganz Europa gespürt wurde: die Notwendigkeit einer progressiven linken Agenda. Das ist nicht nur eine parteiische Sichtweise. Dies ist der einzige Weg, die Krisenserie zu überwinden, ohne die Integrität unserer Gesellschaften und den Schutz der sozialen Rechte unserer Bürger zu opfern. Die Gefahren der Inflation, der unsicheren Beschäftigung, des fehlenden gleichberechtigten Zugangs zur Gesundheitsversorgung und des Populismus erfordern eine starke und vereinte sozialistische Antwort. Meine Partei, die BSP, sollte in diesen Fragen mit einer Stimme sprechen und in voller Zusammenarbeit mit den Parteien unserer europäischen Familie handeln.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.