Im Osten der Ukraine wird besetzt und geplündert. Die Regierung in Kiew ist überfordert. Dem maroden Staat droht der Bankrott und vielleicht sogar ein Bürgerkrieg.
Im östlichen Donbass ist Krieg. Im südlichen Odessa, der eleganten Hafenstadt am Schwarzen Meer, wird eine evangelische Kirche geplündert. Im zentralen Kiew fordert eine aussichtslose Präsidentschaftskandidatin vom Westen Militärhilfe für die Ukraine. Und die befindet sich politisch, wirtschaftlich und militärisch in einer nahezu aussichtslosen Situation.
Fast ein halbes Jahr nach dem Beginn der Proteste auf dem Kiewer Maidan-Platz, wenige Wochen nach der staatlich sanktionierten Landnahme der Krim durch Russland sowie einen guten Monat vor den Präsidentschaftswahlen in dem zerrissenen Land, versucht die Regierung in Moskau dessen Osten zu überrollen. Wut, Zorn und eine Art schleichender Verzweiflung machen sich auf allen Seiten breit auch angesichts einer verfallenden Währung und einer immer furchtbarer werdenden wirtschaftlichen Situation.
Ein Staatsbankrott droht
Die Ukraine verfügt noch über Währungsreserven von etwa zwölf Milliarden US-Dollar. Um ihr Leistungsdefizit zu finanzieren, braucht sie allein in diesem Jahr wenigstens 25 Milliarden US-Dollar. Der Internationale Währungsfonds will noch in diesem Monat ein Hilfsprogramm von bis zu 18 Milliarden US-Dollar beschließen. Das allein wird nicht reichen, um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden, zumal die Moskauer Regierung von Kiew eine Begleichung der 16,6 Milliarden Dollar hohen Schulden einfordert.
Um den drohenden ökonomischen Zusammenbruch abzuwenden, wollen die EU, die USA, Japan und die Weltbank ein Hilfspaket in Höhe von 13 Milliarden Dollar beschließen. Allerdings muss die ukrainische Regierung dazu rasch entscheidende Reformen einleiten: Sie muss die sehr hohen Energiesubventionen komplett abgeschaffen, die Landeswährung weiter abwerten und vor allem die grassierende Korruption bekämpfen. Angesichts der schwachen und in weiten Teilen maroden staatlichen Strukturen bestehen erhebliche Zweifel, ob die Ukraine überhaupt zu diesen Reformen fähig ist.
Skepsis gegenüber dem ukrainischen Staat wächst
Es ist überhaupt die Frage, wie weit die Macht und Einflussmöglichkeit der wackligen und schwachen Übergangsregierung in Kiew noch reicht. Das zeigt auch die Lage in Odessa, einer für ukrainische Verhältnisse internationalen Stadt. Was vor einem halben Jahr noch unvorstellbar war: Mehr und mehr Einwohner dort wollen raus aus der Ukraine und sich Russland anschließen, wie Ortsansässige berichten.
„Ich denke, wir stehen kurz vor einem Bürgerkrieg“, fürchtet einer von Ihnen und meint dann: „Wir wünschen uns, dass es besser wird, aber es sieht nicht danach aus.“ Der Überfall auf die St. Pauls Kirche im Zentrum der Stadt, gar nicht weit vom orthodoxen Dom entfernt gelegen, bestätigt das: Die Bibel und andere wertvolle Gegenstände wurden aus dieser drittältesten evangelischen Kirche in Russland nach St. Petersburg und Moskau gestohlen. Von wem, ist nicht bekannt. „Es bleibt in der Ukraine nichts zurück als Zweifel und Schuld,“ klagt ein Gesprächspartner.
Unterdessen lässt Wladimir Putin im Donbass offensichtlich Fakten schaffen, was er in einem Telefonat mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen Barack Obama bestreitet. Der wiederum fordert, die Separatisten im Osten der Ukraine müssen entwaffnet werden. Putin und sein Außenminister Lawrow behaupten aber, dass Moskau darauf keinen Einfluss habe. Die Regierung in Kiew will die bewaffneten Gruppierungen ebenfalls entwaffnen, nennt sie „kaltblütige Terroristen“ und geht nun mit Gewalt gegen sie vor. Wirklich zuverlässige Informationen gibt es in dieser Situation der Desinformation und Propaganda nicht. Moskau hat Kiew vor einem gewaltsamen Vorgehen im Donbass gewarnt: Sollte das geschehen, seien die Gespräche am Donnerstag in Genf gefährdet.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).