Bernd Lange: Darum laufen die Brexit-Verhandlungen so enttäuschend
Bernd Lange, in dieser Woche endet die vorerst letzte Verhandlungsrunde der EU mit Großbritannien über die künftigen gemeinsamen Beziehungen. Wie bewerten Sie als Mitglied der Brexit-Koordinierungsgruppe im Europaparlament die bisherigen Verhandlungen mit Großbritannien?
Auf den Punkt gebracht: Enttäuschend, ernüchternd und frustrierend. Oder wie es Shakespeare sagen würde: Viel Lärm um nichts. Die Fortschritte sind marginal. Die britische Regierung scheint vergessen zu haben, dass die Grundlage der Verhandlungen eine politische Vereinbarung ist, auf die sich beide Parteien vor gar nicht all zu langer Zeit erst geeinigt haben.
Was sind die konkreten Knackpunkte in den Gesprächen?
Die Liste ist leider lang. Ob bei der Verwaltungsstruktur, den Standards oder den gleichen und fairen Wettbewerbsbedingungen, dem sogenannten level playing field – da liegen immer noch Welten zwischen den Vorstellungen der EU auf Basis der politischen Erklärung und der derzeitigen Position der britischen Regierung.
In Brüssel heißt es, Großbritannien habe letztlich mehr zu verlieren als die EU. Warum?
Die Zahlen sprechen für sich: Unter den gesamten EU-Exporten lag in 2018 der Anteil an Exporten nach Großbritannien bei nur 6,2 Prozent. Von den britischen Exporten gehen dagegen bis zu 45 Prozent in die EU. Ohne Vertrag ist der Handel zwischen Großbritannien und der EU nicht unmöglich, bedeutet jedoch einen erheblichen Mehraufwand und Kosten für Lieferungen.
Welche Folgen hätte ein Brexit ohne Abkommen für die Exportnation Deutschland?
Spurlos würde ein solches Szenario natürlich auch nicht an Deutschland vorübergehen. Aber eine Beziehung ohne Vertrag ab dem 1. Januar 2020 wäre auch kein Weltuntergang. Das lässt sich auf Basis der WTO-Regeln gestalten, wie die EU es mit vielen Drittstaaten macht, unter anderen mit den USA.
Die Corona-Krise verschlimmert die wirtschaftlichen Probleme beider Verhandlungsseiten. Es heißt, London wolle die Folgen eines harten Brexit hinter den weit größeren Folgen der Corona-Pandemie verbergen. Wie sehen Sie das?
Das sind Spekulationen, an denen ich mich nicht beteilige. Ich kann lediglich beurteilen, was sich auf Ebene der Verhandlungen bisher getan hat. Und das ist leider sehr wenig. Was mich leider zu der Einschätzung kommen lassen muss, dass die britische Regierung nicht wirklich Interesse an einer Einigung im Sinne aller hat.
Glauben Sie überhaupt noch an den Willen der britischen Regierung zu einem Brexit-Abkommen mit der EU?
Ich glaube, man kann es so pauschal nicht sagen, da es auch innerhalb der Regierung und der Partei des Premierministers unterschiedliche Meinungen gibt. Einige wünschen sich ein Abkommen mit der EU, andere befürworten eher einen harten wirtschaftlichen Brexit ohne Deal. Was mich betrifft: Die Hoffnung stirbt zuletzt und wir werden auch weiterhin konstruktiv an einer Lösung arbeiten. Aber jeglicher Rosinenpickerei unter dem Deckmantel der Souveränität werden wir einen Riegel vorschieben. Eine Lösung auf Biegen und Brechen wird es mit uns nicht geben.