International

Blutige Straßenschlachten in Kiew

von Jörg Hafkemeyer · 19. Februar 2014

Die Lage in der Ukraine hat sich zur Wochenmitte dramatisch zugespitzt. In der Nacht zu Mittwoch gab es furchtbare und brutale Kampfhandlungen im Zentrum von Kiew. Die Zahl der Toten ist auf 26 gestiegen, darunter zehn Polizisten und ein Journalist. Die Zahl der Verletzten soll nun fast 1000 betragen. Einige schweben weiter in Lebensgefahr. Die Situation verschärft sich nicht nur in Kiew.

Der Chef der Sicherheitsdienste, Oleksander Jakimenko, erklärte in Kiew, der Geheimdienst SBU habe im ganzen Land eine „Anti-Terror-Aktion gestartet. Sie richtet sich nach seinen Worten gegen „gefährliche und extremistische Gruppierungen“.  Darüber hinaus hat der SBU Ermittlungen gegen „einzelne Politiker“ aufgenommen. Das teilte er am Mittwoch mit, ohne Namen zu nennen. Der offizielle Vorwurf lautet: Verdacht des Staatsstreichs. Diesen Vorwurf hatte der kommissarische Regierungschef Sergej Arbusow bereits der Opposition gemacht. Zuvor hatte Verteidigungsminister Pavlo Lebedev einem Bericht der Zeitung Levy Bereg mitgeteilt, eine 500 Fallschirmjäger umfassende Einheit der 25. Luftlandebrigade aus Dnjepopetrowsk sei auf dem Weg in die Hauptstadt.

Die Situation verschärft sich nicht nur in Kiew weiter. Während die Opposition auf dem Maidan mit einem Angriff der Sicherheitskräfte in den Abend- oder Nachtstunden rechnet, Molotowcocktails wieder auffüllt und sich für Straßenkämpfe rüstet, haben nach Informationen der polnischen Grenzschutzbehörde an der polnisch-ukrainischen Grenze etwa 300 Menschen den Grenzübergang Korczowa-Krakowiec blockiert. Hier verläuft die EU-Außengrenze. Auf ukrainischer Seite brennen zu Barrikaden aufgestapelte Autoreifen. Der Grenzverkehr ist eingestellt. Im westlichen Lemberg brennt ein Waffen- und Munitionslager.

Die Situation ist festgefahren

In der Hauptstadt sind die Geschäfte geschlossen. Die U-Bahnen fahren nicht. Die Verletzten werden behandelt. Die Toten sind weggeschafft worden. Nach diesen bisher blutigsten Straßenschlachten seit Beginn der Proteste im vergangenen November. Die politische Situation ist festgefahren. Die Situation auf den Straße lebensgefährlich. Die beiden großen Kirchen in der Ukraine haben sich erstmals an die politische Öffentlichkeit gewandt. Ein sofortiges Ende der Gewalt forderte der Patriarch der orthodoxen Kirche, Filaret, und kritisierte den Präsidenten, der die Verantwortung für diese Entwicklung trage. Der griechisch-katholische Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk sieht die Gefahr eines Brudermordes: „Im Namen Gottes verurteile ich die Gewalt und die Missachtung Menschenrechten sowie den Willen des Volkes.“

Eine Wende in der Politik des Präsidenten ist weiterhin nicht zu entdecken. Das nächtliche Gespräch Viktor Janukowitschs mit Oppositionsführern blieb ergebnislos. Der Präsident gab keinen Schritt nach. Weder was die Wiedereinführung der alten Verfassung, noch was Neuwahlen und schon gar nicht was seinen geforderten Rücktritt angeht. Der Wunsch der Opposition, die Vorrechte des Präsidenten zu reduzieren, trifft bei diesem auf taube Ohren. Im Parlament wurde darüber nicht abgestimmt. Dessen Präsident, Wladimir Rybak, ist ein Parteigänger Janukowitschs und lehnte das ab.

Stattdessen wurde der regierungskritische Fernsehkanals 5 abgeschaltet: „Wir haben einen Informationskrieg mit Informationen, die nicht immer stimmen, mit denen aber gearbeitet wird,“ sagt die Menschenrechtsbeauftragte der Rada, des ukrainischen Parlaments, Valeriya Lutkovska.

Steinmeier droht mit Sanktionen

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier reist am Donnerstag mit seinem französischen Amtskollegen Laurent Fabius nach Kiew. Dort treffen sie den polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski.

In Berlin hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch mit Sanktionen gedroht: „Wer Entscheidungen zu verantworten hat, die zu einem Blutvergießen führen, wird damit rechnen müssen, dass Europa die bisherige Zurückhaltung bei persönlichen Sanktionen überdenken muss.“ Politische Gesprächspartner in Brüssel, die nicht genannt werden wollen, fragen sich angesichts des sich anbahnenden Bürgerkrieges in der Ukraine: „Und wo ist Europa?“

Der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz spricht von einer "Tragödie". Die ukrainischen Behörden hätten es verpasst, in einen erstgemeinten Dialog zu treten, was zu erneuter Gewalt und dem Tod vieler Demonstranten und Polizisten geführt habe. Schulz fordert nun: Die derzeitigen Machthaber in der Ukraine müssten Platz machen für eine Übergangsregierung der nationalen Einhalt und baldige Wahlen, um die Legitimation der staatlichen Stellen wiederherzustellen. Schulz ruft sowohl die Sicherheitskräfte als auch die Demonstranten auf, die Gewalt zu stoppen. Die Menschen sollten ihre Meinung mit Stimmzetteln zum Ausdruck bringen, nicht mit Steinen und Knüppeln, sagt der Sozialdemokrat.

Seitens der EU fordert Schulz gezielte Sanktionen gegen alle, die sich an Menschenrechtsverletzungen beteiligt haben. Zudem müsse die Europäische Union finanzielle Hilfe anbieten für den Fall, dass die Situation wieder befriedet und eine politische Lösung gefunden wird. Schulz: "Die Menschen in der Ukraine verdienen unsere volle Unterstützung."

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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