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Bulgarien: Noch keine klaren Mehrheiten

von Andreas Herrmann · 16. Mai 2013

Die bulgarischen Sozialisten wollen bei der Regierungsbildung ein entscheidendes Wort mitreden. Vor allem aber wollen sie das politische System von Rechtsbruch und Nichtachtung  demokratischer Institutionen befreien.

Die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) konnte bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag um mehr als zehn Prozent zulegen. Die Sozialisten erreichten 27,4 Prozent und erhalten voraussichtlich 85 der 240 Mandate. Auch wenn sie damit hinter der bisherigen Regierungspartei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) liegen, für die 30,7 Prozent stimmten, halten sie sich Optionen für eine Regierungsbildung offen.

Nach dem Wahlergebnis droht Bulgarien nun ein politisches Patt, da es neben der BSP auch die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) und die nationalistische Partei „Ataka“ („Bulgarien über alles“) abgelehnt haben, mit der durch zahlreiche politische Skandale im Vorfeld der Wahlen belasteten GERB eine Regierungskoalition zu bilden.

Die DPS, die die Interessen der türkischen Minderheit vertritt, landete bei 9,15 Prozent, gefolgt von ATAKA mit 7,5 Prozent der Stimmen. Alle anderen der über 30 Parteien scheiterten an der Vierprozenthürde.

Wahlkampf überschattet von politischen Skandalen
 In der Hauptstadt Sofia kam es noch am Wahlabend vor allem vor dem Nationalen Kulturzentrum zu Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die etwa 200 Protestler gegen das Wahlergebnis hatten dabei immer wieder das Wort „Mafia“ skandiert. Im Rest des Landes verliefen die Wahlen weitgehend ruhig. Nur etwas über die Hälfte der Bulgaren war zur Wahl gegangen.

Wenige Tage nach der Wahl ist klar, dass die GERB politisch isoliert ist. Der Wahlkampf war überschattet von einer Abhöraffäre um den Ex-Innenminister Tsvetan Tsvetanov (Gerb). Er soll nicht nur seinen eigenen Parteichef Bojko Borissov, sondern auch den Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Bulgariens, Sergei Stanichev belauscht haben. Als Quasi-Rechtfertigung führte Tsvetanov danach eine Verleumdungskampagne im Zusammenhang mit Stanichevs Vorsitz der Sozialistischen Partei Europas (SPE) an.

Gefälschte Stimmzettel gefunden
Außerdem waren einen Tag vor der Wahl 350.000 gefälschte Stimmzettel in einer Druckerei entdeckt worden, die einem Parteigänger von GERB gehört. Doch die ominösen Formulare waren nicht die einzige Unregelmäßigkeit. Wie das bulgarische Fernsehen berichtete, soll in mehreren Städten der Kauf von Wählerstimmen im großen Maßstab betrieben worden sein. Dabei kam es in Varna sogar zu Verhaftungen mit Einsatz von Polizei-Sonderkommandos.

Dennoch wollen die  bulgarischen Sozialisten nun neue Wege zu einer Regierungsbildung gehen und betrachten es als ihren Auftrag, das politische System von Rechtsbruch und Nichtachtung  demokratischer Institutionen zu befreien, so der EU-Parlamentarier Kristian Vigenin. Schon vor den Wahlen bekundeten sie, eine  programmatische Regierung aus Politikern und Experten unterstützen zu wollen. Vigenin schlug den Sofioter Universitätsprofessor  und ehemaligen Finanzminister Plamen Orecharski für das Amt des Ministerpräsidenten vor, der als unabhängige Persönlichkeit politischen Einfluss auf breiter Ebene habe. Auch sollen nach seinen Vorstellungen die Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen besser in die politische Arbeit zur Überwindung der ökonomischen und sozialen Krise einbezogen werden. Des Weiteren schließt die BSP die Zusammenarbeit mit der „Türkenpartei“ DPS nicht aus. Minimale Schnittstellen wären auch mit der nationalistischen ATAKA möglich, die in letzter Zeit einen moderateren Kurs eingeschlagen habe.

 SPE sendet erstmalig Wahlbeobachter

Begleitet wurden die Wahlen vom Einsatz rund 100 europäischer SPE-Beobachter, darunter fünf aus Deutschland. Neben der OSCE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa),die mit rund 240 Beobachtern im Land vertreten war, hatte auch der Europarat Wahlexperten nach Bulgarien geschickt. Terry Connolly, der in der Brüsseler SPE-Zentrale für die Aktivistenbewegung zuständig ist, wertete diesen Einsatz als großen Erfolg. Es sei damit flächendeckende Prävention gegen Wahlbetrug und Stimmenkauf erreicht worden. In den meisten von den Wahlbeobachtern besuchten Wahllokalen sei alles ruhig verlaufen. Sie hatten mit Hilfe der lokalen Infrastruktur der BSP am Wahlsonntag sowohl Städte, als auch schwieriger zu erreichende Landesteile und kleinere Ortschaften besucht. Connolly hofft, dass dieser neue Ansatz in europäischen Ländern fortgesetzt werde, in denen die Korrektheit der Wahlvorgänge angezweifelt würden.

* Der Autor Andreas Herrmann war selbst Teilnehmer der ersten Wahlbeobachtungsmission der Sozialistischen Partei Europas (SPE). Sein Einsatzort mit einem Team, das aus einem weiteren Deutschen sowie zwei Spaniern bestand, lag in der Ortschaft Branitschewo im Nordosten Bulgariens. Bei der Stimmenabgabe dominierte die dortige türkischstämmige Mehrheit mit ihrer Partei DPS.   

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Andreas Herrmann

arbeitet als Journalist für die Sächsische Zeitung im Raum Görlitz sowie für bundesweite Medien zu den Themen Frieden und Entwicklungspolitik. In der SPD engagiert er sich als Ortsvereinsvorsitzender in Löbau sowie als Sprecher des Kulturforums Lausitz.

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