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Brexit-Drama: Die EU glaubt nicht mehr an den Einigungswillen Großbritanniens

In dieser Woche gehen die Brexit-Verhandlungen zwischen Brüssel und London weiter. Dabei steuern die Briten auf einen harten Ausstieg zu. Es sei denn, die Regierung Johnson verfährt wie in der Corona-Krise: Erst volles Risiko und dann, wenn die Katastrophe eintritt, eine 180-Grad-Wende.
von Renate Tenbusch · 14. Mai 2020
Konfrontation statt Kooperation: Die Brexit-Verhandlungen zwischen Brüssel und London treten auf der Stelle.
Konfrontation statt Kooperation: Die Brexit-Verhandlungen zwischen Brüssel und London treten auf der Stelle.

Während alle über Covid-19 reden, läuft das Brexit-Drama Teil II in Brüssel, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, weiter. In dieser Woche treffen sich die Verhandlungsteams per Videokonferenz zur dritten Verhandlungsrunde nach dem offiziellen Austritt der Briten aus der Europäischen Union, und dies nach zweijähriger Verhandlungsphase. Schon im Vorfeld ist die Skepsis auf EU-Ebene groß. Die ersten beiden Verhandlungsrunden haben keine substanziellen Fortschritte gebracht.

Einigung bis Ende 2020 kaum noch möglich

Doch die Zeit drängt, denn der Vertrag muss bis zum 30. Dezember dieses Jahres unter Dach und Fach gebracht werden. Im Juni treffen sich die Kommissionspräsidentin von der Leyen und Premierminister Johnson, um die Verhandlungsfortschritte zu bewerten.  Die in der Woche vom 20. April durchgeführte zweite Verhandlungsrunde machte jedoch deutlich, dass ein Abschluss bis Ende des Jahres kaum möglich sein wird. Das Problem aus Sicht der Brüsseler Verhandlungsdelegation sind die Briten.

Ähnlich wie im ersten Teil des Brexit-Dramas, als es um die Verhandlung des Scheidungsvertrags ging, lässt die britische Seite erneut keine klare Verhandlungsstrategie erkennen. Während das EU-Verhandlungsteam unter  Leitung von Michel Barnier mit im Detail ausgearbeiteten und unter den EU-Mitgliedern und dem Parlament abgestimmten europäischen Positionen an den Verhandlungstisch tritt, stellen die Briten Forderungen, ohne entsprechend ausgearbeitete Vorschläge für die einzelnen Dossiers vorzulegen. Verhandelt werden neben Fragen zum Handel, Finanzmarkt und Fischereirechten auch atomare Sicherheit, Außenpolitik und Verteidigung, Luftverkehr und Datenaustausch. Während es den Briten dabei um maximale Souveränität geht, will die EU ihren Binnenmarkt und den gleichberechtigten Wettbewerb schützen.

Brüssel: Briten verhandeln nicht ernsthaft

EU-Handelsminister Phil Hogan und Verhandlungsführer Michel Barnier erklärten, dass sie grundsätzlich an der Ernsthaftigkeit der britischen Verhandlungspartner zweifeln. Diese seien nicht wirklich an einer Einigung interessiert, stellten stattdessen Maximalforderungen und verweigerten sich gleichzeitig einer nicht zuletzt aufgrund der Corona-Krise notwendigen Fristverlängerung. Bis zum 30. Juni könnte die britische Regierung einen entsprechenden Antrag auf Aufschub der Verhandlung bis zu zwei Jahren an die EU stellen. Doch Premierminister Johnson will aus politischem Kalkül auf jeden Fall vermeiden, dass die Briten über den 30. Dezember hinaus weiterhin dem EU-Binnenmarktregelwerk unterworfen sind und vor allem Mitgliedsbeiträge ohne Mitbestimmungsrecht zahlen.  

Aus Sicht der Brüsseler Verhandler sieht es so aus, als wollten die Briten sich erneut die Rosinen aus dem EU-Kuchen picken. Sie wollen ein loses Handelsabkommen nach Vorbild Kanadas und fordern einen freien Austausch von Waren- und Dienstleistungen ohne gleichzeitig die Standards und Regularien der EU bezüglich Arbeitsbedingungen, Klimaschutz, Staatshilfen und Besteuerung berücksichtigen zu müssen. Es wird ein Unterbietungswettlauf verbunden mit einem erheblichen Wettbewerbsnachteil für die EU befürchtet. Auch die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs wäre aufgehoben. Das Fischen in britischen Hoheitsgewässern soll nach Vorstellungen der Briten durch  jährlich zu vereinbarende Quoten geregelt werden. Dies birgt weniger aus wirtschaftlichen als aus emotionalen Gründen vor allem für die Franzosen und die Belgier politischen Sprengstoff. Die EU hat mehr als deutlich gemacht, dass sie diesen Forderungen auf keinen Fall nachgeben wird.  

Harter Brexit würde beiden Seiten schaden

Sollten es der britische Premier und seine Mitstreiter tatsächlich auf einen harten Ausstieg, also einen Ablauf der Frist ohne Abschluss eines gemeinsames Handelsabkommens, ankommen lassen, träten ab 1. Januar 2021 die WTO-Regeln in Kraft. Das bedeutet u.a. Zölle, Waren- und Dienstleistungskontrollen und das Aus für die Personenfreizügigkeit. Die politischen und wirtschaftlichen Kosten wären für beide Seiten hoch und werden durch die Folgen der Covid-19 Pandemie noch verstärkt. 

Dennoch ließen die britischen Verhandler unter Führung des Hardliners David Frost verlauten, dass ihnen die Regeln der Welthandelsorganisation mehr „Flexibilität“ für die Erholung der eigenen Wirtschaft nach der Corona-Krise lassen würden. Zusätzlich wird wohl auf britischer Seite kalkuliert, dass man den Schwarzen Peter für die zu erwartenden weiteren Verschlechterungen für die britische Wirtschaft und den Arbeitsmarkt dem Coronavirus zuschustern kann.

Boris Johnson fährt volles Risiko

Im Verhandlungsverhalten der Briten zeigt sich das mittlerweile für die Johnson-Regierung bekannte taktische Muster, welches auch in der Corona-Krise zum Tragen kam: Die Regierung geht zunächst auf volles Risiko und macht ein taktisches Wendemanöver, kurz bevor oder wenn die Katastrophe eintritt. In der Corona-Pandemie musste die Zahl der Todesopfer erst auf 30.000 ansteigen, bevor die Regierung eine Kehrtwende vollzog. Ob dieses Muster noch lange für Boris Johnson funktioniert, vor allem im Fall eines harten Ausstiegs aus der EU, bleibt offen. Die Herausforderung, die schwierigen Verhandlungen zu einem Abschluss zu bringen, fällt auf jeden Fall in die deutsche EU-Ratspräsidentschaft.     

Autor*in
Renate Tenbusch

leitet das Europabüro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel.

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