Bulgarien und Corona: Keine Tests, keine Fälle
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Europäische Trends kommen in Bulgarien häufig mit etwas Verzögerung an. Während sich Ende Februar im übrigen Europa die beklommene Erkenntnis durchsetzte, dass das Coronavirus auch hier epidemische Ausmaße annehmen könnte, schien Bulgarien eine Weile lang die Insel der Seligen zu sein. Fälle: Null. Wie sehr die Bulgaren dieser Zahl allerdings trauten, zeigte sich in den Apotheken: Masken, Desinfektionsmittel und Wegwerfhandschuhe waren ausverkauft, ehe es in Bulgarien einen einzigen bestätigten Fall gab.
Erst am 8. März meldete auch Bulgarien offiziell die ersten vier Corona-Erkrankten – in den abgelegenen Städtchen Gabrovo und Pleven. Die Infektionskette kann nicht nachvollzogen werden, die Fälle kommen scheinbar aus dem Nichts. Schon zuvor waren landesweit die Schulen geschlossen worden; angeblich wegen gehäufter Grippeerkrankungen. Mitte März – mittlerweile sind 23 Fälle bestätigt – wird der nationale Notstand beschlossen, werden Schulen und Kitas geschlossen, nach und nach kommen Geschäfte, öffentliche Gebäude und Anlagen hinzu.
Corona-Tests beginnen schleppend
Es passt einiges nicht zusammen in der Corona-Geschichte Bulgariens. Aber die Erklärung ist leicht: keine Tests, keine Fälle. 2 000 Tests hatte die bulgarische Regierung ursprünglich angeschafft – für eine international sehr mobile Sieben-Millionen-Bevölkerung. Inzwischen sind private Geldgeber eingesprungen und insgesamt 5 000 Personen in Bulgarien auf Corona getestet worden – immer noch viel zu wenig, um ein auch nur annähernd realistisches Bild der Lage zu bekommen. Spätestens mit der Rückkehr der bulgarischen Saisonarbeiter aus den geschlossenen norditalienischen Urlaubsorten dürfte die Dunkelziffer enorm sein.
Die Bulgaren reagieren teils zynisch – Bulgarien habe mit seinen ersten Fällen eben darauf gewartet bis es einen europäischen Hilfsfonds gebe – teils mit landestypischem Fatalismus: eine weitere Krise, die sich in die lange Kette bulgarischer Katastrophen einreiht. Zuversicht ist derzeit wenig vorhanden – kaum jemand traut der Regierung oder dem Gesundheitssystem das Management der Krise tatsächlich zu. Das Vertrauen in die bulgarischen Institutionen ist gering: Entsprechend blühen auch Fake News und Verschwörungstheorien, aber vor allem die bulgarische Überzeugung, dass man sich nur auf sich selbst verlassen kann.
Lebensmittelversorgung: Engpässe gewohnt
Während allenthalben vor Panik gewarnt wird, wirkt niemand panisch. Die Menschen sorgen vor. In der Erinnerung vieler hier sind Engpässe bei der Lebensmittelversorgung bis in die 90er Jahre hinein präsent. Die Versicherung der Regierung, Vorratskäufe seien nicht nötig, in Frage zu stellen, ist eher nüchterner Kalkulation geschuldet als kopfloser Furcht. Und die meisten Menschen setzen darauf, die Krise krank oder gesund zuhause aussitzen zu können.
Schon im Normalzustand ist das Gesundheitssystem defizitär bei Ausstattung und Personal. „Wenn man kein Geld hat, muss man sterben“, sagen sie hier. Was früher die Korruption war, ist heute die Privatisierung – die staatliche Krankenversicherung deckt kaum das Allernötigste ab. Der Rest: Privatleistungen, die man sich leisten können muss.
Und je länger der Shutdown andauert, desto weniger können sich noch etwas leisten. Im ärmsten Land der EU bedeuten zwei Wochen Schließung den Bankrott für viele Kleinbetriebe, den unbezahlten Urlaub für zahllose Angestellte. Bei einem Durchschnittseinkommen von 671 Euro im Monat hat auch die Mittelschicht keine Rücklagen für einen solchen Fall.
Präsident Rumen Radev warnte zuletzt, die Krise könne Hunderttausende Bulgaren an den Rand des Überlebens bringen: „Der Hunger wird größer werden als die Angst, und die Folgen werden verheerend sein.“
Dr. Helene Kortländer leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bulgarien. Zuvor war sie für die FES in Berlin und Israel tätig.