International

Berliner Oberlehrerin nicht gefragt!

von Lutz Hermann · 14. November 2012

Angela Merkel hat derzeit in der französischen Öffentlichkeit keinen guten Stand. Und das einige Monate vor dem 50. Jahrestag des 1963 im Elyséepalast unterzeichneten Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrages. Ihren strammen Sparkurs geisseln Politiker an der Seine immer ungenierter. Wirtschaftsminister Pierre Moscovici spricht von Klimaverschlechterung. Ein Berater: "Was gut für Deutschland ist, ist noch lange nicht gut für Frankreich!“

Aus Paris treffen in Berlin freundliche Ermahnungen und Warnungen ein. Die dortige Regierung reagiert verärgert und verstört auf kritische Hinweise der Deutschen auf die schlechte wirtschaftliche Verfassung des Nachbarn. Man wolle der Grande Nation unter die Arme greifen, damit sie besser und effizienter versprochene Reformen durchsetze, soll die Kanzlerin erwägen.

Der Zeitungstitel des linksliberalen Blattes "Libération" sagt alles: Berlin an Paris: "Achtung!“ Was so interpretiert wird, Frankreich gefährde Europa, wenn es nicht endlich seine Hausaufgaben mache. Merkel als Oberlehrerin ist an der Seine aber nicht gefragt. Premierminister Jean-Marc Ayrault will auf seinem zweitägigen Berlinbesuch am Donnerstag klar darauf antworten und jede Hilfestellung ablehnen.

Nothelfer Schäuble?

Was an der Seine frustriert, ist die mangelnde Unterstützung der Deutschen für die jüngst in Paris gefassten Beschlüsse, Unternehmen mit 20 Milliarden Euro Investitionen aufzupäppeln. Zusätzlich will Hollande 10 Milliarden Euro im Haushalt 2013 streichen. Stattdessen, so ist die Lesart in Paris, habe der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble einen Hilfsplan für das Nachbarland erwogen. Das hat bissige Empfindlichkeit im Elysée ausgelöst. Dazu wird CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder noch zitiert, er dränge die Franzosen nachträglich zu Strukturreformen. Die Ratschläge will sich Ayrault verbieten. Den Partner habe wohl Panik ergriffen, heißt es missbilligend in Paris.

Wirtschaftsminister Pierre Moscovici streitet deutsch-französische Meinungsunterschiede nicht ab, bekräftigt aber, es gebe keinen Dissens. Den eher in den Medien ausgetragenen Streit spielt er als einen Sturm im Wasserglas herunter. Der Minister räumt dennoch sein Unbehagen ein, als die 5 deutschen Wirtschaftsweisen in einem Gutachten ihre Besorgnis über die marode Wirtschaft in Frankreich deutlich gemacht hatten.  

Den Deutschen klare Kante zeigen

Moscovici wurde aufgefordert, den Deutschen - und hier in erster Linie der Kanzlerin - klare Kante zu zeigen. Wir haben ein eigenes Modell, sagt der Minister. Was gut für Deutschland sei, sei noch lange nicht gut für Frankreich. Inzwischen hat der Wirtschaftsminister in einem Schreiben seinen deutschen Amtskollegen gebeten, die Gründe für die Meinungsgegensätze zu  nennen. Der französische Haushaltsminister Jérome Cahuzac deutet ein Ringen um die Führung in Europa an. Dahinter steht die Absicht von Präsident Hollande, sich auf internationaler Bühne gegenüber Merkel behaupten zu wollen. In Klarschrift: Ein wenig mehr Unterstützung aus Berlin wäre Paris hochwillkommen.

Beobachtern entgeht nicht, dass sich Francois Hollande in seiner Haut nicht wohlfühlt. Sein Ansehen ist seit seiner Wahl vor 6 Monaten rapide gefallen. Nur noch ein Drittel der Franzosen traut ihm zu, das Land aus der schweren Krise zu führen. Die neue Milliardenunterstützung für die Wirtschaft wurde zwar abgenickt, aber immer wieder moniert nicht nur die bürgerliche Opposition, sondern auch Experten, der Sozialdemokrat im Elysée habe kein rundes, in sich geschlossenes Reformkonzept. Regierungschef Ayrault will es am Donnerstag den Deutschen erläutern. In Paris hofft man, dass die Kanzlerin einmal genauer zuhört!

Autor*in
Lutz Hermann

ist Auslandskorrespondent in Frankreich für verschiedene Tageszeitungen und Autor mehrerer politischer Bücher, u. a. „Willy Brandt – ein politisches Porträt“ (1969).

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