Bärbel Kofler: Afghanistan ist zu unsicher für Flüchtlinge
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Seit etwas mehr als einem Jahr sind Sie als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung im Amt. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?
Die Lage der Menschenrechte ist im vergangenen Jahr zumindest nicht besser geworden. Es hat sich im Frühjahr 2016 bereits angedeutet, dass immer mehr Staaten die freie Meinungsäußerung und die Presse- und Versammlungsfreiheit einschränken. Dieser Trend setzt sich leider fort und trifft nicht nur auf die üblichen Verdächtigen zu, sondern auch auf Staaten, die sich selbst als Demokratien verstehen. Wer glaubt, seinen Staat voranzubringen, indem er die Menschenrechte einschränkt, der irrt. Das Gegenteil ist der Fall. Allerdings sehe ich auch weltweit ein riesiges Engagement für Menschenrechte. Auch in Deutschland hat das öffentliche Interesse für das Thema deutlich zugenommen.
Welche Rolle für die Lage der Menschenrechte spielt die Situation nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei im vergangenen Sommer?
Die Situation in der Türkei macht uns schmerzlich bewusst, wie schnell sich ein Land in unmittelbarer Nachbarschaft zur EU in eine menschenrechtlich höchst problematische Richtung entwickeln kann. Gerade Deutschland pflegt ja seit langem gute Beziehungen zur Türkei. Es gibt viele persönliche Verbindungen. Die Verhaftung von Journalisten und Politikern, die Entlassungen an Schulen und Universitäten und die Einschränkung von Parlamentsrechten – all das widerspricht unseren Vorstellungen von Rechtstaatlichkeit und ist höchst alarmierend. Die türkischen Bürgerinnen und Bürger selbst haben es jetzt im April bei der Volksabstimmung über die Änderung der Verfassung in der Hand, diesen Prozess zumindest zu verlangsamen.
Wie bewerten Sie den Umgang der Bundesregierung mit der Türkei?
Aus meiner Sicht ist die Presse- und Meinungsfreiheit ein hohes Gut, das wir weltweit verteidigen und schützen müssen. Die Bundesregierung hat aber auch das Recht, sich gegen öffentliche Angriffe zu wehren. Die Haltung von Martin Schulz, der deutlich gemacht hat, dass die EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Position einnehmen sollten, unterstütze ich.
Welchen Einfluss hat der sich weltweit ausbreitende Rechtspopulismus auf die Lage der Menschenrechte?
Rechtes Gedankengut geht davon aus, dass Menschen nicht gleichwertig sind. Es grenzt Menschen aus und erklärt sie zu Sündenböcken für die Probleme anderer. Diese Haltung widerspricht den Menschenrechten grundlegend, da sie von der Gleichheit aller Menschen ausgehen. Je mehr sich der Rechtspopulismus ausbreitet, desto mehr geraten die Menschenrechte unter Druck. Das ist ja seit einiger Zeit eindrucksvoll zu besichtigen.
Für Flüchtlinge in Deutschland hängt es oftmals davon ab, in welchem Bundesland sie leben, ob sie abgeschoben werden oder nicht. Wie ist das mit den Menschenrechten vereinbar?
Für mich ist ganz klar, dass die Antwort auf die Frage, ob man einen Flüchtling abschieben kann, davon abhängen muss, welche Bedingungen in seinem Heimatland herrschen und nicht davon, in welchem Bundesland er sich zufällig aufhält. Die Situation in Afghanistan ist für einen Flüchtling in Bayern keine andere als für einen Flüchtling in Schleswig-Holstein. Ich bin davon überzeugt, dass die Lage in Afghanistan zu unsicher ist als dass man Flüchtlinge dorthin zurückschicken könnte. Besonders besorgt mich dabei, dass gerade Menschen, die schon sehr lange in Deutschland leben, gut integriert sind und die wir auch gut brauchen könnten, dorthin zurückgeschickt werden. Deshalb finde ich es gut, dass einzelne Bundesländer Abschiebungen nach Afghanistan sehr kritisch gegenüberstehen und sie zum Teil ja sogar ausgesetzt haben.
Sie begrüßen also den generellen Abschiebestopp für Afghanistan, den Schleswig-Holstein Mitte Februar erlassen hat?
Ja, ich begrüße diesen Abschiebestopp ausdrücklich aus den genannten Gründen.
Der Europäische Gerichtshof hat Anfang März entschieden, dass es kein Recht auf humanitäre Visa gibt. Welche legalen Wege nach Europa zu kommen, gibt es überhaupt noch?
Im Wesentlichen geht das über den Weg des Asyls. Daneben gibt es die Möglichkeit, als Bürgerkriegsflüchtling anerkannt zu werden. In beiden Fällen muss es der Antragsteller jedoch erstmal nach Europa schaffen. Ein Einwanderungsgesetz würde einen Weg der legalen Zuwanderung schaffen, der für einen Teil der Menschen Erleichterung bringen würde. Das Gesetz soll den Menschen auch Perspektiven aufzeigen, für sich und ihre Familien eine neue Zukunft in Deutschland aufzubauen. Das löst das Problem für Kriegsflüchtlinge allerdings nicht. Für sie brauchen wir neue Möglichkeiten, wie wir Hilfe und Aufnahme gewähren können, ohne dass sie ihr Leben auf Booten auf dem Mittelmeer riskieren müssen. Das gilt besonders für verletzliche Gruppen wie Frauen, Alte und Kinder.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.