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Brüssel: SPD-Sprecher entsetzt über fehlende Kooperation

Nach den verheerenden Terror-Attacken in Brüssel fordern Politiker eine bessere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, sieht riesige Defizite.
von Robert Kiesel · 23. März 2016
Burkhard Lischka, Vorsitzender der SPD Sachsen-Anhalt
Burkhard Lischka, Vorsitzender der SPD Sachsen-Anhalt

Herr Lischka, wie viele Anschläge müssen noch passieren, ehe die europaweite Koordination der Terrorismusbekämpfung endlich greift?

Ich bin entsetzt, dass nach jedem Terroranschlag die vollkommen unzureichende Zusammenarbeit der europäischen Sicherheitsbehörden beklagt wird und nicht mal grundlegende Dinge funktionieren. Wir haben in Europa ja nicht einmal einen einheitlichen Gefährderbegriff. Ich fordere bereits seit Längerem, dass wir endlich eine gemeinsame und einheitliche europäische Anti-Terrorpolitik verfolgen müssen. Terrorismus beschränkt sich ja nicht auf einzelne Länder. Terroristen reisen quer durch Europa und halten sich immer wieder an verschiedenen Orten auf. Insofern brauchen wir eine viel engere Zusammenarbeit, um hier beispielsweise genauere Bewegungsprofile von Gefährdern erstellen zu können.

Welche konkreten Maßnahmen müssen jetzt ergriffen werden, wo hakt es besonders?

Wir brauchen endlich einen Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden. Bestehende Datenbanken werden nur von wenigen Ländern eingepflegt und genutzt. Datenbanken sind nicht vernetzt, so dass sie im Aussagewert oft gegen null tendieren. Ich verlange jetzt vom Bundesinnenminister, dass er sich in Europa dafür einsetzt, dass diese Sicherheitslücken abgestellt werden. Aber das kann nur ein erster Schritt sein. Wir brauchen am Ende ein gemeinsames Europäisches Terrorismusabwehrzentrum. Da kann das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum in Deutschland als Vorbild dienen. Wie bereits erwähnt: Es geht darum, Gefährder im Blick zu haben, gemeinsame Lageanalysen zu erstellen und Terrorhinweise zusammen zu bewerten. Wir müssen wissen, wann sich wer wo aufhält. Die Defizite sind hier so groß wie Fußballfelder.

Experten sind sich einig, dass auch Deutschland Ziel islamistischer Terroristen ist. Wie gut sind die hiesigen Sicherheitsbehörden gegen Anschläge gewappnet?

Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Sicherheitsbehörden im Großen und Ganzen gut aufgestellt sind. Sicherlich hatte Deutschland in der ein oder anderen Situation bislang auch Glück, dass es hier noch keinen schwerwiegenden Terroranschlag gegeben hat. Aber ich halte die gute Vernetzung unserer Sicherheitsbehörden über das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, das Otto Schily im Jahr 2004 ins Leben gerufen hat, für ein zentrales Erfolgselement. Grundsätzlich gilt jedoch auch, dass wir unsere Sicherheitsbehörden weiterhin personell und technisch ertüchtigen müssen.

Teilen Sie die Sorge vieler Bürger, dass sich solche Anschläge auch in Deutschland ereignen könnten?

Man muss hier ganz ehrlich sagen: Eine hundertprozentige Sicherheit wird niemand gewährleisten können. Aber nochmal: Wir sind in Deutschland gut aufgestellt, sonst wären wir bislang nicht von solch fürchterlichen Anschlägen wie jetzt in Brüssel und letztes Jahr in Paris verschont geblieben. Insofern warne ich auch vor übertriebener Hysterie.

Nach Brüssel beschäftigen sich viele wieder mit der Gewichtung von Freiheit und Sicherheit: Heißt mehr Sicherheit automatisch weniger Freiheit?

Ganz klar nein! Im Gegenteil: Sicherheit ist die Voraussetzung, dass wir weiterhin in der Freiheit leben können, wie wir es gewohnt sind. Das Ziel der Terroristen ist doch, uns zu verunsichern und unsere Werte in Frage zu stellen. Dem dürfen wir auf keinen Fall nachgeben. Jede Gesetzesverschärfung, die grundlegende Bürgerrechte beschneidet, wäre ein Sieg für all jene, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung angreifen.

Droht uns eine deutliche Verschiebung dieser Gewichtung hin zu mehr Sicherheit und weniger Freiheit, sollte sich ein ähnlich gelagerter Terroranschlag auch in Deutschland ereignen?

Nein, darum geht es nicht. Nehmen wir das Beispiel des gemeinsamen europäischen Datenaustauschs: Freiheitsrechte werden nicht dadurch eingeschränkt, dass existierende Daten ausgetauscht werden. Es werden ja keine neuen Daten erhoben, sondern nur vorhandene Daten so vernetzt, dass sie sinnvoll im Antiterrorkampf genutzt werden können. Und letztlich bekämpft man Terrorismus nicht mit immer neuen Seiten im Bundesgesetzblatt, sondern mit technisch und personell gut ausgestatteten Sicherheitsbehörden. Deshalb bin ich froh, dass es uns als SPD in den vergangenen Haushaltsverhandlungen gelungen ist, zusätzliche finanzielle Mittel für tausende neue Stellen bei der Bundespolizei und in unseren Nachrichtendiensten auszuhandeln. Dieser Erfolg ist eine Grundvoraussetzung, um das Risiko zu minimieren, dass es jemals zu einem verheerenden Terroranschlag in Deutschland kommt.

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Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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